Das Tagebuch

Und nun bin ich ganz allein

Meinem lieben Lottenkind zugeeignet und geschrieben vom Tage Walters Eingerufung am 10. Dezember 1940

10. Dezember 1940

Und nun bin ich ganz allein. Ja, jetzt hat man auch Walter geholt. Trotzdem man ihm immer und immer wieder versichert hat: Sie als Ersatzmann II kann man bei uns nicht brauchen. Aber nach einem halben Jahr, neue Musterung und Walter wurde Ersatz I, da wurde es auch noch weit weit fortgewiesen. Aber ich dachte mir schon meinen Teil. Nur, die Jungen antworteten mir auf meine stille Frage: Nein, Mutter, wir sind noch lange nicht dran, erst komme ich, sagt Röbi, und ich war gestern auf dem Wehramt und da sagte man mir: Sie haben noch lange Zeit, Sie können ruhig Ihr neues Semester anfangen, man braucht Sie noch nicht. Ja Mutter sei ruhig, bis wir drankommen ist der Krieg vorüber und Walter kommt überhaupt nicht dran.

Also beide gingen weiter ihrem Studium nach. Walter zur Uni, Röbi zur Akademie. Walter belegte Jura in Köln, nachdem seit Kriegsausbruch Bonn geschlossen worden war. Röbi war Prof. Junghans‘  jüngster und bester Schüler und jeder, der etwas von Malerei versteht, verspricht ihm eine große Zukunft. Ja, wenn der Krieg, dieser unselige Krieg, vorbei ist. Ja, Liebchen, wann mag das sein. Gott weiß es wohl ganz allein, und er ließ ja dem Menschen seinen freien Willen. Und nun kommen wieder die Ferien, wieder war es August und schon bald hatten wir ein Jahr Krieg.

Ja, Liebchen, es war schon ungefähr ein Jahr, seit wir Abschied voneinander nahmen, der mir so bitter und schwer wurde, und wie oft habe ich mir schon die Frage vorgelegt: Wann sehe ich mein heißgeliebtes Kind wieder, ja, sehe ich sie überhaupt wieder. Manchmal sieht alles ja so bitter und schwarz aus, dass man meinen muss, nein, es kann nie und nimmer wieder gut werden, diese beiden Völker werden sich nie wieder achten lernen können. Aber was dann? Was soll denn dann aus uns werden, werde ich dann jemals mein Lottenkind wiedersehen?  So, in diesen Augenblicken schwand mir aller Lebensmut und in diesen Monaten richteten mich nur Pflicht, und Röbis unerschöpflicher Humor, Walters überzeugender Optimismus wieder hoch.

Ja, und trotz aller Versicherungen der beiden konnte ich nicht froh werden. Doch die Pflicht nahm viel Zeit in Anspruch, da kommen alle diese großen und kleinen Einschränkungen, da gab es mal vorerst alles auf Marken, sogar Kleiderkarten, keine Schuhe, und meine Söhne hatten meist ja nur das Paar, das sie trugen, dank der Freigiebigkeit ihres „Alten Herrn“, der diese Dinge ja noch nie für notwendig gehalten hatte und wo es schon in normalen Zeiten einen tollen Kampf zu bestehen gab, wenn ich für dich oder die Jungen etwas haben musste.

Für alles gab es Ersatz. Toilettenseife war nicht mehr zu haben, nur ein Ersatz, bestehend aus Bims und einem Zeug und ebenso für die Wäsche und alles auf Karten. Lebensmittel ebenfalls, Kaffee gar keinen, Butter wenig, ja, was soll ich sagen, alles zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben. Fett und Fleisch wurden immer weniger und so weiter und so weiter. Kartoffel hatten wir keine eingekellert, weil uns versichert wurde, es wären genug da, dann kam der Frost, und was nicht erfror, das musste für das Militär sichergestellt werden.

Was war da zu machen! Ohnehin sehr wenig, waren Kartoffel doch das Wichtigste, was man brauchte, um satt zu werden. Da wusste ich mir nur den einen Rat, sehen wo ich was bekam. In der Stadt bekam ich nichts, also aufs Land. Nicht umsonst hatte ich mir bei meinen jahrelangen Wanderungen Freunde auf dem Lande erworben. Die mussten mir helfen und da bin ich denn oft von Türe zu Türe gelaufen und habe sie gebeten, mir doch das Notwendige zu verkaufen. Oft vergebens. Oft auch mit Erfolg. Meist gegen Bezahlung, vielteils aber auch nur gegen Tausch.

Und da habe ich meine Mottenkiste zu Hilfe genommen und habe den Bauern alles gebracht, was ich hatte, dann bekam ich Eier und Kartoffel, Obst, auch schon mal Geflügel, und so lief ich dann von Woche zu Woche aufs Land tief hinein ins Bergische zu einsamen Höfen und holte alles, was ich kriegen konnte, so verging der Winter und so bekam ich dann auch oft so viel, dass ich anderen Leidensgefährten helfen konnte. Meist half ich Familie Reinemann. Bully ist auch schon oft mit mir gelaufen. Im Rucksack haben wir die Kartoffel geschleppt. Ja mit Bully und ihrer Mutter verband mich eine innige Freundschaft und oft in der Woche war ich bei ihnen und wir schütteten uns gegenseitig unser Herz aus, verbanden uns ja gemeinsame Sorgen, und ich habe mir oft dort Trost geholt.

Im Frühjahr gab es nun wieder mehr Eier, ich kaufte alles was ich kriegen konnte. Eier, die übrig waren, legte ich ein. Denn niemals glaubte ich, was man mir immer wieder sagte: der Krieg wäre in ganz kurzer Zeit aus. Nach den tollen Siegen müsse der Tommy klein beigeben. Nein, das glaubte ich niemals und dann hatte ich leider recht, auf einmal hieß es: Der Krieg dauert noch lange und so war es. Inzwischen ist Sommer geworden, ich ging in den Wald, suchte nur dort in der Einsamkeit Trost. Jetzt ging ich meist allein, hin und wieder ging Röbi einmal mit, aber lange hielt seine Begeisterung nicht an. Auch Walter bekam öfter Lust, aber dann war ich wieder allein.

Inzwischen kam die Erntezeit. Waldbeeren habe ich gesucht, habe sie eingesammelt für den Winter. Wie oft war ich im tiefen herrlichen deutschen Wald und gedachte deiner und dachte weiter, wie schön es sein könnte, wenn die Menschen es wollten. Aber sie wollen nicht und so wird es wohl sein, solange es Menschen gibt. Mit meinen Waldbeeren habe ich dann auch meine Freunde versorgt. Ja, und so kam dann auch bald der Herbst, ein Tag verging wie der andere, keine Nachricht von dir. Am Abend warteten wir dann auf unsere Freunde jenseits der Nordsee und so ging es weiter. Walter war in den Ferien als Werkstudent tätig. Röbi war meist zu Hause und studierte hier. Er malte sehr schöne Bilder von mir und war auch sonst sehr fleißig. Ich war glücklich, ihn noch hier zu haben.

Biba war längst fort, kam öfter auf Urlaub, war ein lieber Kerl. Karl Floeck war von Anfang an in allen Kämpfen und hatte schon vorher jahrelang Dienst gemacht. Herr Forschbach ist auch schon lange Soldat, ja, alle meine Wanderbekannten sind alle Soldaten, haben alle viel mitgemacht und wünschen alle dasselbe, dass es doch bald vorbei sein möge.

Liesel ist von Anfang an in Stellung bei der Wehrmacht und nun muss Bully auch fort. Unsere gemeinsamen Abende und Nachmittage, wo wir zusammen mit ihrer Mutter bei ihr meist zu Hause Freud und Leid teilten, Handarbeiten machten, Vermutungen austauschten, über die Zeit und ihre Übel diskutierten, ging vorbei, aber nicht der Krieg. Der Herbst kam und für den kommenden Winter musste gesorgt werden und wir taten es, so gut es in unserer Macht lag.

Und dann kam, was ich so lange fürchtete: Röbi bekam seine Einberufung, auf seinen Geburtstag bekam er seine Gestellung, dass er sich am 5. Oktober bereit zu halten habe. Wie furchtbar war mir das. Alles hätte ich gerne ertragen, aber auch das musste sein. So oft habe ich mir schon gesagt: Warum muss es denn sein. Warum. Ich denke zurück, wie meine liebe Mutter dieselbe Frage tat und ich mir sagte: Diesen Schmerz wirst du mal nie mitzumachen brauchen, denn nach dem Weltkrieg hieß es: Nie wieder Krieg! Und davon war man damals überzeugt.

Und jetzt! Nein es ist nicht auszudenken. Wenn ich jemals davon überzeugt gewesen wäre, dass dieses Leid wieder über die Menschheit gekommen wäre: Nein Lotte, dann hätte ich dich niemals nach England gehen lassen, denn wenn es mir auch nicht leid tut, dass du dort die Verbindung mit deinem lieben Mann eingegangen bist, würde ich es doch verhindert haben. Es ist zu schwer, all diese Ungewissheit zu ertragen, zu wissen, dass dort ein heißgeliebtes Kind sich genau dieselben Sorgen macht wie ich hier, nicht zu wissen, ob man sich je wiedersieht. Ja Lotte, es ist furchtbar.

So, nun zurück zu Röbi. Röbi hatte zuletzt schon manchen schönen Auftrag und sich viel Geld verdient und hätte noch manches verdienen können. Aber wenn jeder malt, kommt es anders als ich möchte und Röbi wurde aus seiner Arbeit herausgerissen, er musste fort. Wir kauften ihm alles Notwendige von seinem verdienten Geld. Hemden, Strümpfe, Brieftasche, eine sehr schöne Armbanduhr und alles, was er brauchte, und dann kam der Abschied.

Er war sehr sehr schwer. Walter brachte ihn fort. Ich konnte mich nicht fügen und es dauerte sehr lange, bis ich so weit war. Röbi war bei der schweren Kavallerie. Er hatte schon bald Unglück. Bei einer Übung stürzte er so unglücklich, dass er die Kniescheibe verletzte und ins Lazarett musste. Wie er gesund war,musste er wieder in Dienst, und nicht lange, da hatte er das Unglück, dass er vom Pferd stürzte, im Steigbügel hängen blieb, mitgeschleift wurde. Das Ende war, ins Lazarett im Gips, denn nun hatte er beide Kniescheiben heraus und musste nun längere Zeit liegen.

Er konnte nun nicht mehr ins Feld und ich hatte die Hoffnung, ihn wiederzubekommen. Aber das musste ich mir bald aus dem Kopf schlagen. Röbi war zwar nach seiner Entlassung aus dem Lazarett nicht mehr „felddienstfähig“ aber doch „garnisonsdienstfähig“, und so blieb er.

Doch dafür kam ein neuer Schlag. Walters Einberufung! Ja, ich tröstete mich mit vielen Müttern, die ihre Söhne ja schon so lange hergeben mussten, es blieb mir auch nichts anderes über. Und nun musste Walter am 10. Dezember auch fort. Ja Kind, was soll ich sagen, es war schwer, und wieder muss ich mich gewöhnen. Ich denke oft zurück an die Tage in England bei dir, wenn ich dir sagte: Wenn es Krieg gibt, dann ist es für eine Mutter am schwersten. Du meintest damals: Nein für mich wird es viel viel schwerer.

Ja Liebchen, heute kann ich mir zwar bestimmt denken, dass es furchtbar schwer sein muss, im fremden Land zu leben, sich um seine Lieben daheim zu sorgen, Vieles zu hören, nichts sagen zu dürfen, nichts zu hören von daheim, aber Lottenkind, seine Kinder eins nach dem andern abgeben zu müssen, in jeder Ecke von der Welt eines zu wissen, aber nicht wissen, ob und wann ich mal wieder vereint mit ihm bin. Ich glaube bestimmt das ist schwer, sehr schwer, zumal man kein Ende sieht. Trotzdem klammere ich mich mit aller Kraft an die Hoffnung, dass alles einmal zu Ende geht und wir alle wieder vereint werden. Ja Liebchen, warum haben die Menschen es alle so schwer.

Ich nehme, wo ich alleine bin, wieder Englisch. Meine Lehrer sind zwei junge Leute. Einer ein Engländer, ein junger Mann in deinem Alter. Ich erzähle ihm mein Leid, er mir seins. Er hofft, recht bald seine lieben Eltern wiederzusehen, und tut nun alles und hofft zuversichtlich, dass bald alles vorbei sein möge. Der andere ist ein amerikanischer Ingenieur, studierte hier und lebt in Südafrika, er ist seiner Mutter jüngster Sohn und hat seit einem Jahr nichts mehr von seinen Eltern gehört. Du siehst, alle haben Leid und alle hoffen, dass all das Furchtbare vorüber möge gehen.

Ja Liebchen jetzt habe ich dir alles Zurückliegende in großen Zügen geschildert, denn alles, was man mitmacht, kann man ja nicht zu Papier bringen und will ich auch nicht. Nur möchte ich, dass du einmal imstande bist, wenn du dieses Buch liest, dir ein Bild zu machen, wie wir gelebt haben wie wir alle täglich, nein stündlich an dich gedacht haben, immer um dich gebangt haben! Aber auch sollst du wissen wie wir gelebt haben.

Es könnte ja sein, dass wir nicht mehr zusammenkommen, dann ist es vielleicht möglich, dass ein Anderer dir diese Zeilen zukommen lassen kann. Doch nun habe ich am 10. Dezember angefangen, dieses alles aufzuzeichnen, am Tage, wo ich gerade Walter abgab. Ich will nun alles, was wert ist aufzuzeichnen, dir mitteilen in der Hoffnung, dass ich alles einmal selbst dir erzählen kann. Wenn nicht, ja Liebchen, dann ist es zwar nicht mein, sondern Gottes Wille, worin wir uns ja alle fügen müssen.

Anmerkung von Clare Westmacott: Biba war Röbis bester Freund. Karl Floeck war ein Nachbarjunge. Liesel und Bully waren Freundinnen meiner Mutter Lotte. Siehe auch „Menschen und Orte“ in der Einleitung.

12. Dezember 1940

Heute habe ich Briefe von Röbi und eine Karte von Walter. Walter teilt mir mit, dass er nur an mich denkt und mir einen langen Brief schreiben will. Röbi teilt mir mit, dass er wahrscheinlich am Sonntag mal kommen kann, er hat so Heimweh und freut sich auf Stunden, um alles wiederzusehen. Ich freue mich wahnsinnig, ihn einmal wieder hier zu haben, wenn auch nur für Stunden. Denn übernächsten Sonntag will er zu seinem Bruder, der ja noch in der Ausbildung ist. Ich sitze hier ganz allein im Hause. Aber da höre ich die Sirenen heulen, ich will aufhören. Gute Nacht Lottenkind!

14. Dezember 1940

Eins muss ich dir noch mitteilen und zurückgreifen und zwar zum August. Wir haben nun schon viele Angriffe gehabt und gottlob überstanden. Aber einer dieser Angriffe ist mir sehr schmerzvoll: Es ist Angriff, abends spät und mein Röbi noch nicht zu Haus. Ich bin sehr in Unruhe, aber ich kenne ja seine Vorliebe, er wird wieder bei Schuster, einem russischen Emigranten, sitzen, denn dort ist es immer sehr interessant, und so war es auch.

Dieser Angriff ist besonders heftig und spielt sich ganz in unserer Nähe ab. Es fallen Bomben, die Flak schießt heftig. Doch auch dieses geht vorüber. Es ist alles wieder still und bald nach der Entwarnung kommt auch dein liebes Brüderchen. Er ist sehr erregt, denn ganz in seiner Nähe hat es eingeschlagen und Frl. Jäckel hat eine Bombe ins Haus bekommen. Alles zerstört. Ich sah mir den Tag darauf die Zerstörung an. Ja Liebchen, wäre es doch einmal vorbei. Und so hatten wir noch manchmal Gelegenheit, dass in unserer Nähe sich dieses wiederholte.

Ich dachte immer an dich, wie oft habe ich versucht, ein Lebenszeichen von dir zu erhalten. Wie oft habe ich vergebens ans „Rote Kreuz“ geschrieben ans „Auswärtige Amt“. Keine Nachricht. Ich hatte es aufgegeben, da ich dachte, man könnte dir Schwierigkeiten machen.

Ich habe es dann Gott überlassen und eines Morgens im Oktober, nachdem auch mein lieber Röbi schon gegangen war, er war am 5. Oktober einberufen, und ich so recht einsam und verlassen, was liegt dann da im Briefkasten? Ein Brief! Großer Gott, von Lotte, mir wird heiß und kalt. Ich war auf dem Wege zu deinem Vater. Ich brachte nicht fertig, den Brief zu öffnen in der Angst, was mag er enthalten? Ich ging bis zum Atelier in der Schildergasse und öffnete ihn, und dann habe ich ihn immer und immer wieder gelesen.

Wie dankte ich Gott, endlich ein Lebenszeichen! Ich hielt es nicht lange bei deinem Vater aus, und musste dann doch Bully so schnell wie möglich alles sagen, damit sie auch endlich mal wieder eine Gewissheit über das Schicksal ihrer Lieben jenseits der Nordsee hatte. Ich war mal wieder froh und fasste wieder Mut. Was las ich nicht alles aus deinem Brief! Vor allem dass du, Liebchen, Mutter geworden warst. Ja, und ich konnte nicht bei dir sein. Ja, Lottenkind, so hart und grausam geht das Leben oft mit einem um.

So kommt eines Morgens, Walter ist noch da, einige Tage vor seiner Einberufung, Elfriede Reinemanns Mädchen und lädt mich und Walter zum Kaffee nachmittags ein, wir sollen früh kommen, denn sie hätten eine wunderbare Neuigkeit für uns. Na, was kann es anders sein als etwas von Lotte.

Wir machen uns zeitig auf den Weg und wie wir hinkommen ist der Kaffeetisch festlich gedeckt. Frau R. hat schönen Obstkuchen gebacken und beide, Bully und ihre liebe Mutter, kommen auf uns zu und gratulieren uns. Ja wozu denn? Wir haben doch nicht Namenstag oder Geburtstag. Nein, aber zur Großmutter und Onkel. Ja, wie wurde mir da, Kind. Lottenkind, ich dachte 28 Jahre zurück, wie ich einsam und allein lag und mein Töchterchen geboren wurde. Und nun liegt sie fern der Heimat, niemand bei sich, der ihre Sprache spricht, und bekommt ihr Töchterchen, mein Enkelchen.

Sie konnten alle nicht verstehen, dass ich nicht glücklich war. Ja Liebchen, Lottenmütterchen, wie mir da war, warum war das Schicksal so hart, dass ich nicht bei meinem lieben Kind sein konnte, warum wiederholt sich alles. Ich weiß es nicht. Wieder sage ich: Es muss wohl so sein. Ja, wie hat sich meine liebe Mutter oft nach mir und dir gesehnt und ich bin nicht zu ihr gegangen. Ich verdiene es sicher nicht anders. Ich will hoffen, dass ich dich bald wiedersehe und bis dahin, alles Glück auf dich und dein Kind. Ja, Reinemanns und Walter taten alles, um mich aufzuheitern, und so verging der Abend und wir gingen nach Hause.

Ein paar Tage später ging Walter und ich war ganz allein. Er ging sehr sehr tapfer fort, er wollte mir das Herz nicht so schwer machen. Er kam nach Lippe-Detmold, nicht weit von Röbi, der nach seinem Unfall in Paderborn stationiert ist, und Röbi kann ihn öfter besuchen und das ist gut, denn er hat es ziemlich schwer. Ja, Röbi ist ein guter, lieber Kerl. Ich habe gar nicht das Gefühl, dass es unser Kleinster ist. Er muss immer alles für mich machen, muss alles erledigen als das Selbstverständlichste von der Welt.

Ja, Liebchen, und so bin ich denn ganz allein. Es ist nur schlimm, aber muss wohl so sein. Ja Liebchen, und hiermit beginnt eigentlich mein Tagebuch, welches ich von nun an führen will, um dir alles mitzuteilen, was du wissen sollst, alles, unsere Leiden, die wir in dieser schweren Zeit mitzumachen haben. Es kann sein, dass es bald zu Ende ist, dieses Völkermorden, es kann aber auch sein, dass es noch lange dauern kann, wie man hier allgemein sagt, was ich allerdings nicht denken kann, auch nicht will. Ja, und sollte es sein, dass ich das Ende gar nicht erlebe, dann werde ich sehen, dass du eines Tages, wenn Gott dich gesund hält und du die Möglichkeit hast, deine liebe Heimat wiederzusehen, dieses Buch erhältst, und dann kannst du dir ein Bild machen, was dein Volk alles gelitten hat.

Anmerkung von Clare Westmacott: Reinemanns waren Nachbarn und Freunde meiner Großmutter, Bully, die Freundin meiner Mutter Lotte, war die Tochter des Ehepaars Reinemann. Siehe auch „Menschen und Orte“ in der Einleitung.

24. Dezember 1940

Ja, und nun überschlage ich ein paar Tage, die angefüllt sind von Laufen und Arbeiten vor Weihnachten, heute haben wir den 24. Dezember: Nachdem ich alles zusammengeschleift hatte, will ich den Weihnachtsbaum machen und dann bin ich fertig und kann den Jungen schreiben, Walter einen langen Brief, dass ihn das Heimweh nicht so arg packt, denn Röbi sagt mir, dass er es sehr schwer hat. Ja, der arme Walter. Ja, und Röbi, ja, er ist der Kleinste, aber von ihm verlange ich alles, und er muss alles machen und man nimmt es ganz selbstverständlich hin. Er ist eben mein guter Junge. Also, er bekommt auch einen Brief.

Ja, und dann kommt Vater. Er ist in der ganzen Zeit derselbe geblieben. Er arbeitet immer noch und seine Arbeit ist ihm Lebensbedürfnis. Er ist auch ziemlich allein. Peter Recht, Dr. Schulte sind tot und damit seine engsten Freunde, und da Röbi nun auch nicht mehr da ist, hat er so ziemlich niemand mehr. Außer mir. Ja, und unser Leben kennst du ja. Mal so und mal so. Ich sorge für sein leibliches Wohl und er behauptet, dass ihn jetzt noch alles viel mehr kostet. Früher seine Kinder, heute die Steuern und dadurch natürlich ich. Aber trotzdem ich ihm immer und immer wieder sage, wir wollen, wenn es so schlimm ist, das Haus verkaufen und ich gehe auf ein paar Zimmer ins Bergische, bis der Krieg zu Ende ist, lässt er alles so weitergehen. Für mich ist das alles so schwer, ich sitze hier Tag und Nacht so allein und wenn ich meine Freunde nicht hätte, würde ich vor Alleinsein schon wahnsinnig.

Ja, wo bin ich stehengeblieben. Also Weihnachtsabend. Ich war so recht voller Leid, hatten doch deine lieben Landsleute jenseits der Nordsee uns Kölnern wieder einen Besuch abgestattet und speziell unser liebes Braunsfeld zwischengehabt. In dem Block, wo Reinemanns wohnen, ist alles zerstört. Es war furchtbar. Bully kam am Morgen nach dem Überfall und teilte es mir mit. Ja, das arme Ding hatte schon in letzter Zeit so viel mitgemacht, und jetzt dieses, wie schrecklich.

Als ich am Abend hinkam, wie war alles verwüstet, was ich den Tag vorher so ganz anders verlassen hatte. Er war alles so schön gewesen, alles so auf Weihnachten vorbereitet worden. Und nun diese Zerstörung, kein Zimmer mehr ganz, die Familie selbst wie durch ein Wunder dem Tode entgangen. Und da frug ich mich wieder! Wie wird das noch enden, kann das je wieder gut werden, wofür das alles?

Dieses alles wirkte in mir noch nach am Hl. Abend, dem ersten ohne meine Kinder. Diese selbst, wenigstens die Jungen, auch allein, ja Liebchen, wenn du auch das Herz voll Sehnsucht hattest, du warst aber nicht allein. Vater war sehr nett und wenn er auch über Walter schimpfte, der ihm nicht geschrieben hatte, so gestaltete sich der Hl. Abend ganz schön. Zumal wir auch keinen nächtlichen Besuch bekamen, merkten wir wenigstens in dieser Hinsicht nicht, dass Krieg war. Ich habe ein ganz kleines Bäumchen gemacht und haben wir uns zusammen über euch unterhalten und so verging der Hl. Abend.

Anmerkung von Clare Westmacott: Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs stand die Rhein-Ruhr-Region sofort im Fokus der britischen Pläne für einen strategischen Luftkrieg gegen Deutschland, und Köln war eines der Hauptziele. Parallel dazu wurde die psychologische Schlacht geführt mit dem Ziel, die Zivilbevölkerung davon zu überzeugen, dass sie sich gegen das teuflische Regime erheben sollte. Dafür wurden vor allem Flugblätter abgeworfen und die deutsche Bevölkerung wurde in Radiosendungen angesprochen.

25.  Dezember 1940

Wir sind sehr spät aufgestanden haben lange gefrühstückt. Walter hat uns ein Schmucktelegramm gesandt, was mich sehr freute. Dann sind wir in den Escher See gegangen, es war herrlich und wir kamen erst am Nachmittag zum Essen. Wie es dunkel wurde ging Vater wieder zu seinem Atelier, er will Neujahr zurückkommen. Nun bin ich wieder allein.

2. Januar 1941

Ja, und dann kam Neujahr, Silvester. Oh wie schrecklich, wenn ich zurückdenke. Mit deinem Vater allein. Das, was ich wohl am letzten gedacht habe, das war. Ja, das hätte ich nicht zuletzt gedacht und nicht im Entferntesten gewünscht. Aber es war. Aber ich muss sagen, er war friedlich, und so ging Silvester vorüber und ich ging mit den heißesten Segenswünschen für euch drei, die ihr mir so fern wart, ins Jahr 1941. Was mag es uns bringen? Den Frieden? O gütiger Gott, gebe es doch zu. Ja, dann kam wieder bald der Alltag mit seinem Hetzen und Jagen. Röbi schreibt, dass er am 11. Januar in Tagesurlaub komme. Na, man freut sich schon mal wieder.

Alle Tage kommen und gehen. Nachmittags kommt Bully mal hin und wieder, macht Handarbeiten, abends gehen wir dann zusammen zu ihrer Mutter. Die einzige Abwechslung ist dann abends die Sirene, denn dann kommen unsere Freunde jenseits der Nordsee. Ja, oft haben sie uns schon toll zugesetzt. Schon mancher hat dran glauben müssen und da mir hier im Hause keinerlei Schutz zur Verfügung steht und dein Vater sich nicht von seinem Geld trennen kann, muss ich sehen, in den öffentlichen Luftschutzkeller zu gehen.

Ja, jetzt freue ich mich mal wieder toll auf Röbi, hoffentlich kommt er am 11., dann können wir mal wieder erzählen von allem Möglichen und viel von dir Lottenkind, von deinem Mann und von deinem Kind. Das schönste ist, wenn Walter von seiner Nichte spricht, man sollte sagen, er wäre der Vater. So zärtlich. Er zerbricht sich den Kopf, wie es wohl heißen mag. Dann kommt er, das Kind heißt selbstverständlich wie du. Wenn ich dieses anzweifle dann ist er empört.

Wir einigen uns schließlich, dass es uns doch gleich sein kann wie es heißt und schließen die Debatte, aber im Stillen sinniert er weiter. Wie mag es wohl heißen? Ja, ja. Walterchen, du zärtlicher Onkel. Der arme Kerl, er leidet sehr unter dem Fernsein von Hause, er hat es nicht leicht und seine Briefe sind voll heißer Sehnsucht. Wie lange mag er wohl fortbleiben müssen. Was mag sich noch alles entwickeln. O Gott, wenn ich hier allein sitze und nachdenke, werde ich verrückt.

3. Januar 1941

Heute ein Brief von Walter, ja Walters Briefe sind wahre Bücher, aber eine Freude, sein Hauptmann ist auf ihn aufmerksam geworden und er will ihn nach seiner Ausbildung als arabischer Dolmetscher anfordern. Wäre das schön! Ja, und nun Röbis Briefe, er schreibt so herzlich und lieb. Ich freue ich mich, wenn er kommt.

8. Januar 1941

Letzte Nacht war mal wieder ein ganz toller Luftangriff. Das hat noch mal gut gegangen. Bei Reinemanns haben sie vor Weinachten alles zerstört. Das schöne Haus, die armen Leute. Wann mag das mal enden. Aber alles ist Schicksal und ich will es auch so tragen. Und nun kommt Röbi doch nicht. Wie schrecklich, auch nicht die kleinste Freude wird wahr. Ich kann es gar nicht glauben, was er mir heute Morgen schreibt. Urlaubssperre.  Ja, und nun müssen wir uns wieder beide darin schicken. Da sitze ich nun schon mal wieder allein. Ich will heute Abend mal wieder nach Reinemanns gehen. Und dann, ja, vielleicht können wir dann schlafen gehen. Vieleicht aber auch nicht.

Anmerkung von Clare Westmacott: Ab Januar 1943 hatten die alliierten Bomber eine größere Reichweite und nutzten Radar und verbesserte Zielfindung. Briten und US-Amerikaner vereinbarten eine kombinierte Bombenoffensive, während derer Köln, die Ruhr-Städte und später Städte im Osten Deutschlands, darunter Berlin, Tag und Nacht bombardiert wurden, nachts von den Briten und tagsüber von den US-Amerikanern. Am Ende des Kriegs war Köln ein Trümmerhaufen, tausende Menschen waren tot, und den Überlebenden blieb fast nichts.

19. Februar 1941

Ich habe lange nicht mehr geschrieben. Es war nicht viel zu schreiben, immer dasselbe Elend. Am Tag Kampf ums tägliche Brot, nachts oft, sehr oft Fliegerangriffe und oft, sehr oft brachten sie fürchterliches Elend über unser armes Volk. Viele Städte, Düsseldorf, Köln, Hannover, Wilhelmshaven werden heimgesucht. Viele Tote, viel Elend. Wann mag es aufhören? Bis jetzt hat der liebe Gott deine Eltern und Geschwister geschont, aber wie lange noch, doch Herr, dein Wille geschehe.

Röbi und Walter sind Gott sei Dank noch immer im Land. Röbi kommt öfter auf einen Sonntag mich besuchen. Das ist das schönste in meiner Einsamkeit. Denn Liebchen, dein Vater fühlt sich sicherer in der Stadt und da lässt er mich ganz allein hier im Haus. Aber ich war ja nie in unserer Ehe mit ihm zusammen, stets hat er mich das Schwere allein machen lassen. Vieleicht fühlt er ja nicht seinen Egoismus. Ich habe hier gar nichts, keinen Luftschutzkeller, keine Gasmaske, nichts. Trotzdem sage ich mir, der Herrgott weiß, was er mit mir will. Wenn Gott es will, Liebchen, sehen wir uns wieder und sonst eben nicht.

Walter ist ein sehr armer Kerl, er leidet sehr und ich will hoffen, dass er bald nach Hause kommt, denn der Arzt hat ihn arbeitsunfähig geschrieben. Es war eine sehr gute Untersuchung für ihn.

Ich war bei Vater im Atelier, es war mal wieder eine böse Nacht und eine Bombe hatte in der Schildergasse eingeschlagen, 2 Minuten von Vaters Atelier. Gott sei Dank ist ihm nichts passiert. Gestern war ich bei Frau Nanzig, sie bat mich um einen Besuch, sie hatte Post von ihrer Tochter vom 15.11.40, vom 24.11.40 und vom 15.12.40. Drei Briefe. Die alte Frau war so glücklich. Ja ich musste daran denken, wie lange ich nun schon kein Lebenszeichen von dir habe und sagte mir unwillkürlich: Warum schreibt denn meine Tochter gar nicht. Sie ist noch nicht mal interniert, lebt frei und kann ihrer Mutter kein liebes Wort senden. Sie hat seit dem 15. Okt. ein Kind, ist selbst Mutter und weiß ihrer Mutter nicht ein Wort des Trostes zu schicken.

Käthe Herz schreibt in einem ihrer Briefe: „Lotte hat mir solange ich hier interniert bin noch nicht einmal geschrieben.“ Was soll ich davon halten. Ich weiß es nicht, Gott möge verhüten, dass dieses aus Eigennutz geschieht, aber ich will es auch nicht glauben, was sie dazu veranlasst, wird wohl kein Egoismus sein, denn das würde mich für immer von dir trennen.

Aber warum gar kein Lebenszeichen? Ja Lotte, der Herrgott hat für alles seine Vergeltung und schon hier auf Erden. Ich hätte auch meiner lieben Mutter manches besser machen können. Ja, da siehst du die Vergeltung und wenn du etwas tust, was deine Mutter schmerzt, durch deine Schuld, mein Kind, Gott sucht dich heim hier auf Erden. Denn gerade um dich hätte ich es nicht verdient. Aber wieder will ich es nicht glauben, wer weiß, wie du in der Fremde zu manchem gezwungen wirst. Wir wollen hoffen, dass sich alles mal aufklärt.

20. Februar 1941

Heute war ich mal wieder bei Frau Oberst Coleman. Ihr Mann ist nun in seiner Heimat. Er sorgt rührend für seine Frau und seinen Sohn. Er hat ihm Lebensunterhalt reichlich bis 1942 auf der Deutschen Bank deponiert, ebenfalls Lebensmittel, damit sie als Amerikaner vor Entbehrung gesichert sind. Ob Amerika noch aktiv in den Krieg kommt. Wir wollen es nicht hoffen. Beten wir zu Gott, dass dieses Völkermorden doch bald zu Ende sein möge. Es ist schon wieder spät, ich will zu Bett gehen. Ob wir Ruhe haben. Also Gute Nacht, Lottenkind, im Geiste sehe ich dich mit deinem kleinen Töchterchen reden von deinen Lieben zu Hause. Gute Nacht.

22. Februar 1941

Die ganze lange Zeit habe ich mich so gefreut, dass Röbi am Sonntag für ein paar Stunden kommt. Ja, das wäre zu schön gewesen. Heute Morgen kommt die Post und bringt einen Brief von ihm. Absender: R. R. S. Reservelazarett. Er liegt auf der Nase mit einer Grippe und ist sehr elend. Immer Enttäuschung. Dann noch eine zweite Enttäuschung: In der Zeitung steht das Verbot, dass man nicht mehr mit dem feindlichen Ausland schriftlich verkehren darf. Ja, so hörte jede Hoffnung auf, irgendetwas von dir, liebes Lottenkind, zu hören. Mein Gott, wofür werde ich so heimgesucht und jede Möglichkeit mit meinen Liebsten zusammen zu sein zerschlägt sich.

14. März 1941

Nachts 4 Uhr im Bett. Ich kann nicht schlafen. Vieles liegt hinter mir, tolle Luftangriffe. Nacht für Nacht, das Elend steigert sich. Ganze Straßen zerstört. Was ist noch ein Menschenleben. Alles geht vor die Hunde und wofür. Für Größenwahn. Die Blüte, unsere Jugend, verblutet wieder einmal. Letzte Nacht haben wir keinen Alarm, dafür hörte man am andern Tage, in Berlin, Hamburg, Bremen Großangriff. Auf dem Land setzt eine wahre Völkerwanderung ein, keiner will in der Stadt bleiben und wer es sich eben erlauben kann, ist fort. Im letzten Angriff, der mal wieder furchtbar die Innenstadt heimsuchte, bekam unser Erzbischof Kardinal Dr. Schulte einen Herzschlag, denn An den Dominikanern, also in die Nähe seines Palais, schlug eine Bombe ein. Röbi liegt noch krank im Lazarett. Und so geht es weiter am laufenden Band. Ich will aufhören, draußen höre ich Abwehrschießen, gleich wird wohl Alarm gegeben.

Anmerkung: Klara schreibt von „tollen“ Luftangriffen. Sie benutzt das Wort im ganzen Tagebuch im Sinne von „verrückt“, „wahnsinning“.

19. März 1941

Heute gehe ich einkaufen, ich schaue in den Briefkasten, dort liegt ein Brief mit amerikanischen Marken. Ein Brief von Amerika? Na, ich öffne ihn, er ist von einem Vetter, Janko. Na, ich las ihn, er teilt mir mit, dass alles bei dir in Ordnung ist, dass deine Tochter Clara heißen soll. Armes Kind! Warum? Soll es auch mal so viel Schmerzliches in seinem Leben mitmachen wie seine Großmutter. Man sagt ja bei uns, dass die Kinder nach ihren Paten schlagen und auch viel Gleiches erleben. Ja, da hätte ich, wenn es mir auch viel Freude macht, gewünscht, das Kind würde Roberta heißen, nach deinem Vater, denn dann würde es sich schon durchzuschlagen wissen und zwar mit viel Ellbogenfreiheit. Wenn es dann noch sein schönes Talent erbte, wäre mir um mein kleines liebes Enkelchen nicht bang.

Jedenfalls wünsche ich dem kleinen Klärchen alles Schöne und Gute, was die Welt ihm geben kann, zuerst gütige, verständnisvolle Eltern, denn dann hat es, was es vorläufig braucht, eine schöne Jugend, denn davon zehrt ein Mensch sein ganzes Leben, dann wird sich das andere finden. Aber darüber kann ich ja beruhigt sein, liebe Eltern hat mein kleines Enkelchen. Ich sehe im Geiste Jacks glückliches Gesicht über sein Kind gebeugt, ich sehe mein liebes Lottenkind als glückliche Mutter, die alles aber auch alles für ihr Kind tun kann.

Also in dieser Beziehung bin ich zufrieden, das Kind ist bei euch gut aufgehoben und ich will den lieben Herrgott bitten, dass bald wieder Friede unter den Menschen ist, und damit auch die Möglichkeit einer Verbindung, dann wird auch bald ein Wiedersehen möglich sein. Möge Gott es bald geben und möge er nicht zugeben, dass die Grausamkeiten noch lange fortdauern, dass sich die Menschen doch endlich besinnen mögen, zu welchem Zweck sie eigentlich auf Erden sind, sich glücklich zu machen.

Viele Luftangriffe haben wir schon wieder mitgemacht. Viel Unglück und Leid hatte es schon wieder über das arme Volk gebracht, wie viele sind schon wieder in einer Nacht obdachlos geworden, wie viele Kinder Waisen, wie viele Eltern verloren schon wieder ihre Kinder, wie viele ihre Geschwister. Jede Nacht kann es uns selbst treffen. Wie lange noch mag Gott uns beschützen, ja wie lange noch? Röbi ist nun schon so lange krank im Lazarett, Kopfgrippe oder, wie er sagt, eine weiche Birne. Ja, bin froh, dass er auf dem Weg der Besserung ist. Hoffentlich sehe ich ihn bald mal wieder.

27. März 1941

Wieder haben wir einen tollen Luftangriff hinter uns, diesmal haben es Deutz und Kalk und die Wohnhauskolonie von Humboldt erleiden müssen. Viele hundert Menschen obdachlos. Vorgestern bekam ich eine Ladung von der Gestapo und heute morgen war ich dort. Ein junger SS-Mann fragt mich, ob ich Beziehungen zu dem feindlichen Ausland hätte. Ich war erst erstaunt und verneinte, da wurde er grob und ich blieb ihm nichts schuldig. Als ich aus der Sache klug wurde, war es ein Brief von dir, der mich so verdächtig machte. Ich wollte den Brief haben und es entspann sich noch eine ziemliche Auseinandersetzung.

Ja, Liebchen, wenn du im Augenblick gewusst hättest, wo ich mich befand, ich glaube, du wärest leicht beunruhigt worden. Aber alles geht vorüber und ich zog mit meinem Brief ab. Natürlich wurde mir streng verboten, irgendwie Nachricht heraus zu lassen. Ja, so weit sind wir, dass wir nicht einmal von unsern Liebsten etwas Harmloses hören können. Ja, ich ging und in der Bahn las ich schon deinen Brief. Ich war so froh, dass ihr noch alle gesund seid. Ich habe ihn dann zigmal gelesen und bin zu Bully gegangen, sie hat sich auch unendlich gefreut. Danach, wie wir ihn alle auswendig konnten, habe ich ihn Röbi geschickt, damit er sich auch freute. Er muss ihn dann wieder zu uns senden.

Inzwischen geht der Krieg weiter und ich überlege, wie ich dir doch mal ein Lebenszeichen geben kann, dass es uns allen gut geht und dass wir alle gesund sind. Ich muss Bully fragen. Vieleicht darf sie noch nach ihrer Freundin schreiben. Frau Nanzig bekommt auch keine Nachricht, die arme alte Frau. Demnächst, wenn Röbi den Brief wiedergesandt hat, gehe ich zu ihr und lese ihn ihr vor, dann freut sie sich. Ich muss sie immer trösten.

Ja so geht das Leben weiter, schwer, sehr schwer. Walter hat Studienurlaub bekommen. Er hat sich auf der Uni wieder angemeldet und nun geht die Misere mit dem Alten wieder los. Er muss das Geld geben und da wird es immer schlimmer. Wenn man den nicht zwingt, dann bekommt man nichts. Wie das hier im Haus noch geht, weiß ich nicht, gar kein Schutz vor Luftangriff, keine Gasmaske. Keinen Raum, der sicher wäre, um sich aufzuhalten. Na, wir wollen es dem lieben Gott überlassen, er wird schon wissen, wofür alles gut ist.

Ostern, 13. April 1941  

Es hat sich nicht viel ereignet hier zu Hause. Röbi schreibt immer seltener. Walter macht sich für sein nächstes Semester bereit. Luftangriffe waren auch nicht viele, werden zwar für die nächste Zeit angesagt, aber das wartet man ja besser ab. Dein Vater wird immer schwieriger. Jetzt droht er Walter wieder. Er hat ihm durch den Rechtsanwalt P., den er wohl auch mit jeweiligen Geschenken gefügig macht, gedroht, ihm sein Studium nicht zu bezahlen.

Ich hatte einmal eine Unterredung mit Kurt, der mir riet, jetzt mal ganz energisch auf meine Rechte zu pochen, zumal ich das auch sehr nötig habe, denn ich muss nun heute endlich mal was für meine Gesundheit tun. Ich gehe nun zu Frau Schuhmann zur wöchentlichen Behandlung. Mein Herz will nicht mehr, es hat schon zu viel abgekriegt, und sie meint, wenn ich nichts für mich tue, sehe ich meine Tochter nicht wieder. Ich habe es bis jetzt von meinen armen Groschen bezahlt, aber ich kann es nicht mehr, zumal ich Walter auch durchschleppen muss. Denn der Alte gibt mir nichts für ihn. Ja ihr habt einen herrlichen Vater.

Kurt sagt, ich solle mal verlangen, endlich Einblick in unsere Vermögensverhältnisse zu bekommen. Frau Schuhmann verlangt, etwas für meine Gesundheit zu tun, mit Walter fängt sein altes latentes Leben wieder an. Ich wünschte, ich könnte endlich mal von all diesem Elend fort. Das einzige, was ich möchte, abhauen. Fort aus diesem Elend. Aus diesem ewigen Gezeter deines Vaters. Ich könnte für ganz wenig Geld tief in Westfalen sehr ruhig und gesund den Krieg abwarten. Eine befreundete Familie hat mich eingeladen, aber dann habe ich Walter am Hals, ihn hier ernähren und dort leben kann ich nicht, das ist zu viel für meine Finanzen und ich kann Walter nicht hier alleine sitzen lassen.

Ich will es dem Schicksal und der Zeit überlassen. Vielleicht hat Letztere auch mal etwas Gutes für mich. Wann mag der Krieg zu Ende gehen. Mein Gott, je länger es wird, je verwickelter wird die ganze Sache. Der Hass wächst nur mehr. Jetzt auch noch der Balkan. Wie soll das noch werden. Ob wir uns je wiedersehen? Oft sage ich mir, wäre das doch alles nicht gekommen. Ja, wenn ich da nachdenke.

Was hat dein lieber Vater schon alles durch sein liebloses Wesen für Unheil gestiftet. Wäre er damals nur ein bisschen verständnisvoller gewesen, dann wäre das alles nicht gekommen. Dann wärest du hier geblieben. Aber wieder sage ich mir, Gott allein lenkt unsere Wege und er weiß auch, wofür er das alles geschehen lässt. Ja das ist auch mein einziger Trost, Gott will es so.

Mit Reinemanns komme ich nun auch nicht mehr zusammen. Nach dem Unglück in ihrem Haus mag Frau Reinemann nicht mehr dort schlafen, sie fühlt sich nicht sicher und fährt täglich abends nach Odenthal schlafen. Sie müssen dann schon früh am Nachmittag gehen. Ja und da fallen unsere Abende aus. Frau Floeck ist meist in Bonn bei ihrer Schwester, sie will auch nicht allein sein und so hab ich schließlich keinen Menschen mehr als Walter.

Ja, und das ist ein Kapitel, das mir nur Sorgen macht. Was soll aus dem noch werden. Auch das überlässt man am besten der Zeit. Ich kann es nicht ändern. Nun ist er schon 24 Jahr und noch immer nicht selbstständig. Röbi war lange nicht im Urlaub, er hat lange im Lazarett gelegen an Grippe. Ich wollte ihn besuchen, aber er wollte es nicht. Ja ich werde oft aus niemand klug. Nun ist er wieder besser, ob er wohl bald mal wieder auf einen Sprung nach Hause kommt, wenn es auch nur für Stunden ist, man hat sich mal wieder.

Und so sitze ich hier und denke zurück, denke an dich, wie mag Lotte wohl Ostern verbringen? Ja, ich denke nur an dich, ich denke nur nebenbei an deinen Mann und ich muss gestehen, auch nur nebenbei an dein Kind. Ich denke nur an dich und sehne mich nur nach dir. Ich freue mich und danke Gott, dass du heute Mutter bist, dass du etwas hast, was dein Leben ausfüllt, was du liebst und was dir alles ersetzt, was dir Arbeit macht, damit du über diese entsetzliche Zeit kommst.

Ich bete zu Gott, dass er dir dein Kind gesund erhalten und es dir zum guten Menschen erziehen hilft und es dir nicht zu schwer macht. Ja und ich danke Gott, dass du einen guten Mann hast, der dir in Allem Stütze ist, zu dem du gehen kannst und dein Herz ausschütten kannst, wenn es dir zu schwer wird. Ich glaube doch, dass du das kannst. Ja, Liebchen, nun will ich Schluss machen für heute. Ich konnte nicht schlafen und sitze hier allein, es ist Nacht oder vielmehr Morgen. Es ist genau 5.20 Uhr. Was mag der Tag bringen?

Anmerkung von Clare Westmacott: Kurt Korsing war ein Freund der Familie, gehörte zu ihrem engsten Kreis und war einst mit meiner Mutter verlobt gewesen. Er war Anwalt.

19. Mai 1941

Lange lange habe ich nicht mehr geschrieben. Gestern war Muttertag. Ja, Liebchen, zum ersten Mal in diesem Jahr bist du nun auch Mutter. Röbi schrieb mir nicht trotzdem er es konnte. Ja, ich musste unwillkürlich in meiner Enttäuschung an dich, mein Lottenkind, denken, wie du doch immer an solche Tage dachtest und mich überraschtest. Ja, Liebchen, ob das noch mal wiederkommt? Ob wir uns noch mal wiedersehen.

Nach dieser Schreckensnacht bezweifele ich es. Furchtbar war der Angriff und um mich herum Einschläge. Nach dem Angriff brachen meine Nerven zusammen, ich musste furchtbar weinen, ich konnte mich nicht mehr halten, dann, es war morgens halb 4 Uhr, ging ich mit Walter das Elend ansehen, ich kam in die Voigtelstraße, da sah ich von Ehrenfeld Brände, nichts wie Brände, die Flammen schlugen zum Himmel haushoch. Eine Gummifabrik brannte. Wir gingen hin, ein Benzintank flog nachträglich in die Luft. Wir brachten uns in Sicherheit.

In der Nacht sahen wir noch drei andere Brände. Wir kamen über die Oskar-Jäger-Straße zurück zur Aachener Straße und von der Kitschburgerstraße war alles zerstört. Ich sah die Sparkasse, Kurts Wohnung, alles zerstört. Kurt war in seiner Wohnung, die Trümmer forträumen.  Ja, und in meiner Nähe an der Kirche die Häuser zerstört. Schlimm ist es, alle meine Lieferanten liegen in diesem Unglücksdistrikt, ich kann nichts einkaufen und das wenige, was man bekommt, kriege ich nun auch nicht.

In der Stadt die Hohestraße, das Rathaus, Mülheim, 18 Leute im Luftschutzraum getötet. Deutz viele Zerstörungen und wir kommen noch mal wunderbar durch. Der Fall Heß ist ja nun auch vorbei wie man hier sagt. Ob er wirklich vorbei ist? Ich weiß es nicht, die nächste Zukunft wird es lehren. Ich hatte schon gehofft, es würde nun plötzliche Änderung bringen, ich habe den lieben Gott darum gebeten, aber bis jetzt hat sich noch nichts geändert. Was wird kommen? Der Abend bringt nur Angst vor der Nacht und morgens sind wir zufrieden, wenn es wiedermal gutgegangen ist. Aber wie lange noch?

Käthe hat mir auch geschrieben, ich werde ihr antworten, vielleicht erreicht sie der Brief und durch sie auch dich mein Liebchen. Ach, wie sehne ich mich nach dir. Diese Sehnsucht hält mich nur hoch, nur allein diese Hoffnung lässt mich all das Elend mitmachen. Dein Brief machte mich glücklich, trotzdem ich hier zur Gestapo musste. Na, ich will nicht mehr daran denken, trotzdem es wert wäre, alles hier niederzuschreiben. Ja Kind, ich will nicht daran denken, zumal mir Gott wieder einen anderen Ausweg offen machte, durch Käthe mit dir zu schreiben. Ich will es wenigstens versuchen.

Anmerkung von Clare Westmacott:  Meine Großmutter erwähnt hier den Flug von Rudolf Heß nach Schottland, wo er ein Friedensabkommen mit dem Duke of Hamilton auszuhandeln hoffte. Heß wurde festgenommen und bis Kriegsende in Großbritannien gefangengehalten. Beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt. Im alliierten Militärgefängnis in Berlin-Spandau nahm er sich 1987 im Alter von 93 Jahren das Leben.

28. Mai 1941

Mutter, heute gibt es mal wieder Zunder, sagt Walter, lege dich angezogen etwas auf das Bett, wenn du müde bist. Das kann ich nicht, ich muss mich ausziehen, um zu ruhen. Also bleibe ich auf. Aber die Müdigkeit ist zu groß. Ich ziehe mich nun doch aus und gehe zu Bett mit dem Gedanken: Vielleicht kommen sie nicht, aber sie kommen, eine halbe Stunde später ist Walter an meinem Bett und weckt mich. Denn auch heute trotz allem habe ich den seligen Schlaf, den ich immer hatte. Ich höre keine Sirene und wenn ich allein im Hause bin, weckt mich erst der Tommy mit seiner herrlichen Musik und dann ist es zu spät für öffentliche Luftschutzkeller, dann überlasse ich mich gewöhnlich meinem Schicksal, was Gott für mich bereitet hat.

Also: Walter weckte mich, wir bekommen natürlich Krach, weil ich mich zu langsam anziehe. Und da mir das wichtiger ist als alle Tommys und Billys zusammen, lasse ich alles kommen, über mir das tollste Höllenkonzert, unter mir im Wohnzimmer Walters Schimpfen und ich ganz kalt. Na, ich gehe mal runter, ich gehe durch das Haus, da, was ist das? Die Erde, das Haus zittert, ein Pfeifen, die Hölle ist los, ich stehe unten zusammengekauert, ich zittere am ganzen Leibe und denke: Also das ist das Ende.

Da tritt Ruhe ein, ich lebe noch, Walter lebt noch und wieder geht es los. Walter kommt, wir stehen zusammengekauert, eng umschlungen, und erwarten das Unvermeidliche. Aber es kommt auch diesmal nicht. Ja Liebchen, es geht vorüber, die Entwarnung kommt. Ich gehe herauf, sehe aus dem Fenster, da, was ist das, ganz Lindenthal brennt. Wo ist das. Was mag es sein. Walter meint die Uni, nein, es ist mehr rechts. Wir können nicht schlafen, ich muss heraus.

Walter und ich gehen durch den Stadtwald, über uns ein herrlicher Sternenhimmel, aber wir haben keinen Genuss daran: Wir riechen Brand, wir gehen dem Feuer entgegen, überall Feuerwehrgeläute. Wir kommen zur Dürener Straße. Mein Gott, wie furchtbar! Ein Flammenmeer. Das Corsokino brennt, nebenan eine chemische Fabrik, der ganze Block Hitlerstraße, Lortzingplatz, Theresienstraße, Dürener Straße steht in Flammen.

Ich gehe zu Reinartz. Wie sieht es da aus. Brandbomben sind eingeschlagen, sie saßen im Keller und über ihnen brannte das Schlafzimmer. Den Kindern ihr bisschen Hab und Gut. Alle Schuhe, alle Papiere, Geld, Wäsche, alles, alles. Sie hatten gespart, sich auf ihren Urlaub gefreut und alles zunichte. Wir gingen still jeder in seinen Gedanken nach Hause, wir mussten noch eine Stunde wenigstens schlafen. Walter musste früh zur Arbeit und es war 5 Uhr wie wir nach Hause kamen.

29. Mai 1941

Heute nach Tisch ging ich, um mir Lindenthal anzusehen. Ich ging durch den Stadtwald durch die Wüllnerstraße. Da waren noch die Zerstörungen vom vorletzten Mal. Dr. Paas‘ Elternhaus zerstört, weiter zum Lortzingplatz. Viele Bombenkrater, die linke Seite total zerstört. Ich kam zur Dürener Straße bis zur Geibelstraße, Schallstraße bis zur Uni alles Schutt, dann ging ich durch die Bachemer Straße, kam zur Schule an der Lindenburg, zerstört.

Na was soll ich sagen und schreiben, ich kam bis zur Pfarrkirche. Sie war nur noch ein Haufen Schutt und Steine, nur der Turm stand noch einsam in all diesem Elend, gleich einem Schwurfinger ragte er in die Luft. Ich ging zur Dürener Straße, zu den Reins konnte ich nicht hinauf gehen. Dieses stille sich Schicken ins Unabänderliche, nein es geht über meine Kräfte, in mir ist alles Revolte und für Resignation habe ich kein Verständnis. Also ich ging wieder durch den Stadtwald nach Hause.

Still und einsam war mein Haus, ich ging durch alle Zimmer, ich ging in den Garten. Alles still und voll Frieden. Unwillkürlich dachte ich die letzten 15 Jahre zurück. Viel Kampf, aber auch viel Freude. Ich sehe euch klein und sehe euch größer werden. All euer Leid, all eure Freuden brachtet ihr zu mir. Und nun nach all diesem Krieg, wahnsinniges Morden zu Hause wie an der Front und kein Ende zu sehen bis alles zerstört ist. Ja und dann? Ja ihr neunmal weisen Herrn und Führer, was dann. Herr Gott im Himmel, hast du denn kein Einsehen, kein Erbarmen.

1. Juni 1941, Pfingsten

Es ist alles ruhig. Scheinbar ist es zu diesig und sie können nicht kommen. Bei mir ist Umzug. Dienstag gehe ich mit den besten Sachen, die ich an Wäsche und Kleidern habe, ins Bergische Land. Ich habe da zwei Zimmer gemietet. Ich bin da wenigstens für die nächste Zeit sicher. Walter muss arbeiten und kann nicht mit. Ich pendele nun zwischen Köln und dem Land und ich wünschte, ich könnte dort bleiben.

Röbi schreibt, dass er viel Erfolg in seinem Beruf hat. Er malt und zeichnet seine Vorgesetzten und ich wünschte, dass er auf diese Weise seine Zeit vorbei bekäme. Ja, Lottenkind, wann mag es wieder sein, wann mögen wir diese Zeit vorbei haben? Wann mögen wir uns wiedersehen. Ob es überhaupt sein wird? Ach, wenn ich denke, nein, nein, lass mich nicht denken, denn dann werde ich ganz mutlos. Denn Gott wird doch das nicht zugeben, dass wir uns nicht wiedersähen.  Aber ich sehe auch gar kein Ende.

Nun ist dein Kleines Töchterchen schon 8 Monate und ich sehe sie vielleicht überhaupt nicht. Ach, ist das Schicksal hart. Dieser Tage muss ich mal wieder zu Frau Nanzig gehen. Sie ist auch so einsam. Frau Floeck hört auch nichts von ihrem Sohn. Und nun geht es morgen herüber hinter Marialinden. Es ist eine herrliche Gegend und ich wünschte, ich könnte immer dort bleiben. Reinemanns sehe ich auch nur noch selten. Sie sind meistens im Odenthal. Dein Vater lebt für sich, er lässt sich alles machen und passt gut auf, dass ich ihm nicht in die Karten sehe. Er fühlt sich eben uns gegenüber so. Er wird mir so lange er lebt fremd sein. Ja Kind, das Schicksal ist hart und grausam.

10. Juni 1941

Auf einer Bank im Bahnhof Vilkerath im Bergischen Land früh morgens erwarte ich den Zug nach Köln. Ich war vom 8. Juni an in meiner Sommer-Residenz. In der Nacht hörte ich einen Angriff auf Köln. Ich habe keine Ruhe mehr, will mal nach dem Rechten sehen. Da Walter wieder als Werkstudent arbeiten muss, kann ich ja nur auf kurze Zeit fort.

Ich habe in den paar Tagen Fressalien gesammelt. Eier, etwas Butter, sogar etwas Speck, Wurst und einige wichtige Lebensmittel, die du in der Stadt für die besten Worte nicht bekommen kannst. Ja die Kaufleute in der Stadt. Der Wucher und Schleichhandel treibt wieder seine tollen Blüten, genau wie im Weltkrieg. Ein Pfund Kaffee 30.- Mark. Fett, Butter, tolle Preise, und wer Geld hat, hat eben auch heute noch alles.

Vorige Woche war ich bei meinem Gemüsehändler, ich lief ihm schon die Tür ein für etwas Spargel: Jahrelang habe ich nun keinen mehr gegessen. Er versprach immer und immer wieder. Zuletzt sagt er, wenn ich Spargel haben will, muss ich 10.- Mark extra zahlen für ein kleines Kistchen. Ich war empört, er lachte und meinte: Die reichen Leute machen das doch alle. Ja Liebchen, so geht es mit uns, bald werde ich auch auf dem Land nichts mehr bekommen, denn das Laster greift auch dorthin über.

Ich bin lange gelaufen gestern Nachmittag, in all die einsamen Bauernhöfe und bei den meisten bekomme ich nichts, es wurde Zeit, das ich meinen Zug nach Hause erreiche, aber vergeblich habe ich mich abgehetzt, der Zug ist weg. Und ich muss hier bleiben über Nacht und morgen früh fahren. Wie wird Walter das aufnehmen, seine Futtervorräte werden alle sein. Der arme Kerl, er ist doch immer hungrig und muss doch auch den ganzen Tag arbeiten. Aber ich kann ihm nicht helfen und mir auch nicht, ich muss zurück in die Berge und die Nacht dort bleiben. Also los. 1 ½ Stunden zurück. Und ich bin so müde.

Ja und nun bin ich zurück, nächsten Morgen in Köln, und ein großes Durcheinander empfängt mich. Warum sind diese Menschen alle so unordentlich? Ich glaube, wenn sie es selbst machen müssten, würden sie nicht so rücksichtslos sein. Keine Post da. Nein, Röbi schreibt sehr wenig, trotzdem ich ihm ein Paket geschickt habe, was mir doch so schwer wird.

Und von dir Lottenkind, ja wann bekomme ich mal wieder ein Lebenszeichen von dir? Ich bitte Gott täglich darum, auch auf die Gefahr, dass ich wieder zur Gestapo müsste. Also nichts. Aber doch etwas Erfreuliches, Biba schickt seiner Mutter gute Nachrichten. Wir hatten schon Angst, dass ihm bei der Besetzung Kretas etwas passiert war. Gott sei Dank! Ich muss doch mal zu seiner Mutter gehen, und mich nach ihm erkundigen. Hier ist durch die Flieger nichts passiert. Gott sei Dank. Meine Befürchtungen unnütz.

14. Juni 1941

Nacht für Nacht haben wir jetzt Angriffe auszuhalten. Walter wird es sehr schwer, er muss um 5 Uhr morgens heraus und dann regelmäßig keine Nachtruhe. Und dann all das Elend. Gestern haben sie den Hauptbahnhof getroffen und stark demoliert. Auch der Dom hat fast dran glauben müssen, aber es hat noch mal gut gegangen. Die Ostseite ist beschädigt worden. Gott sei Dank, die wundervollen Fenster hatte man zeitig herausgenommen. Deutz, Kalk und viele Vororte sind wieder mitgenommen worden. Letzte Nacht waren sie wieder bei uns in Braunsfeld in der Eupener Straße. Ja, wir stehen alle in Gottes Hand und wollen hoffen, dass alles vorbei geht.

Plötzlich gestern Abend kommt Röbi mal wieder herein. Das ist immer eine große Freude. Der gute Junge, er brachte mir 40.- Mark mit. Ja, anstatt dass ich ihm Geld gebe, gibt er mir. Er ist was Gutes. Hoffentlich schützt Gott ihn und erhält ihn mir. Die Nacht vom 13.-14. war sehr schwer für uns, es ist furchtbar. Ja, und in diesem furchtbaren Angriff blieb Frau Linz, sie bekam Herzkrämpfe und starb dann in dieser entsetzlichen Nacht. Ja, sie hat nun Ruhe, es ist schwerer für ihre Angehörigen.

Ich werde es nicht vergessen. Ich kam am andern Morgen vom Einkauf zurück, da traf ich die beiden Töchter und frug, wo der Angriff der letzten Nacht gewütet hatte. Sie wussten es nicht, sie hatten geweint, ich frug nach ihrem Leid und sie sagten: Unsere Mutter ist tot. Es war mir schrecklich, denn ich hatte den Tag zuvor noch mit Frau Linz gesprochen. Ja, Lottenkind, da muss man unwillkürlich sich sagen: Herr, dein Wille geschehe.

19. Juni 1941

Nun haben wir Nacht für Nacht den furchtbarsten Schreck mitgemacht. 7 Nächte hintereinander Fliegerangriffe. Flugblätter werfen sie ab, dass sie Köln dem Erdboden gleich machen. Na, mir kanns recht sein. Ich habe keine Schuld daran und wenn der Herrgott sich das alles mit ansieht, warum ich nicht. Es tut mir nur leid, das Röbi, der nun gerade 8 Tage Urlaub hat, um seine Nachtruhe kommt, aber er lässt sich durch den Tommy nicht stören, höchstens durch mich, denn bei jedem Bombenabwurf bin ich schon wieder an seinem Bett und erkläre ihm, dass er aufzustehen hat.

Aber er will seine Nachtruhe haben und pennt ruhig weiter und wenn dann die Hölle los ist, dann schläft er ruhig weiter, und morgens fragt er, ob die Engländer da waren. Ja so was wie mein Röbichen gibt es nur einmal. Und heute ist er wieder fort. Ich sehe ihn noch um die Ecke gehen. Es war mir sehr hart. Meinen lieben Jungen in seiner Reiteruniform mit seinem lieben Gesicht. Wolle Gott ihn mir nur erhalten.

Und Liebchen, nach dir habe ich die letzten Tage wieder tolles Heimweh, überall sehe ich dich, ich kann mich nun mal nicht darein fügen, trotzdem ich mir immer und immer sage, es muss ja mal ein Ende nehmen. Aber wann? Aber bei all dieser Vernunft kann ich diese Sehnsucht nicht unterdrücken. Und ich habe ja auch nur Sehnsucht nach dir. Nicht nach Jack, nicht nach deinem Kind, nur nach dir.

Und nun ist es Abend und wir gehen zu Bett, um etwas zu ruhen, ehe wieder ein Angriff kommt. Hoffentlich kommt Röbi gut in seiner Kaserne an, ehe der Tommy kommt, denn er muss durch den Kohlenpott und das ist heut sehr gefährlich. Aber Gott wird ihn mir beschützen, den guten Kerl.

21. Juni 1941

Ich liege in meinem stillen Zimmer in Niederhof. Da höre ich in der Nacht plötzlich den Donner der Flakgeschütze von Köln. Es muss toll zugehen. Ich stehe auf, von meinem kleinen Fenster habe ich nun schon die zweite Nacht dieses Drama. Walter ist in Köln, ich habe ihn so gebeten, doch herauf zu kommen, aber er will nicht, er sagt: Ich bin Samstag zu müde, ich komme um 2 Uhr nach Hause und dann will ich mich ausschlafen einmal in der Woche. Er geht in den öffentlichen Luftschutzkeller. Und so bin ich etwas beruhigt. Aber wer hat wieder dran glauben müssen. Was hat der Krieg nun schon für Opfer gekostet. Ob Röbi gut angekommen ist?

23. Juni 1941

Eben komme ich in mein Zimmer zurück. Es ist sehr heiß und ich bin sehr elend von allem Laufen, bei den Bauern weit ab muss ich oft laufen, um ein paar Eier zu bekommen oder noch öfter, um keine zu bekommen. Aber dieses Mal habe ich 15 Stück bekommen und das kam so: Eine Bäuerin, die kurz vor ihrer Entbindung steht, hatte mich dazu ausersehen, ihren alten gebrauchten Kinderwagen von innen neu auszuschlagen. Und Liebchen, ich in diesen Dingen so ungeschickt und ich ungeduldige Person habe es gemacht und zum Entzücken der Bäuerin gut gemacht. Einen ganzen Morgen bei toller Hitze habe ich es für 15 Eier gemacht. Die habe ich dann redlich unter drei geteilt. 5 dein Vater, 5 Reinemanns, die mir auch immer so gut sind, und 5 ich.

Ja Lottenkind, wenn du dieses liest, haben wir ja alles hinter uns, auf diese oder jene Art. Vielleicht sitze ich dann bei dir, Liebchen, und wenn nicht, wird Bully es dir erklären, wie wir oft, sehr oft zusammen gesessen haben und hin und her überlegt haben. Jetzt haben wir nun schon 13 Nächte Luftangriff und der Tommy wird den Westen sehr oft noch beehren.

Heute Morgen kam ich aus dem Bergischen und sah den Bahnhof. Diese Zerstörung, und höre dann in unserem Sender: Der Feind flog mit geringen Kräften ein und verursachte geringen Sachschaden. Der „geringe Sachschaden” ist dann gewöhnlich so ungefähr: 17 schwere Bomben in die Werke in Leverkusen mit mindestens 40-50 Toten, oder ein Lufttorpedo reißt 4-6 Häuser fort, ebenso viele Tote, zerrissen oder mit geplatzten Lungen und dann hört man diese Meldungen. O deutsches Volk, dein glorreicher Führer sagt ja selbst in seinem Buch „Mein Kampf”: Das Deutsche Volk ist eine große Hammelherde. Wie lange noch?

10. Juli 1941

Wieder ist eine Zeit vergangen, oft, ja fast jeden Tag waren die Feinde hier, haben auch Manches angerichtet, aber wie beim letzten Male war es noch nie. War das eine entsetzliche Nacht, wollte nicht vergehen. Endlich warfen wir uns todmüde auf das Bett. Am andern Morgen musste ich nach Köln. In der Straßenbahn konnte man nur bis zum Opernhaus kommen. Ich musste nach Mülheim und noch weiter. Ich ging bis zum Neumarkt. Welch ein Anblick! Der ganze Neumarkt ein Bombentrichter. Das Bürgerhospital noch am brennen. Haus Lords ein Trümmerhaufen. Zeppelinstraße dasselbe.

Ich ging zum Heumarkt. Derselbe Anblick. Der alte Gürzenich. Eine Zerstörung. Und weiter. Der Bahnhof, hinter dem Bahnhof bis zum Eigelstein der schrecklichste Anblick. Ich sah ein, dass ich nicht nach Höhenberg kam und gab es auf. Ich ging zurück, in der Apostelnstraße brannten Häuser, Friesenstraße, Christophstraße, alles brannte. Die Feuerwehr hatte nicht Wasser genug zum Löschen. Ich ging nach Hause. Was sollte ich machen? Fortgehen. Ins Bergische Land?

Ich habe deinen Vater schon so oft gebeten, mir etwas Geld zu geben, im Falle dass man einen Notpfennig hat. Dass man nicht so ohne alles dasteht. Aber nein. Ich habe noch nie so stark seinen Egoismus kennengelernt. Ich weiß im Augenblick nicht, was ich machen soll. Es ist alles so furchtbar. Ich stehe so allein. Wäre doch Röbi da. Er ist der einzige Mensch, wo ich mit sprechen kann. Walter ist 100prozentig dein Vater. Wenn ich sehe, wie dieser Mensch alles an sich gefühllos vorbei gehen lässt, sich drückt, wo er kann, und wie er das macht, dann erwachen Erinnerungen an Tage, wie dein Vater es genau so macht. Walter ist ganz der Sohn seines Vaters.

11. Juli 1941

Gestern ging ich durch das brennende Köln, die ganze Nacht hat Köln gebrannt. Der Anblick ist furchtbar. Hier stehen Bahnen verdeckt, dort siehst du Kinder in ihren Hemdchen mit bloßen Füßen elternlos herumlaufen oder spielen, ihres Elends Gott sei Dank nicht bewusst. Walter kommt nach Hause. In das Werk, wo er als Werkstudent arbeiten muss, haben nachts 17 Bomben eingeschlagen, sie können nicht arbeiten. In einer Nacht wurden 3600 Menschen obdachlos und wie viele viele Tote. Man wird es nicht gewahr und vom Rundfunk werden wir lächerlich belogen. Wie immer. Man sagt in einer schrecklichen Nacht: 24 Tote. Wenn du aber noch mal eine Null daranhängst, hast du noch nicht die Opfer einer Nacht.

13. Juli 1941

Heute, Sonntag, hat mein liebes Lottenkind Geburtstag. 29 Jahr wirst du alt, Liebchen. Ich kann es nicht glauben, dass die Zeit so vorbei gerast ist. Und doch, wie lange Zeit sind 29 Jahre. Wie viel Freud und Leid enthalten die 29 Jahre für mich, nein, für uns beide. Aber wie lange wird es noch werden bis wir wieder zusammen unseren Geburtstag feiern. Vieleicht noch recht lange. Wer weiß. Ich war heute Morgen in der Kirche und weihte meinem Lottenkind, meinem einzigen Töchterchen, die hl. Messe. Lange habe ich nicht mehr so andächtig beten können als in dieser kleinen Dorfkirche, und wenn alles in Erfüllung geht, worum ich den Allmächtigen gebeten habe, ja dann werden wir noch mal glücklich sein.

14. Juli 1941

Früh morgens muss ich herunter, um wieder nach Köln zu fahren in den Alltag, in das Elend, das der Krieg in unsere schöne Stadt gebracht hat. Röbi schreibt von Münster: In Münster sieht es grauenhaft aus. Ein Soldat behauptet: Münster sehe genau aus wie Lille nach der Erstürmung. Alle Frauen und Kinder sind evakuiert.

Anmerkung von Clare Westmacott: Lille in Nordfrankreich hat in seiner Geschichte mehrere Belagerungen durchgemacht, aber der Soldat bezieht sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Belagerung im Ersten Weltkrieg. Lille wurde im Oktober 1914 von deutschen Truppen besetzt, nachdem sie die Stadt beschossen und schwere Zerstörungen verursacht hatten.

26. Juli 1941

Heute werde ich 52 Jahre und hier sieht es nach einer furchtbaren Nacht in nächster Nähe furchtbar aus. Diesmal hat es uns in nächster Nähe gepackt. Hinter unserm Haus prasselten diese Nacht die Bomben herunter. 7 tiefe Bombentrichter zeigen in der Friedrich-Schmidt-Straße, was diese Nacht los war. Die Häuser sind zerstört und bei uns das Dach und die Fenster. Wie durch ein Wunder sind wir der Vernichtung entgangen. Und im Stillen sage ich mir, was hebt das Schicksal für uns auf?

1. August 1941

Nun ist schon tagelang Ruhe. Eine Erwartung erfüllt uns. Walter sagt: Mutter, mir graut vor allem, was vor uns liegt. Was mag uns der nächste Tag bringen? Es ist eine unheimliche Ruhe.  Ja, Liebchen, ich kann dir nichts anderes mitteilen, wir erleben nun das Elend aus nächster Nähe. Wenn ich in die Stadt gehe, muss ich weinen. Fieberhaft wird überall gearbeitet und wenn ich es sehe, sage ich immer, wofür? Lieber Gott, was haben wir getan, dass wir so leiden müssen. Bald ist wieder Winter und was dann. Wir haben schon heute im Sommer nichts, keine Kartoffel, kein Fett, alles ist knapp oder gar nicht zu haben. Und das jetzt schon. Was bringt uns der Winter. Es hat bald keinen Zweck mehr weiter zu schreiben. Es ist ja doch immer dasselbe Elend.

Bully war da. Ich war aus, sie hat mich nicht angetroffen. Sie ist über das Gartentor geklettert und hat mir alles auf den Tisch gelegt. Ja, Lotte, da alle Scheiben entzwei sind, hat die Gute freien Eingang. Sie brachte mir Blumen und Wein von ihrer Mutter zum Geburtstag nachträglich. Sie ist nun schon 3 Mal vergebens hier gewesen. Ich muss mal hingehen. Es ist doch gut, dass man noch gute Menschen hat. Wenn auch nur ganz wenig. Röbi will auch Freitagabend auf ein paar Stunden herüber kommen, was mag er wieder für Neuigkeiten bringen. Ich muss mal zur Frau Nanzig gehen, habe schon wochenlang nichts von ihr gehört. Käthe soll ja nicht mehr auf der Isle of Man sein.

7. August 1941

Eine Zeitlang habe ich nichts eingetragen. Was denn auch. Die täglichen oder vielmehr nächtlichen Besuche Olde-Englands, ach nein, immer dasselbe Elend. Oder mein Geburtstag, der mir auch dieses mal nicht brachte, was ich so heiß wünschte. Röbi schrieb auch nicht, Walter schenkte mir 2 englische Bücher. Ich habe mich über seine Aufmerksamkeit gefreut. Dann kam er noch und brachte mir eine sehr geschmackvolle Puderdose. Doch ein paar Tage später erschien plötzlich Röbi für 2 Tage. Wir haben uns sehr gefreut.

Zu meinem großen Leid erzählt er mir aber, dass er vom Arzt auf Tropenfähigkeit untersucht und für tauglich befunden wurde. Also auch dieses soll mir nicht erspart bleiben. Röbi freut sich, aus dem Einerlei heraus zu kommen, und ich will ihm nicht den Kopf vollhängen, doch wie ich ihn am Morgen zur Bahn bringe und wir Abschied nehmen, kommen uns beiden die Tränen.

Hier sitze ich nun und schreibe, ich friere, trotzdem August ist, ist es kalt. Ich muss sagen, einen solch kalten August habe ich auch noch nicht erlebt. Und zu allem Übel hat der Tommy mir alle Fenster eingeworfen. Das Dach ist kaputt, im Badezimmer ist die Decke herunter, es war eine tolle Nacht und doch denken wir Gott, dass er uns bewahrt hat. Wie viel Leid kommt jede Nacht über Köln. Ach ich will nicht mehr daran denken. Es ist zu viel des Elends.

12. August 1941

Mein und meines kl. Enkelchen Namenstag. Ja Liebchen, deines Kindes erster Namenstag! Ich hätte ihn mir auch anders vorgestellt. Aber davon bin ich überzeugt, er wird nicht als Richtschnur ihres Lebens gelten. Ich wünsche heiß an diesem meinem Namenstag, dass die Namenstage meines kleinen Enkelchens und Patenkindes sich immer freundlicher gestalten werden. Ich für meinen Teil erhoffe nur für die kommenden Jahre Friede und Ruhe. Gott möge meinen heißen Wunsch erhören und mich bald wieder mit meinen lieben Kindern zusammenbringen. Mein Namenstag war nicht sehr schön, keiner hat an ihn gedacht. Ich musste daran denken, Lottenkind, wie du dich immer schon Wochen vorher sorgtest, und war überzeugt, wenn du hier wärst, wie ganz anders es dann sein würde. Ich habe viel Last mit meinem Haus, das Dach auf, die Fenster zerstört, überall regnet es herein und zieht und man bekommt nichts gemacht. Wie soll das im Winter gehen. Mir graut davor.

23. August  1941  

Wir haben ziemlich Ruhe vor deinen Landsleuten und können schlafen. Diese Nacht kamen sie zwar, waren aber rasch wieder fort. Walter und ich wissen nun schon genau, wann wir aufstehen müssen und wann nicht. Ja Liebchen, hier ist viel, viel Leid, wie viele unserer Besten sind nun schon gefallen, wie viele sind hier an nächtlichen Angriffen gestorben. Ich könnte all das Elend hier nicht niederschreiben, aber wenn Gott uns gesund lässt, erzähle ich dir alles. Hier gibt es augenblicklich keine Kartoffel, wochenlang haben die armen Menschen kein Ei, kein Gemüse, kein Fleisch, nichts, nichts, nur Schleichhandel. Bonzen haben alles und das arme Volk hat nichts, muss Tag und Nacht arbeiten.

Dein Vater ist mal wieder zum Schwarzwald dieses Jahr das zweite Mal. Er meint, das Haus müsse zum Winter geheizt werden und deshalb solle ich noch einmal durchhalten. Ja, wenn ich nicht durchhielte. Kartoffel, Fleisch, Milch, Eier, Kaffee alles besorge ich und der Arzt sagt, ich müsse unbedingt ausspannen. Ja, nächstes Frühjahr, wenn ich noch lebe, dann will ich etwas für mich tun, vielleicht wird dann mein Herzenswunsch erfüllt und ich sehe dich wieder, dann wäre ich auch bald gesund.

1. September 1941

Lange habe ich mich mit meinem lieben Lottenkind nicht mehr schriftlich unterhalten. Schriftliche Lebenszeichen bekomme ich überhaupt nicht mehr. Rotes Kreuz! Der reinste Hohn. Wie oft habe ich schon geschrieben, vergebens. Ich habe mir schon gedacht, die hochwichtige Gestapo zu besuchen, zu fragen, ob etwas von dir angekommen ist, denn ich bin überzeugt, dass du schon öfter geschrieben hast. Also ich werde hingehen und fragen.

Gestern war Bibas Urlaub zu Ende. Er ist Fallschirmjäger und war auf Kreta eingesetzt. Röbi hatte auch 8 Tage Urlaub und muss heute Abend wieder fort. Ja Liebchen, allen beiden wird es schwer von zu Hause fortzugehen. Wann mögen wir mal wieder alle in Frieden und Freude vereint sein. In der letzten Nacht war es mal wieder toll, wo wissen wir nicht. Wir sind schon zufrieden, dass uns nichts passiert ist. Morgen muss ich sehen, dass ich wieder etwas ins Haus bekomme. Röbi und Biba haben mich leer gefressen.

Es heißt, dass es polizeilich verboten ist zu hamstern. Aber was ist im hl. römischen Reich nicht alles verboten und im dritten Reich noch mehr. Also gehe ich, hole Kartoffel, Eier, Milch und was ich sonst noch bekomme. Dein Vater ist aus hoher Besorgnis um seine kostbare Gesundheit in den Schwarzwald. Ich habe die Maurer augenblicklich im Haus, um Fliegerschäden zu beseitigen. Ja, das sind alles Sachen, die ich ausfressen muss und ohne Hilfe: Gerade höre ich, das sie diese Nacht das Finanzamt zwischen gehabt haben. Das wird vielen Kölnern sehr sehr leid tun.

19. September 1941

Heute sehe ich auf der Straße die Juden mit ihren Abzeichen herumlaufen. Sionsstern, auf gelbem Grund steht „Jude”, kleine Kinder, alle müssen dieses Zeichen tragen. Ich weiß nicht, zu was das gut ist. Es macht auch in der anständig gesinnten Bevölkerung nur böses Blut und heute geht man mit einem Kopfschütteln an diesen kleinlichen Maßnahmen vorbei. Man weiß nicht, was es bezwecken soll.

Hier wird es immer schwerer zu leben und trotz aller großen und kleinen Siegesnachrichten, die wir immer wieder vom Osten hören, kommt keine frohe Stimmung auf. Wir haben alle Angst vor dem Winter. Ich habe trotz allen Bemühungen es nicht fertig gebracht, auch nur so viel zu bekommen, dass ich etwas für den Winter gesorgt hätte, keine Bohnen, kein Obst, nichts habe ich eingemacht, keine Kartoffel.

Im Haus noch die Schäden vom letzten Angriff. Glücklich kann ich sein, das jetzt wenigstens mein Dach in Ordnung ist. Auch die Maurer waren da, und alles musste ich machen, alles allein putzen. Dein Vater, wie er sah, was los war, musste sich erholen und so sitzt er schon 6 Wochen im Schwarzwald. Röbi ist mein einziger Sonnenschein, er war kurz schon 2 mal wieder hier, er macht mir immer wieder Freude.

25. September 1941

Röbis 21. Geburtstag. Ja, ich habe mir den auch anders vorgestellt. Ja, was habe ich mir nicht alles anders vorgestellt! Ach wie einsam bin ich und wann wird es anders? Wenn ich unsere Zeit betrachte, ja, dann steht mir der Verstand still. Was wird die Zukunft uns bringen. Wohin führt das alles.

Eben war der Anstreichermeister, der mir die letzten Fliegerschäden entfernt, hier und sagt mir, dass er erst in 2 Monaten damit beginnen kann. Keine Arbeiter, kein Material, nichts, nichts. Na meinetwegen, mir ist bald alles gleich. Vielleicht hat der Tommy inzwischen noch mal aufgeräumt und das große Reinemachen geht dann in einem durch.

Ach wenn ich doch einmal ein Lebenszeichen von dir bekäme. Nun habe ich es noch einmal versucht und zwar wieder mal bei Käthe angefragt und sie gebeten, sich doch mit dir zu verbinden. Vieleicht habe ich dieses mal Glück.

2. Oktober 1941

Ja, Liebchen, nun habe ich Nachricht von dir, wenn auch scheinbar schon sehr alt, denn meine Anfrage datiert schon vom 9. Okt. 1940, also heute am 2. Okt. 1941 bekomme ich Antwort. Wo die Schuld liegt, weiß ich nicht, ob bei England; auf dem Schein steht: Eingegangen 29. Sept. 41. demnach liegt ja die Schuld bei uns. Warum richtet man denn solche Stellen ein, wenn die auch nicht imstande sind, die Feindseligkeit zu überwinden. Na, es ist ein Lebenszeichen, wenn es auch wer weiß wie lange zurückliegt. Ich will auch gleich wieder um Formulare bitten, um gleich wieder zu schreiben. Ja Kind, nun ist Klein-Klärchen bald ein Jahr alt und ich kenne sie noch nicht und wer weiß wie lange ich noch warten muss.

Hier ist augenblicklich etwas Ruhe, lange waren die Engländer nicht mehr da. Lottenkind, du schreibst,“ Ich wünschte, dass Vater und Mutter nicht in der Stadt lebten“. Dein Vater ist nun schon lange im Schwarzwald, aber ich habe Pflichten wie immer. Walter muss auf der Fabrik arbeiten, danach muss er studieren und trotzdem er noch immer unverschämt und frech ist und mir das Leben bitter und sauer macht, möchte ich ihn in dieser Zeit doch nicht auf sich selbst angewiesen sein lassen, er würde trotz all seiner sogenannten Bildung verkommen. Ich will warten, bis er endlich fertig ist. Er hat mich ja schon so lange hingehalten, aber auch wenn der Krieg zu Ende ist, ändert sich ja auch vieles.

Ja, wenn ich den Krieg überleben sollte, dann sind meine Kinder ja alle erwachsene Menschen, dann habe ich mal genug für sie getan, dann kann ich ja auch mal an mich denken. Ja, dann werde ich zuerst mal zu dir eine Zeitlang kommen. Und ich glaube doch, dass ich da willkommen bin. Ja Liebchen, und sollte ich merken, dass das nicht so ist, dann werde ich es auch nicht übelnehmen und wieder zurückgehen, aber dann würde ich auch endlich mal an mich denken und nach meinem Herzen leben, mir mal alles ansehen, in unserm schönen Vaterland ist ja auch noch manches, was ich nicht kenne, und vieles, was ich mal wiedersehen möchte, denn dein Vater hat mir ja nie was gezeigt.

Und ich denke, auch wenn Röbi mal fertig ist, dass mir noch viel Schönes bevorsteht. Von Walter erwarte ich nichts, ich wäre nur zufrieden, wenn der von mir nichts mehr erwartete. Alles schreiben, was ich schon mitgemacht habe hat ja keinen Zweck, es ist gegen das Schreckliche unserer Gegenwart doch klein und nur will ich hoffen, dass auch dieses recht bald der Vergangenheit angehört und wir uns recht bald wiedersehen.

9. Oktober 1941

Ich hatte Röbi mein Leid geklagt und ihm mitgeteilt, dass ich bei den beiden Quälgeistern nicht mehr bleiben wolle und da stellt er mich vor die Tatsache, dass er, wenn ich nicht zu Hause bliebe, er sich freiwillig nach Osten melden will. Ja Lotte, das ist das, was mich immer wieder hat machen lassen. Röbi ist mein einziger Halt und auch mein einziger Trost und da sage ich mir, Röbi muss hierbleiben und dafür muss ich denn auch alles tun, denn Röbi freut sich auf sein kleines Stückchen Heimat und er sagt, wenn ich nicht hier bin, dann hat es für ihn keinen Reiz mehr. Ja, dann muss ich bleiben und aushalten. Vielleicht wird es doch noch mal so schön wie Röbi es versichert.

10. Oktober 1941

Diese Nacht habe ich gar nicht schlafen können. Dann als ich eingeschlafen war, werde ich plötzlich wach. Es ruft mich einer laut! Mutter, Mutter, Mutter. Ich denke, es ist Walter und warte, ob er kommt, aber Walter schläft und ich habe doch so laut und deutlich mich rufen gehört, nein, Walter war es nicht, es war Röbi. Ja ich weiß es, es war Röbi, ich unterscheide noch nachträglich seine Stimme. Was mag es bedeuten. Ich konnte nicht mehr schlafen. Ich musste an alles denken. Was mag noch kommen. Was macht Lotte? Wie lange habe ich nichts mehr gehört, denn die letzte Nachricht war sicher schon ein halbes Jahr alt. Ja der Morgen kommt und mit ihm die Arbeit und das ist gut.

11 Oktober 1941

Diese Nacht haben wir seit gut 4 Wochen den 1. Fliegerangriff. Er war mal wieder heftig und regte einen umso mehr auf, da er so unerwartet kam. Na, er ging an uns vorbei und Gott hat uns wieder beschützt. Ihm sei Dank.

Aber am andern Morgen gehe ich an den Briefkasten, um die Post zu holen. Ja, da liegt ein Brief von Röbi. Aber komisch, die Schrift ist mir so fremd und nun öffne ich ihn. Röbi schreibt mir kurz und knapp, dass er marschbereit nach Russland ist. O Gott, wie soll ich das tragen. Warum muss ich das auch noch mitmachen. Lotte fort, Röbi in dieser furchtbaren Hölle. Nein, was noch alles für mich kommen soll.

Ich verwahre den Brief, vielleicht liest du ihn einmal. Ich bin vorläufig für nichts zu gebrauchen, ich lebe nur in einer Angst und warte, was noch alles wird. Jetzt weiß ich auch gewiss, Röbi war im Geiste in der Nacht vorher bei mir, er brauchte mich. O Gott, schütze mir meinen heißgeliebten Jüngsten.

17. Oktober 1941

Heute bekam ich eine Karte und gestern auch, kurz aus Ostpreußen, er schrieb mir, dass er auf der Durchfahrt ist und er will mich trösten, er schreibt mir, dass er in 5 Wochen wieder bei mir ist. Ja, er verspricht mir immer viel, genau wie du Lottenkind, das hast du ja auch immer gut gekonnt. Gehalten habt ihr es meist nicht. Ich habe mich zum Schluss damit getröstet, dass es ja gut gemeint ist. Na, ich wünschte, es wäre dieses mal wahr. Ich glaube, er fährt einen Transport. Ja, ich will den lieben Gott bitten, das es dieses Mal kein leeres Versprechen ist. 

Inzwischen waren Jacks Landsleute schon mehr wie lieb wieder hier und haben sich bestimmt mal wieder nicht gerade nett aufgeführt. Davon kann der Friesenplatz erzählen. Das Stinneshaus, du weißt, in demselben war das Medizinische Institut, wo ihr als Kinder von Dr. Schulte behandelt worden seid. Es erhielt einen Volltreffer rechts und links auch alles an der Erde. Alles tot. Ja Liebchen, das ist Krieg.

Ein anderes Stimmungsbild: In derselben Nacht waren sie in Düsseldorf. Gleich nach dem Alarm wurde ein feindliches Flugzeug von der Flak getroffen. Es war noch voll geladen und gab Notsignale, aber es wurde nicht beachtet. Die Flak schoss lustig weiter, das Flugzeug stürzte ab und auf einen Häuserblock. Düsseldorf-Bilk, es explodiert, der ganze Häuserblock flog mit Mann und Maus in die Luft. Es waren bestimmt 400 Mann, im Funk hieß es 30 Mann. In Bonn wurde die Universitätsklinik getroffen und der Alte Zoll getroffen. Ja Lottenkind, und so geht es weiter. Wir siegen uns noch tot, so sagte man im letzten Krieg und so geht es heute auch.

Doch nun ein anderes Stimmungsbild: Anfang der Woche ging ich mal wieder über Land, um meine ach so kleinen Rationen aufzufrischen. Ich bekam denn auch etwas Eier und Milch. Abends kam ich dann um 8 ¼ in Köln an und war froh, am Deutzer Bahnhof in eine 25er Straßenbahn zu kommen. Aber o weh, am Neumarkt war Alarm, wir mussten aus der Bahn in einen Luftschutzkeller.

Das edle männliche Geschlecht war mit Blitzeseile aus der Bahn, um sich in Sicherheit zu bringen. Ich sehe zum Schluss eine junge Frau mit einem kleinen Kind und unzähligem Gepäck, sie konnte bei bestem Willen nicht ohne fremde Hilfe weiter kommen. Ich bot ihr, trotzdem ich auch schwer bepackt war, meine Hilfe an. Vor allen Dingen mussten wir fort und der nächste Keller war im Richmodishaus.

Also los. Wir gingen hochbepackt hin. Es war noch leer. Viele Stühle standen herum und wir machten es uns bequem. Wir waren alle sehr müde und waren glücklich, dass wir saßen. Aber das Glück sollten wir nicht lange haben, langsam füllte sich der Keller und somit kamen auch die rechtmäßigen Besitzer der Stühle. Es waren Leute aus der Nachbarschaft, deren Häuser schon nicht mehr waren oder sie fühlten sich hier sicherer.

Also, wir mussten den Platz räumen. Wir legten nur die Kleine auf meine Tasche so gut es ging und wir standen und warteten der Dinge, die da kommen. Es ließ auch nicht lange auf sich warten und über uns ging es los. Inzwischen, da ich nicht sitzen konnte, inspizierte ich den Keller. Interessant, Liebchen. Ich wanderte durch die riesigen Gänge und hatte genug zu sehen.

Hier stand auf der Erde ein Pappkarton, er war als Kinderbett zurecht gemacht, Zwillinge lagen darin und schliefen fest. Daneben saß die Mutter und strickte seelenruhig. Dort stand ein Wäschekorb, drin lag ein Junge, er war zu groß für den Korb, man hatte das eine Ende, welches als Fußende dient, herausgeschnitten und die Füße steckten durch das Loch, auch er schlief.

Dann sah ich wieder in einer Ecke 2 Kinder auf einem Bügelbrett liegen, sie schliefen nicht, sie lasen oder verschlangen einen Karl May, dann wieder sah ich Männer, die unentwegt Skat kloppten. Auf einer riesigen Treppe saßen Liebespaare ganz entrückt und selig. Er in Uniform, sie in irgendetwas, was sie gerade hatte. Aber trotzdem in den Augen ihres Liebsten bildschön. Keiner störte sich daran, was draußen zuging.

Man verliert das Interesse und wenn es nicht gerade einem auf die Nase fällt, erkundigt man sich noch nicht einmal danach. Also wie gesagt, auch dieser Angriff ging vorüber und wir hatten nur eine Sorge, noch rechtzeitig unsere Bahn zu bekommen. Aber es kam anders. Als die Entwarnung kam, packten wir unsere Sachen und alles strömte in Scharen den heimischen Penaten zu.

Auf einmal höre ich die Frau schreien, sie hatte in der Dunkelheit ihr Kind verloren. Sie war verzweifelt und ich auch, denn die Bahn war inzwischen fort und es war fraglich, ob wir noch eine kriegten. Endlich hatte sie infolge ihres Schreiens ihren Sprössling wieder und wir hatten Glück, wir bekamen auch noch eine Bahn. Als sie sich wieder beruhigt hatte, bedankte sie sich bei mir und ich war heilfroh, dass ich endlich in Braunsfeld war. Sie wollte mich kennenlernen, aber ich lehnte dankend ab. Ich hatte schon mal wieder genug.

Ja Liebchen, wir gingen todmüde zu Bett, Walter hatte große Unruhe um mich gehabt und war froh, dass ich endlich an Land kam und er noch was zu futtern bekam. Dann gingen wir zu Bett und wurden wieder recht unsanft aus dem Schlaf aufgeschreckt, um 2 ½ war der zweite Alarm. Ja Lottenkind, und so geht es wieder Alarm nach Alarm und wann kommt der letzte?

Heute Abend gehe ich zu Reinemanns. Es sind noch die einzigen Menschen, wo man ohne Furcht mit sprechen kann. Oft sitzen wir zusammen und fragen und können doch nichts weiter sagen als: Wann mag wohl mal endlich ein Lichtblick kommen. Von Wohlfahrters höre ich nur hin und wieder was, ich habe sie sicher schon bald ein Jahr nicht mehr gesehen, ich muss doch mal nach ihnen sehen.

3. November 1941

Lange habe ich nichts mehr eingetragen. Inzwischen wurden in meinem Haus die letzten Fliegerschäden beseitigt, ich hatte viel, viel Arbeit. Ich hatte noch Glück, denn ich bekam noch alles richtig in Ordnung gemacht bis auf den Anstrich, der nicht vollständig gemacht werden kann, weil kein Material da ist.

Inzwischen war ich auch mal wieder bei Frau Nanzig, sie hatte ein Schreiben, welches über Umweg Berlin zu ihr kam, für mich von dir. Frau N. meinte auch als wir es lasen, Lotte könnte auch etwas mehr in ihren Briefen ausdrücken, immer dasselbe.  Ja, sie hat recht, wenn ich Käthes Briefe lese, sie sind viel herzlicher.  Ja, ja so seid ihr, es geht dir mal ab und ich habe es aufgegeben, mich darüber zu beklagen.

Hier ist viel Trauriges passiert. Den Juden nahm man auch das Letzte und transportiert sie nach Polen, viel Schlimmes hat man hier in der letzten Zeit erlebt, aber schreiben kann man das nicht alles.

Am Freitag, dem letzten im Oktober, kommt plötzlich Röbi wieder auf einen Sprung und trotzdem wir nichts haben, ist die Freude groß. Er bleibt bis Sonntag und muss dann wieder in seine Garnison. Wenn er nur nicht fort bräuchte. Er hatte letztens einen Transport Pferde nach Russland zu bringen und hatte viel zu erzählen.

Hier schneit es schon und wir haben noch keine Kartoffeln, wir haben nichts und wie wird das im Lauf des Winters werden. Gestern Abend wie Röbi fort war ging ich zu Verwandten der Frau Floeck, ich wurde zum Abendessen eingeladen. Es war mir recht und dort war dank der guten Verbindungen, die diese Leute haben, noch alles. Ja, es war mir furchtbar zu denken, dass ich meinen Röbi mit nichts fortschickte und ich aß mich da satt.

Ja Lotte, so ist es. Einer hat hier alles und viele viele haben nichts, gar nichts. Morgen gehe ich zu Frau Nanzig, sie bat mich durch eine Karte zu kommen, sie müsse mir viel erzählen, sie hätte viel geweint. Heute Abend gehe ich zu Reinemanns, ich war lange nicht mehr da. Auch sie sind nun mit ihren Fliegerschäden fertig und ich soll alles sehen.

19. November 1941

Dein Namenstag. Lottenkind, alle denken an dich, Röbi hat seinen letzten Urlaub in der Heimat. Er kommt heute Morgen und bringt mir einen wunderbaren Strauß Chrysanthemen im Gedenken an dich. Ja, wir sind im Geiste bei dir und gratulieren dir alle mit dem einen stillen Wunsch. Na, du weißt ja.

Röbi ist sehr still wenn er dasitzt, ich weiß was er denkt und mein Herz ist so schwer, denn ich habe mich vor diesem Augenblick gefürchtet und habe gewusst, dass er kam, denn dass diese Bande meinen guten Jungen auch noch haben wollte ist ja klar. Er muss nach Russland, wie mag es weiter gehen und immer wird es noch schlimmer. Wie wird man sich wiedersehen. Walter ist jetzt Zensor für Französisch. Er wurde von deinem Alten so getriezt, das er sein Studium im Krieg aufgibt und will später weiterstudieren. Aber wie mag noch alles werden.

Hier sieht alles so trostlos aus. Früher Winter, die Bäume waren noch grün und doch lag schon Schnee darauf. Schlechte Ernte, keine Kartoffel, kein Mehl, kein Obst, wie wird der Winter vorüber gehen, es ist November, bis jetzt haben wir keine Kartoffel eingekellert, nein, wir haben überhaupt nichts, die Kohlen und Heizmaterial sollen nur bis Februar reichen. Röbi ist eine halbe Woche im Urlaub und doch habe ich schon seine ganzen Fleischmarken gebraucht, er hat noch 10 Tage Urlaub. Morgen gehe ich zu den Bauern ins Bergische Land, ich will sehen, ob ich noch was Milch, vielleicht, wenn es geht, ein paar Eier bekomme. Weinachten steht vor der Tür, ich mache wenn Röbi nicht da ist, nichts, gar nichts. Ja es steigert sich immer. Weinachten 1941. Du in England, Röbi in Russland und was steht uns allen bevor. Hier ist in jedem Haus Elend und Kummer und Herzeleid.

4. Dezember 1941

Ja, es ist wieder eine ganze Weile her, dass ich nichts geschrieben habe, was soll ich auch schreiben. Etwas Gutes weiß ich nicht und all das Elend, nein das hat wenig Zweck. Wer weiß, ob du überhaupt jemals dieses Buch bekommst, ob wir uns überhaupt noch mal wiedersehen. Nein, viel Hoffnung habe ich nicht. Es wird immer trostloser.

Röbi war 14 Tage in Urlaub, er soll nach Russland. Und nun ist er wieder fort und ich erwarte jeden Tag den Bescheid seines Abtransports nach R. Mein kleiner Benjamin. Ihm ist auch nichts geschenkt worden. Alles muss er mitmachen, nun ist er ein so tüchtiger Künstler, der das höchste in der Kunst zu werden verspricht und nun dieses. In dieses entsetzliche Land, welches so voll Hass ist und mein Junge, dem nur Schönes zu schaffen liegt, dem dieses Völkermorden so furchtbar ist, der ausgerechnet muss fort. Wann wird die Welt einmal reif sein, in Frieden zusammen zu leben? Weihnacht steht vor der Tür, das Fest des Friedens, der wahre Hohn, überall Hass, Tod und Verderben. Ich wünschte, es wäre schon Weihnacht vorbei, wo mag denn mein Röbi sein.

Weinachten 1941

Heiligabend. Mein gutes Lottenkind, lange habe ich nichts mehr geschrieben, was auch. Ein Tag vergeht wie der andere, voll Sorgen, voll Laufereien um den lieben Fraß und so fort, hin und wieder Fliegeralarm, aber da gewöhnt man sich dran. Röbi ist mal wieder hier und Röbi, Walter und ich sitzen am Weihnachtsbaum und gedenken deiner. Dein lieber Vater hat mal wieder seine tollsten Launen, dass es sogar Röbi zu dumm wurde. Walter hat sich ein französisches Kochbuch zugelegt und schwelgt uns was daraus vor.

Wir haben uns beschert mit guten Büchern. Anderes wäre ja auch erwünscht gewesen und sehr, sehr nötig, aber es soll nun mal nicht sein. Na ja, die müssen ja wissen, was uns gut ist und was nicht. Wir haben viel von dir gesprochen und jeder tröstete mich, dass es doch einmal ein Ende haben muss. Augenblicklich gibt Röbi eine bildliche Darstellung wie er sich mit seinem lieben Erzeuger heute auseinander gesetzt hat, wir haben heute Abend schon herzlich über seine Darstellung gelacht, aber ich kann es nicht weiter illustrieren, da kommen außer den üblichen Kosenamen, die du ja doch auch noch in Erinnerung haben musst, noch Nachtgeschirre und Schrubber darin vor.

Ja Liebchen, so ist es. Und nun sehe ich im Geiste dich mit deiner Familie Weinachten feiern, dein Kind ist ja nun auch schon über ein Jahr alt und sieht den Weihnachtsbaum. Ja, wie die Zeit vergeht. Ich sehe dich noch ganz klein den Weihnachtsbaum bewundern, dann Walter, dann mein guter Röbi und wie du immer so reizend deine Vorbereitungen trafst. Ja, das hast du immer so schön gemacht. Und nun haben wir dich im Bild bei uns, wir haben nun schon alles diskutiert.

Weißt du auch, dass du sehr wenig von dir hören lässt, es ist nicht schön von dir, aber wer weiß warum. Ist denn um deine persönliche Sicherheit so sehr zu fürchten. Wenn ich da Käthe sehe, immer versucht sie, mit ihrer Mutter zu schreiben, jetzt wieder über eine Bekannte über Amerika, und sie sucht immer wieder neue Einfälle zu bekommen. Ja, ich glaube immer mehr die erste Tochter dieses Vaters in dir zu sehen. Aber wenn du glücklich darin bist, du musst es wissen.

29. Dezember 1941

Nun ist Weinachten vorbei. Von dir kein Lebenszeichen. Ja, ich kann es ja auch nicht verlangen, wir haben eben Krieg, liebe Mutter, sagt Röbi, sei vernünftig. Ja, ich bin schon wieder vernünftig, immer hat man vernünftig zu sein. Langsam kotzt mich auch das an. Heute laufen sie an den Türen vorbei und betteln warme Sachen und wehe dem, der auch nicht seinen letzten armen Plunder gibt. Was können wir denn noch holen, Wolle war seit Kriegsbeginn beschlagnahmt, wir bekommen nur Ersatz. Wo sollen wir das denn alles haben.

Ich habe schon immer armen Menschen gegeben und meine Mottenkiste ist leer. Trotzdem muss ich geben und da gebe ich von meinem Bett eine Decke, von Röbi Strümpfe, ein paar Schals und wenn man das zu Anfang des Russlandfeldzugs gesagt hätte, dass es so kam, dann wäre man dahin gekommen, wo schon so viele sind. Wahrheiten können diese Bonzen nicht hören und wehe, der das hier sagt. Inzwischen hat man schon Bücher, Platten und vieles andere zusammengeschnorrt und unsere armen Soldaten opfern sich weiter. O Gott, wenn nur meinem guten Jungen nichts passiert. Und du gibst kein Lebenszeichen von dir. Nun stehen wir vor 1942 und der versprochene Endsieg ist Kappes.

5. Januar 1942

Anmerkung von Clare Westmacott: Diesmal schreibt Röbi einen Gruß an Lotte in Klaras Tagbuch:

Mein liebes gutes Lottchen! Jetzt nach 2 ½ Jahren Krieg schreibe ich diese Worte an Dich um Dir, meine liebe Schwester, zu sagen, wie nah wir uns sind; trotzdem uns bei diesem erbitterten Kampf Welten trennen. Morgen fahre ich wieder von zu Hause weg, ich glaube auf eine sehr lange Zeit. Ich weiß nicht, was mir die Zeit bringen wird, aber eins weiß ich, dass meine Gedanken immer bei meinen Lieben sind, gleich wie weit ich von Ihnen entfernt sein werde, gleich wo sie sich selbst befinden, immer werde ich an mein liebes Mütterchen, an Vater, Walter und an Dich denken müssen.

Es mag mir gehen wie es will, beim Soldaten weiß man ja nie, was kommt, meine Seele ist immer bei Euch! Vor 2 Monaten war ich in Russland und jetzt gehe ich voraussichtlich nach Nordafrika, denn hier sitzen und nichts tun kann ich nicht. Glaub mir, dass dies kein Leichtsinn ist, ich betrachte es nur als Erfüllung der Pflicht. Mutter und Vater wissen das.

Heute vor einem Jahr erhielt ich dein letztes Lebenszeichen (ich saß gerade auf Wache), worin du schriebst, dass ich jetzt Onkel sei. Ich freue mich jetzt schon auf den Tag, wo ich mein kleines Nichtchen begrüßen kann! Auch Jack wiederzusehen freue ich mich sehr. Hoffentlich braucht er nicht Soldat zu werden. Du glaubst gar nicht wie ich mich auf den Frieden freue, auf die Arbeit und auf die Kunst. Mein liebes Lottchen! Nun muss ich schließen, ich küsse Dich über Zeit und Raum mein liebes Schwesterchen!

Es ist jetzt genau 12 Uhr Nacht! Dein Röbi!

6. Januar 1941

Meine Feder ist in Reparatur, aber ich muss dir doch einiges schreiben. Heute ging mein guter Röbi wieder fort und dies war der letzte, definitiv der letzte Urlaub, ich werde ihn wohl lange, lange nicht mehr sehen. Wo mag er hinkommen. Es ist mir so schwer. O Gott, wofür das alles. Ich habe ihn bis in die Stadt gebracht, ich konnte dann nicht mehr, ich musste in der Elektrischen weinen, ich musste früher aussteigen, ich konnte mich nicht mehr halten. Ich wollte mich nicht mehr umsehen, aber ich musste und da stand mein lieber Junge und winkte mir bis ich ihn nicht mehr sah. O Gott, schütze mir meinen lieben guten Jungen. Morgen werde ich noch mal an das Auswärtige Amt schreiben, ich will versuchen, noch mal mit dir in Verbindung zu kommen. Bully hat noch mal ihrer Freundin geschrieben, vielleicht hören wir doch einmal wieder etwas. Ich will aufhören, ich habe im Gefühl, das bald die Tommys kommen. Ich war heute auch mal, nachdem ich von Röbi Abschied genommen hatte, zur Frau Nanzig, sie ist so sehr einsam und freut sich immer, wenn ich auf ein Stündchen zu ihr komme, ich aber auch, sie ist so lieb und gut.

15. Januar 1942

Diese Nacht hatte ich einen Traum. Ich bekomme Nachricht von dir: Bin um … in Köln, komm mich abholen. Ich muss mich sehr beeilen und es ist sehr sehr heiß, ich zog mich sehr leicht an und muss laufen. Ich glaube, ich bekomme deinen Zug nicht mehr. Wie magst du wohl aussehen? Nach so langer Zeit. Gott sei Dank, dass die Zeit, diese furchtbare Zeit vorbei ist. Doch was ist das, ich werde wach, es ist alles nur ein schöner Traum. Ja, es war nur ein schöner Traum.

Und nun etwas anderes, etwas das du dort vielleicht viel besser erfährst. Doch davon später: Jetzt etwas aus der Familie. Heute höre ich, dass Herbert Seuffert schwer verwundet ist. Er hat einen Kopfschuss quer durch den Oberkiefer, er war im Osten, der arme Kerl liegt in einem Lazarett im Osten. Die armen Eltern. Röbi soll nun nach Afrika. Wer weiß, was uns dieses Jahr noch alles bevorsteht. Ach mir ist so schwer ums Herz. Wann mag ich mal wieder von dir etwas hören.

20. Januar 1942

Heute höre ich, dass Walter als Dolmetscher nach Paris geht. Es ist mir nicht ganz recht, bei dieser tollen Zeit. Aber er will und ich kann ihn nicht halten, er ist 25 Jahre und alt genug, um über sich zu entscheiden. Sein Vater hat ihn ja dazu gezwungen, für sich zu sorgen, und ich denke, wenn wir diese entsetzliche Zeit überleben, es immer noch Gelegenheit gibt, seine Studien zu vollenden. Ja, und so seid ihr drei für mich in alle Winde zerstreut. Möge Gott uns wieder zusammenführen.

Hier ist es inzwischen furchtbar geworden. Vom Osten hört man, wenn man nicht mit Willen taub ist, die furchtbarsten Dinge. Unsere armen Truppen. Womit haben wir das verdient. Die Generale sterben alle am Herzschlag. Komisch. Aber wir haben zu glauben, was man uns vormacht. Hier wurden Kölner Bürger bestraft, weil sie die Hoheitsträger Schaller und Winkelnkemper beleidigt hatten. Diese Schweinehunde, wie kann man die noch beleidigen. Die ganze Stadt weiß, wie die Verbrecher sich bereichern und doch wagt keiner etwas zu sagen. Offen können sie uns bestehlen, denn die Schweine in Berlin sind ja nicht anders und einer schützt den andern. Und unsere Soldaten erfrieren und lassen sich weiter abschlachten.

Gestern war ich bei Reinemanns. Bully wird immer weniger, sie hat nichts zu essen und wenn das so weiter geht, stehe ich für nichts. Sie hat eine Stelle angenommen, sie musste, überall Neid, Angst, einer könnte was mehr wie der andere tun oder haben. Hoffentlich kommt bald die Zeit, wo man wieder hoffen kann. Man sagt: die Russen fressen vor Hunger ihre toten Kameraden, ist es nicht schlimm, ja, wir haben ja selbst nichts zu fressen, viel weniger für Gefangene. Bully hat schon Angst, eines Tages gepökelt in Erbsensuppe verspeist zu werden. Es ist ja etwas übertrieben, aber vielleicht, wenn es noch lange dauert, kommt der Tag, wo ihre Angst berechtigt ist.

Von dir noch immer nichts gehört.

Anmerkung von Clare Westmacott: Richard Schaller war stellvertretender NSDAP-Gauleiter Köln-Aachen. Peter Winkelnkemper war Nazi und Oberbürgermeister von Köln.

1. März 1942

Lange habe ich nicht mehr geschrieben und es geht auch noch schlecht. Ich habe mir bei einem Fall den Finger an der rechten Hand gebrochen und musste ihn in einer Schiene tragen. Hier war es im Winter so hart und bitter wie seit 150 Jahren nicht mehr und noch immer liegt Schnee draußen. Drinnen kalt und keinen Brand. Gegenüber sah ich die Damen antreten und ihren Koks selbst einscheppen. Der Schnee lag zu beiden Seiten der Straße meterhoch getürmt. Das Elend ist groß. Draußen sieht man Kinder in zerlumpten Schuhen.

Wir gewöhnen uns immer mehr ab und schon essen ich und Walter nur noch 2 mal am Tag, damit wir einigermaßen auskommen und trotzdem, wenn ich nicht auf dem Land Freunde hätte, könnten wir das noch nicht einmal. Kartoffel gibt es nur noch 3 Pfund die Woche und zum Teil erfroren und ich laufe aufs Land und hole im Rucksack welche, damit ich etwas habe. Dann mal wieder Fliegeralarm. Wo waren sie? Am Tag darauf hört man es, der Bahnhof. Die Opfer liegen noch in der Mitte der Woche im Schutt vergraben. Ja, und doch geht der Krieg weiter.

Röbi ist nun bald auch schon 2 Monate fort. Er ist in Landau, Pfalz, es ist seine letzte Ausbildung für Afrika. Er hat sich eher freiwillig gemeldet, um nur nicht nach Russland zu kommen. Ich habe so viel geweint und bin so abgestumpft, dass ich die Schläge nehme wie sie kommen. Es lässt mich ganz kalt, wenn ich die Sirene für Alarm höre, es ist ja doch alles gleich. Wenn das so weitergeht, ist es ja gleich, ob man so oder so um die Ecke geht. Es herrschen hier viele Epidemien. Die Ärzte können sich nicht genügend desinfizieren.

Walter kommt nach Hause gehinkt, er hat mal wieder die Kniescheibe heraus. Ich rate ihm, einen Tag im Bett zu bleiben, den anderen Tag geht er wieder. Trotzdem man weiß, dass er nicht kann, muss er sich einem Militärarzt vorstellen, damit man sieht, dass er sich nicht drückt.

Dieselbe Woche habe ich kein Fett, etwas zu kochen, keine Butter. Unsere Fettration kannst du im Monat für 15 Pfg. kaufen. Die Woche ¼ Butter pro Mann. Nur Bonzen und Schinder können sich sattfressen. Kaffee kostet heute, unter vielen Mühen zu bekommen, 60-70 Mark das Pfund. Mehl so dunkelgrau. Gemüse überhaupt nur, wenn du es bekommst, Weiß- oder Rotkohl und dann erfroren. Herrliche Zeiten. Keine Schuhe. Ich habe ein Gesuch gemacht, ein paar Schuhe zu bekommen, dafür habe ich 2 mal 3 Stunden gestanden. Ob und wann ich die Genehmigung bekomme, ist fraglich, ist eben nichts da. In dem Fenster steht alles, aber davon bekommst du nichts. Es ist eben bei uns im Deutschen Vaterland alles fauler Zauber. Und dabei versichert man uns, dass alles noch schön ist und dass die armen Engländer es noch viel schlimmer haben. Hört! Hört!

10. März 1942

Mein Finger ist noch immer nicht gut und es fällt mir immer noch schwer zu schreiben. Ich habe ihn noch geschient. Heute habe ich auch noch mal eine Nachricht durch das Rote Kreuz zu dir gesandt. Ich bin mal gespannt, wann die Antwort kommt. Frau Nanzig bekommt laufend im Monat einmal Nachricht. Ich bewundere Käthe, die so allein im fremden Land auf sich selbst gestellt doch ihre Mutter nicht vergisst und hoffentlich kann ich ihr diese meine Bewunderung noch mal ausdrücken.

Röbi macht mir wieder Sorgen. Er sandte mir einen Brief, frankiert, und schrieb mir mal alle seine Nöte. Der arme Junge hat sich, um nicht in Russland eingesetzt zu werden, freiwillig nach Afrika gemeldet. Jetzt wird er in Landau in der Pfalz ausgebildet. Er hat es sehr schwer, leidet viel Hunger und ich habe auch nichts ihm zu schicken. Er ist krank. Hätte ich ihn doch hier. Warum muss er alles mitmachen. Er ist der Beste von euch und ihm wird nichts geschenkt. Ich wünsche ihm, dass er mal bei mir wäre. Ja er verdient es eher, viel eher wie dein ältester Bruder. Er ist und bleibt undankbar und unverschämt.

Hier hatten wir mal wieder Fliegeralarm. Viele Opfer, viel Leid. Wäre doch schon mal der entsetzliche Winter vorbei. Von dir hört man nichts. Ja, Kinder sind immer undankbar. Heute war ich um ein paar Schuhe. Alles beschlagnahmt, sagt man. Es ist eben nichts da.

11. März 1942

Eben komme ich in mein Zimmer, um ins Bett zu gehen. Es ist 6 Uhr morgens, aber ich kann nicht schlafen, meine Nerven sind zum Zerreißen angespannt, ich kann nicht weinen, vielleicht würde mir dann besser, ich bin so sterbensmüde, aber meine Zeit scheint noch nicht da zu sein. Wie lange noch.

Wir haben wieder einen entsetzlichen Luftangriff hinter uns. Was mag geschehen sein? Braunsfeld ist nochmal verschont. Walter und ich saßen am Tisch und erzählten viel, wie die Geschehnisse des Tages, Röbi schrieb dass sie ihn in Landau auf Scharlach im Lazarett behandeln.

Ich war so müde, ich war den ganzen Tag herumgelaufen um etwas zu bekommen. Man hatte mir Butter versprochen, das Pfund 14 Mark. Ja Kind, hier ist es schwer zu leben. Bully ist so blass und muss den ganzen Tag arbeiten, der Arzt hat ihr Haferflocken verschrieben, aber trotz Arzt bekommt sie keine. Walter hat keine Zigaretten und muss auch den ganzen Tag arbeiten.

Besser wir gehen ins Bett, doch kaum gesagt, geht die Sirene. Und nun schon jeden Abend wieder. Was mag uns noch erwarten? Jetzt scheint der Winter mit all seiner Kälte vorbei, da geht diese Schweinerei los. Keine Ruhe. Kein zu Fressen. Keine Schuhe. Lieber Gott, du strafst hart. Aber wen Gott liebt, den züchtigt er.

13. März 1942

Ja, ich weiß nicht, dass sich so etwas noch steigern kann. Immer wieder schreibe ich „so wie der letzte Angriff war noch keiner“. Aber dieses Mal will ich so etwas nicht mehr schreiben, denn es kommt tatsächlich immer heftiger, immer toller, immer wahnsinniger. Dass so etwas kam, ahnten wir, bis jetzt war Köln bis auf einige auf Plätze beschränkte Angriffe seit dem 14. Juni nicht mehr so schrecklich heimgesucht worden.

Es dauerte vielleicht 3 Stunden, aber wie sah Köln nun aus. Jeder Stadtteil brannte lichterloh. Am Neumarkt waren ganze Viertel in Schutt und Asche gelegt worden. Die Menschen mit vergraben. Nippes brannte als wollte kein Haus verschont werden. Lindenthal ebenfalls, Braunsfeld 5 Minuten von uns eine Bombe. Entsetzliche Szenen spielen sich ab.

Eine will ich erwähnen: Eine Frau besucht ihren schwer verwundeten Mann in einem Lazarett irgendwo in Deutschland. In dieser Zeit ist der Angriff. Sie kommt zurück voller Leid über ihres Mannes furchtbares Geschick und findet in Nippes ihr Haus nicht mehr, ihre beiden Kinder unter den Trümmern des Hauses begraben.

Und so fort und fort. Und in der Zeitung und im Funk der ewig gleiche Bericht: Letzte Nacht flogen feindliche Flieger in Westdeutschland ein. Die Bevölkerung erlitt nur geringe Verluste. Ja und so geht es weiter. Wir kennen nicht das Schicksal der allernächsten Zeit, wir wissen nicht, ob wir in 24 Stunden noch leben. Wir müssen es nehmen, wie es kommt.

Röbi schreibt, dass er nun endgültig nach Afrika kommt und bittet um Creme, Nussöl, 4711 oder Kölnisch Wasser und so weiter. Wo soll ich es hernehmen. Aber ich muss sehen, wo ich es bekomme. Er muss es haben und soll es haben.

26. März 1942

Heute etwas Klatsch. Seit Dr. Schmitds Tod ist Dr. Winkelnkemper neuer Oberbürgermeister. Er ist der größte Schürzenjäger, aber der Unfähigste dieser Riesenstadt. Diese Stellung hat er auch nicht sich zu verdanken, sondern seiner Frau. Es ist als Lohn gegeben für manche Nacht, die sie bei G. geschlafen hatte. Jetzt hat dieses Lottermädel wenigstens einen Titel. Winkelnkemper und Schaller sind für ihre Schiebungen nicht bestraft worden, nein sie wurden belohnt. Man fand ein paar Dumme, die dafür umso mehr den Kopf ins Loch hielten.

Am Sonntag lasen die Geistlichen von der Kanzel einen Hirtenbrief, in dem sie uns mitteilten, dass bis Herbst viele Kirchen zu profanen Zwecken verkauft werden sollen. Die Bischöfe verlangen von uns, dass wir uns mit ihnen dagegen wehren. Ja, das nicht genug, es sollen alle Bekenntnisse abgeschafft werden, es soll eben nur noch Gottgläubige geben. Der Gott ist hier Hitler. Ja, so weit ist es gekommen. Ob der Herrgott die Bäume wirklich nicht in den Himmel wachsen lässt? Ja, dann wird es höchste Zeit, dass er eingreift.

2. April 1942

Nun sind es bald 3 Wochen her, dass der Tommy so furchtbar hier in Köln hauste. Diese Nacht war wieder Alarm, aber es blieb sonst still. Aber nun können wir den Tommy wieder erwarten. Er ist fällig. Hier wird es immer ernster. Den Bauern haben sie bei strengsten Strafen verboten, ja sogar bei Todesstrafe, der hungernden Stadtbevölkerung irgendetwas zu geben. Und so kann ich nur bei größter Gefahr etwas bekommen. Ich muss die einsamsten Waldwege gehen, um nicht geschnappt zu werden. Zuchthaus ist die Strafe. Und so sitzen wir Ostern mit nichts.

Ich war bei Reinemanns. Bully ist vor Überanstrengung krank, sie hat ganze dicke Füße und Beine. Und dann kein Essen. Nur die Bonzen haben zu fressen. Aber es wird immer schlimmer. Übermorgen hat Walter Geburtstag. Röbi lässt gar nichts mehr hören. Der gute liebe Kerl.

5. April, Ostern 1942

Walter hatte gestern seinen 25. Geburtstag. Röbi ist fort, wohin weiß ich nicht. Er will es mir schreiben. Wir hatten noch nie so wenig. Heute Ostern haben wir nur Kartoffel zu kochen. Kein Fleisch, nichts im Keller. Kein Brand und es ist noch sehr kalt. Nur ein paar Eier, die ich, unter größten Gefahren aufgeschnappt zu werden, im Bergischen bei den Bauern geholt habe. Keine Butter, nein, nichts und damit ist in dieser Hinsicht alles gesagt.

Gestern Abend war ich bei Reinemanns. Walter holte mich ab. Er war überrascht, wie Bully und Frau Reinemann schlecht aussehen. Ach, ich weiß warum und ich würde so gerne helfen, aber ich habe ja selbst nichts. Dein Vater hatte seinen 68. Geburtstag. Ich brachte ihm als Geschenk 5 Eier, etwas Speck und wenig Butter. Ich hatte die beiden letzten Dinge teuer gekauft. Er hat nur tolle Sorgen um Röbi und das ist noch das gemeinsamste was wir in unserer Ehe haben. Aber das wünschte ich ihm doch, ein ruhigeres Alter.

Gestern kam meine Zeitungsfrau und bat mich um Brotmarken, ich konnte sie ihr nicht geben, denn ich hatte selbst schon für die nächste Woche geholt. Sie sitzt da mit ihren 4 kleinen Kindern, kein Ei, nichts, kein Brot, gar nichts. Ja Ostern 1942, warum muss ich dich erleben. Wir stehen vor der so oft angekündigten Frühjahrsoffensive. Ich habe mein Herz voll Angst und Sorge um meinen Röbi, nichts zu Fressen für Walter und mich und draußen ist Kinderkommunion. Einer Nachbarsfrau gab ich zu diesem Tag 4 Eier, damit sie wenigstens ihrem Kind einen Kuchen backen konnte.

Die Erbitterung steigt, aber keiner wagt auch nur, sich zu mucken. Mönch und Nonne werden aus ihren Klöstern verjagt und stehen hilflos auf der Straße, auch Nonnenwerth ging es so. In ihren Arbeitsbriefen steht „Staatsfeindliche Elemente“.

Und nun zu dir. Vielleicht habe ich Unrecht, aber ich begreife nicht, dass du nicht alles tust, um deiner Mutter ein Lebenszeichen zu schreiben, aber ich will heute an diesem Tag nicht richten. ich denke, wir kriegen alles, was wir verdienen, und vielleicht verdiene ich das alles. Der Herrgott wird wissen, ob und wann das Maß voll ist. Wenn er mir nur eines erspart, will ich auch alles tragen, wenn er mir nur meine Kinder, meinen Röbi, meinen heißgeliebten Jungen und dich, mein liebes Lottenkind wiedergibt.

Ja, wir alle wissen und haben uns abgefunden, dass noch Furchtbares vor uns steht, aber wir müssen es ertragen und wollen es, wenn Gott uns nur den Frieden gibt und uns von dieser Pest, die wir uns ja selbst gewählt haben, befreit.

6. April 1942

Immer und immer wieder lese ich Röbis letzten Brief vom 9.2.42, aber ich lese ihn nicht mehr, er macht mich unglücklich und ich kann doch nichts machen. Auch hier im Buch habe ich Ostern 41 zurückgeblättert. Man konnte sich noch freuen, sich sehnen und hoffen und so verging nun dieses Jahr und es wird nicht besser, man erwartet nur neue Schicksalsschläge.

Eben treffe ich auf der Straße Direktor Kreuser und er verspricht mir, mit dem Spanischen Konsul zu überlegen, ob es eine Möglichkeit gibt, dir schriftlich etwas zukommen zu lassen. Er will nun Bescheid geben. Ostermorgen bekomme ich einen Brief von Röbi. Ach, so voll Heimweh und Bitternis. Es tut mir so weh, nicht helfen, ach, nur trösten zu können. Aber alles ist so wenig, was man kann. Ach, was muss gerade der Junge alles aber auch alles mitmachen. Ihm wird nichts geschenkt. Den Jungen, den ich so gern bei mir hätte, nach dem ich mich krank sehne.

Nun noch unsere Nacht nach dem ersten Ostertag. Wir, Walter und ich, hatten den Nachmittag im Wohnzimmer gesessen. Ich habe gestickt, Walter beschäftigte sich auch, wir schrieben wie immer sonntags an Röbi und so fort. Dann abends ging ich früher ins Bett, Walter blieb noch etwas auf, er musste den zweiten Ostertag arbeiten.

Ich wurde aus dem ersten Schlaf plötzlich wach. Fliegeralarm! Wir hatten beide im ersten Schlaf die Warnung nicht gehört. Wir hörten nur Abwehr und Flugzeuge, der Himmel ist taghell erleuchtet.  Leuchtschirme, wie Christbäume, stehen überall und geben ihr unheimliches Licht. Die Hölle ist los. 5 Stunden bleibt diese Situation und dann ist Köln an allen Ecken und Enden am brennen. Am andern Tag hören wir, dass 300 schwere Bomber Köln und Nordfrankreich heimgesucht haben. Zahlreiche Opfer werden beklagt.

8. April 1942

Und nun will ich dir ein Bild vom letzten Angriff machen. Nehmen wir Lindenthal heraus. Köln brennt an allen Ecken und Enden und uns zunächst in Lindenthal. Da kommt die Entwarnung und wir danken Gott, dass er uns gnädig beschützt hat. Auf einmal eine tolle Explosion und wir wieder in dem Bewusstsein, es fängt von neuem an, stehen wieder auf. Und nun, was war es? Ein Blindgänger. Die Sache trug sich wie folgt zu: In Lindenthal war ein Flugzeug abgestürzt. Alle Mann verkohlt. Nach der Entwarnung kamen viele Neugierige und sahen sich die Sache an. Es war an der Lindenburg in der Robert-Koch-Straße.

Herr Prof. Schröder stand mit vielen Anwohnern auch dabei. Er wohnt in der Nähe. Viele Bekannte von ihm ebenfalls. Da wurde es ihm kalt und er erklärt, sich aus seiner Wohnung einen Mantel zu holen. Er ist kaum in seiner Wohnung angelangt, eine furchtbare Detonation, sein Haus fliegt tatsächlich in die Luft und er weiß nichts mehr. Er kommt zu sich und sieht die Verwüstung, das Dach ist fort, alles zerstört, doch er ist heil. Er läuft hinaus und findet alles tot. Die Körper in allen Gegenden in Stücke, nein, nichts ist mehr da, nur Verwüstung. Aber so in allen Stadtteilen und ich kann ahnen, wenn das so weiter geht, ist bald alles zerstört. Uns kann nur noch ein Wunder retten.

Röbi schreibt, dass ihm nochmals 6 Tage Urlaub gegeben wurden und er Ende der Woche kommt. Alles Elend ist vergessen und wir freuen uns alle nur noch auf den Jungen.

9. April 1942

Vorige Woche traf ich Herrn Kr. Er erkundigte sich nach dir. Ich gab ihm Auskunft, dass ich seit langer, langer Zeit nichts mehr gehört habe. Er besuchte gerade einen Konsul eines neutralen Landes und  versprach mir, etwas zu tun. Gestern bat er mich, zu ihm zu kommen. Ich gebe ihm deine Adresse und er will von einer neutralen Stadt einige Zeilen an dich schreiben, damit du beruhigt bist über unser bisheriges Schicksal. Ja Liebchen, so versuche ich immer wieder mit dir in Verbindung zu kommen. Tust du das auch?

21. April 1942

Heute muss mein Bester, den ich habe, ausrücken nach Afrika. Gott schütze ihn, mehr kann ich heute nicht bitten. Ob wir uns wiedersehen? Ich wage es kaum zu hoffen, aber ich darf nicht denken. Ich kann nicht beten, denn heute hadere ich mit Gott dem Allmächtigen: Warum nimmst du nur das Liebste was ich habe, warum lässt du mir nicht das Beste? Jeden Abend wissen wir nicht, ob wir morgens noch leben. Jede Nacht kann uns das Schicksal ereilen. Furchtbar sind die Angriffe und wenn es so weiter geht, wirst du nicht mehr viel vom alten Köln sehen, denn dann wird nichts mehr übrig bleiben. Na wie dem auch sei, ich kann es nicht ändern.

Um 11 Uhr kommt die Post, da liegt ein Brief vom Roten Kreuz, eine Antwort auf meine Frage vom Juni 1941 zurück mit deiner Antwort. Am 21. April 1942. Lieber Gott, da ist ja inzwischen die halbe Welt vor die Hunde gegangen. Was nützt mir diese Antwort. Röbi hatte vor seinem Ausrücken noch 6 Tage Sonderurlaub. Wir zwei freuten uns über die paar Tage und Röbi hatte so viel mit mir vor. Aber noch keine 24 Stunden dauerte dieses Glück. Ein Telegramm: Sofort zurück. Ja, hart ist das Schicksal. Er fuhr zurück, um dort noch 7 Tage untätig herumzusitzen. Die paar Tage gönnte uns der Preußische Drill noch nicht mal.

1. Mai 1942

Heute war ich bei Vater im Atelier. Er hatte Bilder von Röbi, die ich und Röbi bei unserem letzten Zusammensein aufgenommen hatten. Wir hatten ihn damals zusammen zur Bahn gebracht. Er meinte bestimmt, er könnte noch 2 Monate in Italien bleiben. Ja, das meinte er nur, 2 Tage später bekam ich schon die Nachricht, dass er sofort nach Afrika muss. Vater leidet sehr darunter.

Und nun die entsetzlichen Angriffe, keine Nacht Ruhe. Den 27. April hatten wir einen so entsetzlichen Angriff und nachher sah Köln wie eine brennende Fackel aus. In Köln brannte alles, ganz Köln, unser schönes liebes altes Köln, und es brannte noch Tage nachher. Das Leid ist so entsetzlich. 4000 Obdachlose von einer Nacht. Ich ging mit Vater durch viele Straßen. Zur Gereonskirche, dort ist alles zerstört. Ich glaube, die Christophstraße muss ganz niedergelegt werden, dort stehen nur Ruinen. Somit nun kommt die sogenannte Vergeltung. Ich höre im Radio, das sie York-Münster angegriffen haben, Exeter und dann alles andere und zum Schluss was bleibt übrig, nichts als Trümmer und Asche.

Gerade spricht im Radio Ley zu den deutschen Arbeitern. Ich höre mit Abscheu seine versoffene Stimme und drehe wieder ab. Es ist Abend, der Himmel ist so als wenn wir mal wieder Besuch bekämen. Wer mag nun an der Reihe sein. Wie lange, O Gott im Himmel, siehst du dir das noch an, wie die Menschen sich grausam zerfleischen, wie sie von einigen wenigen getrieben werden, und doch möchte jeder einzelne von ihnen zu Hause sein, bei Frau und Kindern, bei Vater und Mutter, ehrlich seiner Arbeit nachgehen und in Frieden leben. Warum hängt man nicht endlich diese Bande auf, die das alles verschuldet.

6. Mai 1942

Ich war bei Kurt Korsing im Büro. Er kam grade von Polen. Er hatte mir vor Monaten versprochen, sich durch gute Freunde mit dir zu verbinden, ob durch Brief oder Wort, was ihm grade möglich ist. Aber diesmal ging es nicht. Er fährt bald wieder und dann will er, wenn es geht, telefonieren. Wolle Gott, dass es geht. Außerdem will ein anderer Freund, ein Schwede, einen Brief von mir mitnehmen und ihn dann in seiner Heimat befördern.

Hier ist es schlimm. Keine Butter, kein Fett, nichts, nichts. Ich ging gestern aufs Land, um nur mal wieder etwas unter größter Gefahr zu besorgen. 2 Stunden ging ich durch verbrannten Wald, die Engländer haben auch sehr gewütet. Ach, hier ist nichts mehr sicher. Ob wir noch die Ernte bekommen? Röbi hat noch nicht geschrieben. Wo mag er sein.

12. Mai 1942

Von Röbi höre ich noch immer nichts, wo mag er sein. Ich habe eine furchtbare Unruhe, nachts kann ich nicht schlafen, immer sehe ich ihn vor mir, halbverdurstet in der furchtbaren Sandwüste. Mein Liebchen, mein Allerbester. Er hatte schon Heimweh wie er mir von Neapel schrieb. Ich fühlte es.

Die Engländer waren lange, fast 3 Wochen nicht mehr hier und das dumme Volk meint, sie hätten sich von Hitler einschüchtern lassen. Wartet nur, sie werden es euch schon zeigen. Sonntag sprach Churchill und was er sagte, war richtig. Brächten wir einmal den Mut auf und schüttelten dieses Joch ab und schickten die ganze Bande zum Teufel und hielten einmal großes Reinemachen. Dann könnten wir als Arme wieder anfangen. Aber wir wären freie Menschen.

15. Mai 1942

Heute höre ich im Radio, dass 17 Transportflugzeuge an der Afrikanischen Küste abgeschossen worden sind, besetzt mit Nachschub für Rommel, die Soldaten stürzten alle in voller Ausrüstung ins Meer. Röbi schreibt nicht. O Gott wenn meine Ahnungen nur nicht wahr sind.

16. Mai 1942

Gott sei Dank, Röbi hat geschrieben, er ist rund 4000 km von mir fort. Morgen ist Muttertag. Vater sandte mir die letzten Aufnahmen, die wir bei Röbis Abschied machten. Er leidet genau wie ich. Doch nun bin ich mal wieder ruhig. Ich war bei Kurt und brachte ihm den Brief an dich. Es wäre ja zu schön, wenn ich mal auf diese Weise etwas hörte. Es kann lange dauern. Erst im Juli fährt sein Freund nach Schweden. Aber immerhin eine Hoffnung. Kurt ist doch sehr nett und ich wünschte, ich könnte es ihm mal gut machen. Ich muss dir schreiben und viel erzählen. Es ist doch toll. Und nun kann ich mir so manches erklären. Aber diesmal, so Gott will.

18. Mai 1942

Gestern war Muttertag: Vater sandte mir Fotos von Röbi und eine schöne kleine Zeichnung zum Muttertag. Ich habe mich sehr gefreut, zumal ich auch den ersten Brief von Röbi bekam, er ist bald 3000 km von der Heimat entfernt. Jetzt kann ich nur für ihn beten. Walter schenkte mir ein paar sehr schöne Engel, Bücher und ein ½ Pfund Kaffee. Ja Lotte, er kostet billig das ½ Pfund 30.- Zeitgemäß! Nachmittags kamen Frau Floeck und ihre Schwester und noch ein paar Bekannte, dann kam noch Minni Bänisch und Walter  war unter all den Damen Hahn im Korb. Jeder brachte sich zu Essen mit. Wir hatten alle Wein besorgt und so war nachher die Sorge um die Lieben im Felde etwas in den Hintergrund getreten. Auch hat uns der Tommy lange in Ruhe gelassen. Gott sei Dank. Unsere Nerven können es vertragen.

Dieses Jahr blühte der Flieder so wunderbar. Unser ganzes Haus war in Blüten und ihren Duft gehüllt. Wie lange noch wird er blühen bis ich euch beide, dich und Röbi wiedersehe?

24. Mai 1942, Pfingsten

Draußen Sturm und Regen. In meinem Herzen dasselbe. Nichts von Röbi. Ach, ich will ja schon alles ertragen. Entbehrungen, da sind wir ja schon dran gewöhnt. Aber nicht die schreckliche Ungewissheit, wie es meinem Jungen geht. Nein, das kann ich nicht. Pfingsten ja, wir haben nichts, kein Fett, kein Fleisch, scheußliches Brot, wo sich einem der Magen umdreht. Walter muss heute Morgen arbeiten. Er wird immer blasser und wenn ich mich auch öfter über ihn beklage, ich muss ihn über die schlimme Zeit bringen. Denn hin und wieder bekomme ich doch schon mal von meinen Bauern ein paar Eier oder etwas Milch.

Heute wollte Frau Floeck zu mir kommen, aber sie schrieb mir ab, sie ist sich mal in Bonn satt essen, denn sie hat nichts mehr und vor uns liegt noch eine ganze Woche, ehe die neue Versorgung anfängt. Sie hat in Bonn eine Schwester, die durch ihr Seidenlager immer noch etwas zum Eintauschen hat. Ja, wie viele das machen! Da heißt es, wir, das deutsche Volk, sollen uns selbst helfen, dann hätten wir bald Frieden. Ja diese neunmalklugen Herren sollen uns auch mal dabei sagen, wie wir das machen sollen.

Wenn sich fünf zusammentun, um etwas gegen diese Verbrecher zu unternehmen, dann ist der fünfte bestimmt schon ein Spitzel und die Sache ist schon wieder ex. Dann sind schon mal wieder vier Helden weniger im Deutschen Volk. Denn immer und immer wieder wird es versucht. Ich zerbreche mir mit Bully und andern Gleichgesinnten den Kopf und ich würde mich bestimmt nicht scheuen, wenn ich nur helfen könnte. Denn dann würde ich meinem Vaterland einen größeren Dienst erweisen, wenn ich all dieses kostbare Blut retten helfe, welches sich im Osten, im Westen, im Norden, im Süden verblutet. Wofür? Wo mag mein lieber Junge sein. Wo kämpfen sie.

28. Mai 1942

Gestern bekam ich durch das Rote Kreuz endlich eine Nachricht von dir vom 12.3.42. Sage und schreibe 9 Worte: All three safe and well. Please send your news. Hast du nun wirklich noch nicht mal so viel uns mitzuteilen, dass du die armen 25 Worte voll bringst? Oder hat Walter recht, dass es alles fortzensiert worden ist. Ich weiß es nicht. Es hat mich etwas beruhigt, dass ihr noch sicher seid, aber erfreut hat es mich nicht. Von Röbi höre ich schon eine Zeit nichts mehr. Dort sind tolle Kämpfe im Gang. Gott möge mir meinen Jungen schützen. Heute Morgen war ich in Exerzitien für Frau von Carnap, sie hat lange und schwer gelitten. Sie ist heute gut dran, die Hinterbliebenen leiden sehr darunter. Auch ich war sehr traurig. Es ist eben nur Leid heute noch in der Welt.

2. Juni 1942

Heute Morgen war ich auf einem Streifzug durch Köln. Entsetzlich, furchtbar! Grauenhaft! Nein ich finde keine Worte um alles zu beschreiben. Trotzdem will ich es versuchen. Ach, ich glaube kaum, dass du dieses Buch in die Hände bekommst. Ich lege auch schon keinen Wert mehr darauf. Es ist mehr, um es in meiner Erinnerung festzuhalten. Ob ich es jemals erzählen kann, glaube ich heute auch kaum, denn es wäre ein Wunder, wenn wir aus diesem Hexenkessel lebend heraus kämen.

Aber nun zur Sache. Also, ich kam aus meinem Haus und rechts und links Ruinen. Trümmer noch brennend. Walter hat die ganze Nacht gelöscht mit kleinen Eimerchen. Die Feuerwehr versagte, sie konnte nicht überall sein, wie man uns sagte, und so musste alles niederbrennen. Also, die Wiethasestraße überall Brände, dann zur Aachener Straße, die Post brannte lichterloh, weiter gegenüber dem Krankenhaus ist alles fort. Ehrenfeld, Lindenthal, Melaten, nirgendwo siehst du noch ein Haus, was nicht ausgebrannt ist.

Tante Liesel, ihr Haus ist zerstört, und nun brannte es bis zur Stadt heraus, nur alles Brand und Zerstörung. Vor meinem Haus liegen Teppiche. Welche von gegenüber, ich nehme es in mein Haus, dass es nicht verkommt und den Leuten erhalten bleibt. Ich komme zur Schildergasse, ein Trümmerhaufen. Die Kirche zerstört, große Bombentrichter. Vaters Atelier zerstört, ich gehe zum Heumarkt, dasselbe Bild. Der Neumarkt, Kaufhaus Peters, Kaufhaus Cords, Kaufhaus Tietz nun eben alles  Zerstörung. Deutz, Kalk, Ehrenfeld, Lindenthal, Braunsfeld, Melaten, alles alles brennt. Alles Trümmer. Unzählige Tote, 80.000 Obdachlose.

Ich habe unten im Keller und vorne in den Räumen herrenloses Gut. Teppiche, Wäsche, alles liegt da. Kein Licht, Wasser, keine Elektrische fährt, kein Zug, keine Zeitung und heute Abend schon wieder mit Angst und Sorge ins Bett. Heute am Tag 3 mal Alarm. Walter muss zu seinem Dienst nach Riehl 1 ½ Stunden zu Fuß gehen. Röbi schreibt nicht, ich habe eine tolle Angst um ihn. In Afrika sind tolle Kämpfe. Ach Gott erspare mir nur das und schütze unseren lieben Jungen, dann will ich alles andere ertragen.

5. Juni 1942

Einer der Nazibonzen, Heydrich, ist verreckt. Hoffentlich kommen die anderen auch bald dran und das arme Volk hat bald Ruhe und Frieden.

6. Juni 1942

Wenn man abends durch die zerstörte Stadt geht und es ist schon dunkel, dann brennt es noch überall. Das kommt, weil alle Gasleitungen zerstört sind. Man kann sie nicht abschalten und deshalb brennen sie. Viele Keller hatten schon Briketts gelagert, alles brennt lustig weiter noch 8 Tage. Alle Kirchen außer dem Dom sind zerstört oder schwer beschädigt. Alle Warenhäuser sind ausgebrannt. Alle Frauen mit Kindern sollen evakuiert werden. O du schönes altes Colonia, wie siehst du aus.

Wenn mein Röbi sein liebes Köln wiedersieht oder auch du Lottenkind. Denn so englisch kannst du ja nicht geworden sein, dass dir deine Vaterstadt gleichgültig sein könnte. Ich bin überzeugt, dass du doch oft voller Sorge an uns denkst, wenn du von den entsetzlichen Angriffen hörst. Ich kann es manchmal gar nicht verstehen, dass Gott uns so wunderbar bis jetzt beschützt hat. Bei Vater ist alles zerstört und alles um ihn rechts und links, aber ihn hat Gott beschützt. Ebenso Walter und ich.

Röbi schrieb heute noch über einen tollen Kampf. „Liebe Mutter. Ich bin gesund und wohl bei 45 Grad Hitze im Schatten.“ Lieber Gott im Himmel beschütze uns auch weiter, meinen lieben Jungen in Afrika, mein gutes Lottenkind in England mit ihrer Familie und uns hier, damit wir uns alle wiedersehen, in einer glücklicheren Zeit. Wie im englischen Sprichtwort: „The darkest hour comes before dawn.“ Ja das ist wahr. Vielleicht haben wir auch jetzt unsere dunkelste Stunde. Dieser furchtbare Angriff. Wir stehen noch immer in seinem Bann. Gestern wurden wieder 200 Tote begraben und wie viele werden noch folgen. Einzelne Schicksale sind so hart.

14. Juni 1942

Röbi schreibt mir, dass er keine Nachricht von uns bekommt. In welcher Angst lebt der arme Kerl, ich schreibe ihm doch so oft. Ich habe ihm gleich wieder geantwortet. Ja Liebchen, wie musst du dich auch um uns ängstigen, ich glaube, auch du hast uns längst aufgegeben. Ich höre nichts von Frau Nanzig, ich habe geschrieben aber keine Antwort. Ich muss mal nach ihr sehen. Hier geht das Leben seinen traurigen Gang. Der Tommy hat uns bis jetzt in Ruhe gelassen. Aber mit bösen Ahnungen gehen wir schlafen. In der Stadt wird dauernd gesprengt.

Hier sieht man morgens große Lastwagen, angefüllt mit alten Juden und ihrem Gepäck. Wohin? Wer weiß. Frau Reinemann behauptet, das Gepäck sei abends allein wiedergebracht worden. Auch hört man, dass alte Leute zwangsweise evakuiert werden sollen, man hat keine Wohnungen mehr.

Wenn Röbi doch nur unsere Post bekäme, dass der arme Junge wieder seine Ruhe hätte. Wann mag ich mal etwas über dich hören. Wenn ich noch einmal jung wäre, bekäme ich keine Kinder mehr, denn so heiß wie ich meine Kinder liebe, ist der Gedanke entsetzlich, sie zu verlieren. Diese Ungewissheit nimmt einem jede Freude. Ob es noch einmal schön werden kann. Ich kann es nicht glauben.

27. Juni 1942

Ja, nun ist es seit dem tollen Angriff schon 4 Wochen her. Viele Tote sind begraben worden. Viel Elend sieht man, wenn man durch die Stadt geht. Röbi hat auch schon lange nicht mehr geschrieben. Dein Vater kam nun wieder nach Hause. Aber er dauerte nicht lange, der Frieden. Walter war das Opfer. Walter hat ein paar Tage Ferien und ich gönnte ihm die Ruhe, aber nicht dein Vater.

Er ist doch nun so alt, aber er ist derselbe Teufel wie früher. Ihm passt alles nicht. Bei all den nervenerregenden Sachen auch das noch. Also es war bald der größte Krach. Ach was ist das für ein Mensch, der sich und uns das Leben so bitter und schwer macht. Unter diesen Umständen kann man bestimmt nicht mit ihm leben und ich mache das auch nicht.

Wie egoistisch der ist zeigt folgendes: Ich bat ihn, in Anbetracht der schlimmen Zeiten, dass, wenn wir durch einen schlimmen Angriff nicht mehr uns treffen und auseinander kommen, mir doch etwas Geld zu geben, und zwar 500.- Mark, da schlug er mir das einfach ab mit der Begründung, er habe kein Geld, er hätte nur sein Scheckbuch und weiter nichts. Ich solle schon etwas bekommen, man brauche sicher kein Geld. Na, du weißt ja Bescheid.

Also abends sehe ich seinen Rock im Schlafzimmer hängen, er ist im Garten, ich nehme die Brieftasche und was denkst du, wie ich nachsehe was drin ist? 20.000 Mark. 15 Tausendmarkscheine und 5 Tausendmarkpäckchen. Ja, das ist dein Vater. Aller Kommentar ist wohl überflüssig. Das mache ich nun schon 30 Jahre mit und wie lange noch? Wäre doch der Krieg vorbei und man könnte wieder frei sein und gehen wohin man wollte. Ja dann würde ich nochmal eine ganze Zeit zu dir kommen und alle die Lasten abschütteln. Aber wer weiß, vielleicht ist das auch nur ein Traum. Ich glaube an gar nichts mehr.

Um Röbi habe ich die furchtbarste Angst. Ich sah im Kino eine Wochenschau aus Afrika, ich wünschte ich hätte sie nicht gesehen, nun werde ich keine Ruhe haben, bis Röbi geschrieben hat. Walter kommt nach Hause, er hat Hunger, ich auch. Er muss dieses scheußliche Brot essen, wir haben keine Butter, kein Fett, keine Kartoffel und morgen ist Sonntag.

30. Juni 1942

Heute Morgen schellt es 4x: Es ist die Post. Sie hat 3 Päckchen aus Afrika für mich. Im 1. war eine Tafel Schokolade, ganz trocken und hart. Sie war aber von Röbi, der Gute hatte sie sich sicher abgezogen, um sie mir zu geben. Der gute Junge, mein Röbi. Im 2. ein Stückchen Seife für mich. Er hatte mal wieder richtig vermutet, dass seine Mutter bitterarm an diesen Sachen sei. Im 3. ein Stückchen Kernseife. Alles Kostbarkeiten, die wir hier Jahr und Tag nicht mehr haben. Mein Bester denkt an alles.

Walter und ich haben mit sehr gemischten Gefühlen die Schokolade gegessen, aber wir mussten immer an den Spender denken, der sich dieses in der höllischen Hitze alles abzieht, um es uns zu schicken. Heute Morgen war ich bei Kurt Korsing, ich wollte mal hören, ob er mir den Brief an dich besorgt hatte. Aber leider hatte er noch keine Gelegenheit, er meinte, ich solle Anfang August mal wieder zu ihm kommen. Vieleicht. Vieleicht!

3. Juli 1942

Gestern schellt mal wieder der Briefträger, wieder schickt Röbi Seife und, oh Glück, etwas Kaffee. Kaffee, so etwas, was man hier nur noch das Pfund für 100.- bekommt, aber nach einem tollen Angriff wird uns 60 Gramm zugeteilt, die wir dann aber erst nach 6 Wochen bekommen. Also Röbi schickte mir etwas und ich genieße ihn auch danach. So sitze ich augenblicklich allein auf der Veranda, ein Tässchen von Röbis Kaffee und schreibe dir.

Gestern bekomme ich mit der nächsten Post einen Brief von Röbi, aber so unfreundlich. Ob er schon wieder von seinem Vater informiert worden ist. Ja, ich weiß es nicht. Ich hatte Röbi den letzten Auftritt gar nicht geschrieben, warum auch, was soll ich ihm den Kopf vollhängen. Aber umso mehr wird es dein Vater gemacht haben. Das ist das einzige, was immer wieder mein Verhältnis mit Röbi trübt. Es tut mir sehr leid, aber ich kann nichts daran ändern.

Diese Nacht war mal wieder Alarm, aber der Tommy kam nicht. Gott sei Dank. Na, er war so lange nicht hier, ich glaube, er wird uns bald mal wieder besuchen.

13. Juli 1942

Heute ist dein Geburtstag. 30 Jahre! Welch eine lange Zeit. Lieber Gott, was habe ich bis dahin alles mitgemacht. 2 furchtbare Kriege und der letzte noch nicht zu Ende. Meine Kinder großgezogen. Ja das kann ich sagen. Meine Kinder großgezogen, alles allein. Keiner hat mir geholfen. Alles Unangenehme musste ich allein tragen, alle Lasten. Nun seid ihr groß, aber dass ich Ruhe hätte. Nun, die Zeit wird immer härter, der Krieg bringt immer neue Entbehrungen. Heute auf deinen Geburtstag haben wir nichts. Ich muss mal sehen, ob die Bauern mir nichts geben.

Ich komme hin, die Bauern haben mal wieder neue Verordnungen, alle Gerste ist beschlagnahmt, sie haben demnach kein Futter für ihre Tiere und können dann ihr Schwein nicht fett machen. Alles nehmen sie ihnen. Ja, dann ist auch meine letzte Zuflucht hin. Ja, und da gehe ich durch den stillen Wald und da ich noch nichts gegessen habe, suche ich mir Beeren und esse mich davon satt so gut es geht. Ich suche mir Himbeeren und nach 4 Stunden fahre ich nach Hause. Ich habe mir welche mitgenommen und koche sie zu Saft ohne Zucker, den muss ich dran geben, wenn ich welchen habe.

Ich ging todmüde zu Bett, ja Liebchen, das ist für mich dein 30. Geburtstag. Ich gratuliere. Ich hatte ihn mir bestimmt anders gedacht. Der Mensch denkt und Gott lenkt. Voriges Jahr ging ich noch beten. Heute kann ich es nicht.

14. Juli 1942

Diese Nacht war seit langem der Tommy mal wieder da. Es wurde gewarnt, aber uns tat er nichts, er war im Ruhrgebiet. Frau Nanzig kam heute mal zu mir. Sie ist sehr unglücklich, sie hat lange nichts mehr von ihren Kindern gehört. Ja, und da habe ich sie so gut ich konnte getröstet. Aber mir ist selbst so traurig. Lange habe ich schon mal wieder von Röbi nichts gehört.

28. Juli 1942

Seit dem 3. Juli nichts mehr von Röbi gehört. Meine Verfassung kannst du dir denken. Mein Geburtstag war sehr traurig. Nichts konnte mich trösten. Zwar waren alle gut zu mir, doch meine Freunde, eine einzige Karte kam morgens von einer Bekannten, sonst nichts. Am Nachmittag kam Frau Floeck, ihre Schwester, ihr Schwager, brachten Wein und Sekt mit und wir hatten einen schönen Nachmittag. Walter schenkt mir englische Bücher, die ich nun schon fließend lese. Doch nichts kann mich beruhigen, da Röbi nicht schreibt. Was mag sein.

Doch nun was anders. Dein Vater hat mal wieder seine tollen Stunden. Hier hat er es nicht lange ausgehalten. Kleinigkeiten machten ihn unausstehlich. Er hat jetzt wohl keinen Menschen mehr, der gern mit ihm zu tun hätte. Er sitzt in seinem Loch und brütet nach, was er uns beiden antun kann. Röbi ist auch wohl der einzige, wo sein Herz dran hängt, und da er nichts von ihm hört, ist es umso schlimmer. Er ist mal wieder mit seinem Rechtsanwalt am aushecken, was er mir antun kann. Jetzt will er sich entschieden von mir trennen und es ist toll, was dieser Mann sich alles ausdenkt, um mir zu schaden.

Er wollte, nachdem in der Schildergasse beim letzten Luftangriff auch sein Atelier ziemlich beschädigt wurde, hier zu Hause bleiben. Aber da findet sich wieder Walter, den wollte er heraus haben und versucht es auf seine bekannte Weise. Da ich nicht Willens war, auf seine Mätzchen einzugehen, war er eines Tages verschwunden und nun fingen seine bekannten Intrigen an. Es führt zu nichts, wollte alles hier niederlegen, es hat ja auch keinen Zweck, du weißt es ja, wie er es macht. Ich dachte immer, wenn der Mann älter wird, ist es mal besser. Aber im Gegenteil.

Er hat heute niemand mehr, der ihm etwas reinigt, er will mich zwingen, ihm dieses zu machen, aber die Zeitumstände hindern mich daran. Ich kann nicht mehr, ich habe hier alles allein zu machen, zu Hause alles allein, alle Laufereien. Ich bin mit meinen Kräften so herunter, das es nun nicht möglich ist, auch das noch zu schaffen. Und auch wofür. Um nachher nur Undank zu haben, zu hören, dass man nur stiehlt. Alle Putzfrauen stehlen ihm, wie er sagt. Jeder Mensch bestiehlt ihn. Und da will keiner mehr. Aber ich habe dieses Kreuz zu tragen. Wie lange noch. Alle Schikanen tut er uns an.

Die Luftangriffe werden immer schlimmer. Heute höre ich, in Hamburg hat es Bomben geregnet. Duisburg zum 4. Mal hintereinander. Bald werden wir wieder dran sein. Dann gnade uns Gott.

9. August 1942

Robi schreibt wieder nicht. Kurt ist auch wieder aus Polen da, aber er hat deinen Brief oder vielmehr meinen Brief an dich nicht besorgen können. Nun denkt er, ein Freund kann es über Schweden. Ich will es hoffen, aber glauben tue ich es nicht. Es gibt überhaupt keine Freude mehr. Hier gibt es immer weniger. Diese Woche hatte ich des Glück, dass ich mal Butter das Pfund für 30 Mark kaufen konnte. Kaffee kostet nun schon 120.- Man kann es nicht glauben, aber es ist so. Und so geht das Leben weiter.

Dein Vater, ebenso dein ältester Bruder, jeder auf seine Art, machen mir das Leben herzlich schwer. Ich habe mir zwar vorgenommen, den Krieg hier auszuhalten, aber ob ich das kann, ist noch sehr zweifelhaft. Diese Nacht hatte ich einen furchtbaren Traum. Ich sah dich herumirren mit deinem Kind. Mein Gott, das darf doch nicht wahr sein. Jack versprach mir doch: I take care of Lotte, please don’t worry. Und ich glaube an Jack. Wo mag Röbi sein?

12. August 1942

Mein Namenstag ist vorbei. Wie alle Tage. Angeführt, frühmorgens durch Luftangriff, am Tag 5x Alarm und beendet durch Alarm. Noch aber kein Brief von Röbi, kein Zeichen der Anteilnahme. Uns werden zwar etliche Siege im Osten mitgeteilt, aber im Westen bereitet sich was vor. Was mag mit Röbi sein. Ich vergehe vor Angst. Hier wird das Leben immer schwerer. Jetzt bekommen wir überhaupt kein Schweinefett mehr. Sie erzählen uns, dass Margarine bestimmt dasselbe ist, wenn nicht sog besser. Weizenmehl wird durch Gerste ersetzt. Und so fressen wir schon mit dem Vieh aus einem Topf. Nach meinem Erachten müsste der Tiefstand doch erreicht sein, aber wie es scheint, ist es noch nicht der Fall. Wie mag es noch weitergehen. Es wird jetzt interessant weitergehen.

Ein trauriger Fall wird dich auch interessieren. Frau T. ist tot. Vergiftet mit Veronal oder Salzsäure. Es wird viel erzählt. Ihr Mann, dem sie doch alles tat, hat sie betrogen. Sie arbeitete und er fuhr zur Erholung und nahm sich eine Frau mit ins Salzkammergut, und wie ihre lieben Freunde dieses mitteilten, nahm sie Gift. Ja Lotte, die Frau hat auch nur gearbeitet und gescharrt für ihre Familie um diesen Dank zu haben. Ihre Tochter lässt sie allein zurück.

1. September 1942

Gestern erhalte ich einen Brief von Röbi. Vom 22.8.42. Er schreibt mir wie immer mit Liebe und dass ich mir nur gar keine Sorgen machen solle um ihn. Er will mir Zuversicht geben, trotzdem er immer in höchster Todesgefahr schwebt. Er behauptet, dass keine Kugel für ihn gegossen sei. Möge der Allmächtige es wahr machen, dass wir uns wiedersehen. Ich habe ihm dann auch zuversichtlich wieder geschrieben trotzdem dass ich vor Angst um ihn vergehe.

Dein Vater ist im Schwarzwald, hoffentlich sehr lange. Er hat uns angekündigt, dass er nun nach Hause kommen will. Ja, der Gute, jetzt wo die Fleischtöpfe sehr hoch hängen, ist es mit dem herrlichen Leben vorbei und nun nach 7 Jahren Abwesenheit meint er, wieder hier zu residieren. Ja, dann werde ich gehen und wenn ich auch für mich sorgen muss.

Kurt stellt mich auch sehr auf die Geduldsprobe. Er wollte mir doch nun schon so lange einen Brief an dich besorgen. Ich war zur festgesetzten Zeit bei ihm und brachte den Brief, ja, und da sagte man mir, K. ist verreist für 3 Wochen. Ja, also mal wieder 3 Wochen warten. Na, die sind nächste Woche um. Bin mal neugierig, ob du den Brief noch einmal bekommst. Ja Liebchen, nun will ich schließen und ins Bett gehen, denn ich will noch etwas schlafen, ehe vielleicht der Tommy kommt.

3. September 1942

Soeben gehe ich einkaufen. Ich komme durch die Voigtelstraße, da kommt mir Frau Scholz entgegen. Du weißt, das Kolonialwarengeschäft an der Ecke. Ich kenne sie nicht wieder, trotzdem ich gestern noch mit ihr sprach. Was ist Ihnen Frau Scholz, frug ich. Sie antwortete mir: Ich habe gestern die Nachricht bekommen, das mein lieber Mann gefallen ist. Es war schrecklich, ich wünschte, ich hätte nicht gefragt. Die Leute sind vom Unglück verfolgt. Im Mai bei dem Terrorangriff ihr ganzes Hab und Gut, ihre Privatwohnung verloren und nun das größte Unglück. Ich sah ihn im Mai erst gesund und sprach mit ihm über die Zukunft. Ja, nur Leid. Uns gegenüber sind schon so viele, die du kennst, tot.

18. September 1942

Ja Liebchen, lange habe ich nicht mehr geschrieben. Was auch. Es ist ja doch immer dasselbe. Immer die Angst, die tolle Angst um meinen lieben Röbi, ach, wenn ich nur schon wieder ein Lebenszeichen bekäme. Ja, dieses Warten macht mich noch verrückt. Ja Lotte, und nun bin ich wieder ganz allein. Gestern ist Walter wieder fort. Er ging als Dolmetscher nach Bordeaux. Er sagt für Kriegsdauer.

Warum Muss ich alle meine Kinder, die doch nun mein Lebensinhalt sind, fortgeben. Um nun, wo ich sie großgezogen habe, allein zu sein. Wird das noch mal anders. Ich kann es mir bald nicht mehr denken. Die furchtbaren Nächte mit Fliegerangriffen und Schrecken. Wie schwer ist es nun, auch noch Walter fortzugeben. Dein Vater ist schon lange im Schwarzwald. Er hält es noch nicht mal der Mühe wert zu schreiben. Ja, wenn der nur sicher sitzt. Nun, ich vermisse ihn nicht.

12. Oktober 1942

Ich gehe mal wieder zum Briefkasten und finde 3 Briefe, alle aus einer anderen Welt. England, Frankreich und Afrika. Ja, seit März 41 hatte ich keine Nachricht von dir und nun wieder, wenigstens die 25 Worte, dass es euch gut geht. Dann einen von Walter, er schreibt glücklich und nimmt nur in sich auf, all die neuen Eindrücke, die für einen Menschen wie Walter ja so viel ausmachen. Wenigstens einer, der es der Zeit entsprechend gut getroffen hat.

Und nun Röbi. Ach er ist all meine Sorge, er kam wieder zum Einsatz und wusste nicht wohin. Er will mir seine neue Feldpostnummer mitteilen. Ich soll mir keine Sorgen machen. Als wenn ich das könnte. Seit er in Afrika ist, hört die Sorge um ihn, meinen herzlichen Jungen, nicht auf. Ich schlafe nicht mehr, ich lebe nur auf, wenn ein Brief kommt, und 2 Tage später fängt die tolle Angst wieder an. Ich habe mich jetzt bemüht, Studienurlaub für ihn zu bekommen. Ich will hoffen, dass ich Glück habe. Ich will ja alles tun, wenn ich ihn nur eine Zeit bei mir habe.

Vielleicht hört es doch einmal auf, dieses Ringen, dieses Morden der Besten des Volkes. Warum all der Hass hüben und drüben. Ich habe für Röbi die wunderbarsten Zeugnisse von seinen Lehrern bekommen. Wenn es nur gut geht. Wenn der Allmächtige meine Gebete nur hört und mir meinen lieben Jungen wiedergibt.

Ich muss sagen über das Leid, welches sein Brief bereitete, habe ich mich über den deinigen gar nicht freuen können. Wie lange ist es her, dass ich mein liebes Lottenkind nicht mehr sah, und wie lange wird es noch sein bis ich sie wiedersehe. Dein Vater ist noch immer im Schwarzwald, er pflegt sich. Ich schrieb ihm, doch sich für Röbi zu verwenden, er sah mein ganzes Leid. Er schrieb mir zurück, dass er selbstverständlich für sein einziges Kind alles tue. Du siehst, im Leid muss er noch Gemeinheiten brauchen. Ja man kann nicht gegen seine Natur.

18. Oktober 1942

Es ist Sonntag. Ich sitze ganz allein. Ich schrieb gerade Röbi einen Brief. Er bat mich in seinem letzten Brief, ihm immer zu schreiben, jeden Tag, denn jetzt mache er die schwerste Zeit seines Lebens durch. Es ist mir furchtbar zu wissen, wie mein Junge leidet, ja, oder nicht zu wissen, was er alles mitmacht. Es muss schon schlimm sein, denn er klagte nie. Ich bin nun alle Wege gelaufen, um ihm einen Studienurlaub zu erwirken, ob es hilft. Ich mache mir nicht allzu große Hoffnungen. Denn ich glaube überhaupt nicht mehr, dass es noch etwas Schönes auf dieser Welt gibt.

Ob ich meinen lieben Jungen noch einmal wiedersehe. Herr Gott und Vater, ich bitte dich, verlange bitte nicht dieses Opfer von mir, es ist das einzige, was mich hochhält, die Hoffnung, meine Kinder wiederzusehen. Weißt du, ich bin doch nie mit Freuden des Lebens überschüttet worden und nun sitze ich hier allein, mutterseelenallein im Hause, wenn ich meine Arbeit getan habe, dann hänge ich meinen Gedanken nach, ja, dann muss ich an Röbi denken.

Von euch zwei anderen weiß ich wo ihr seid, was ihr tut und was eure Pflichten sind. Ich weiß, dass ihr nicht mehr und nicht weniger in Gefahr seid wie ich, es ist eben Krieg und es kann uns eben jeden Tag, jede Nacht etwas passieren, aber Röbi ist in richtiger Todesgefahr. Er sieht immer und immer wieder die entsetzlichen Grauen des Krieges, jede Minute ist er in Lebensgefahr und ich kann nichts tun ihm zu helfen als was ich getan habe und das ist so wenig. Ach, Gott kann ja diese Menschen nicht genug strafen, die dieses Morden verschuldet haben und so viel Glück zerstört haben.

Herr Reinemann muss nun auch fort. Er geht diese Woche nach Brüssel in seinen Beruf. Wie lange Bully bleibt, weiß ich nicht, sie möchte auch am liebsten zu Walter, sie hat ihm geschrieben, ob er etwas für sie tun kann. Walter lässt wenig von sich hören. Ja, Walter ist nicht Röbi. Frau Reinemann meint dann, ich solle wenigstens nachts zu ihnen kommen, dass ich nicht so ganz allein bin und damit ich was Schutz habe vor Fliegerangriffen. Ich werde es auch machen. Es ist furchtbar in diesen entsetzlichen Angriffen so allein im Hause, die furchtbaren Einschläge zu hören und jeden Augenblick denken, nun ist es aus. Aber wie Gott will, denn ohne seinen heiligen Willen wird keinem ein Haar gekrümmt.

Hier treibt der Schleichhandel die tollsten Blüten. Kaffee kostet 120-150 Mark das Pfund, Strümpfe 12.-, keine Seide. Butter 30.-, Fett nicht zu bekommen. Göring gab 50 Gramm Fleisch mehr die Woche, etwas Brot mehr und schon brüllt das verrückte Pack wieder Heil und so geht der Krieg fort und fort. Die wissen wie man das Volk, die Masse anpackt. Und unsere Jungen bluten weiter.

26. Oktober 1942

Gestern war ich im Dom, der neue Erzbischof hielt sein erstes Pontifikalamt. Da ich ganz allein bin, keine Pflichten habe, hatte ich das Bedürfnis für meine Kinder zu beten. Der neue Erzbischof ist unser früherer Pastor Dr. Frings. Als ich zum Dom kam, welch ein Anblick! Der Domplatz bis zur Reichard-Terrasse treue Menschenmenge Kopf an Kopf. Ja, die Nazis werden sich sicher nicht gefreut haben. Aber unser Erzbischof. Wie er mit seinem Wagen kam, fing die Menge spontan an zu rufen: Heil unserem Bischof. Dann im Dom Kopf an Kopf. Ich wurde vorwärts gedrückt und überlegte schon, wie kommst du wieder da heraus, da wirst du ja tot gedrückt.

Ich war sehr traurig, ich wollte doch meinem Herrgott mein ganzes Leid erzählen, wie ich mich um meinen Jungen sorge, wie ich Tag und Nacht dasitze, ja ich wollte ihm meine ganze große Herzensangst sagen. Und nun das. Nein, mit Andacht konnte ich das nicht, der Lärm war zu groß. Doch da wurde ich vorwärts geschoben und kam in den hohen Chor und ging und ging, bis ich hinter dem Hochaltar war. Ich blieb nun die ganzen Stunden der hl. Messe dort. Ich sah sehr vieles der hl. Handlung, ich konnte in Andacht dem Allmächtigen meine Nöte sagen, ja und wenn er mich erhört, ja dann sehe ich meine lieben Kinder gesund an Leib und Seele wieder.

Im vorigen Monat bekam ich kurz hintereinander 2x Nachricht von dir, mein liebes Lottenkind. Ach, wenn ich doch nur eine Nachricht von Röbi hätte. Walter ist nun auch schon länger fort. Ich bin eigentlich sehr enttäuscht über ihn. Er schreibt in letzter Zeit gar nicht mehr. In den ersten Tagen schrieb er sehr begeistert. Auch gibt es dort sehr viel, was bei uns nur zu den tollsten Wucherpreisen zu haben ist. Es wäre doch nun sehr nett gewesen, wenn er seiner Mutter mal etwas Kaffee oder sonst was geschickt hätte, aber gar nichts, noch nicht mal einen Brief. Ja wir sind alle sehr enttäuscht. Nein Walter, das hätte ich doch nicht gedacht.

8. November1942

Ja Liebchen, 2x habe ich nun auf einmal ein Lebenszeichen von dir bekommen. Nach 1 ½ Jahren, das ist wirklich des Glücks zu viel. Es freut mich, dass es dir und den Deinen gut geht. Dass dein Töchterchen mir so gleicht, freut mich, aber vielleicht habe ich noch mal im Leben das Glück, das selbst zu konstatieren. Es ist mir aber auch sehr gleichgültig, ob es mir gleicht, denn ich muss immer daran denken, wenn das Kind im Leben so viel Schläge bekommt wie seine Großmutter, dann wäre es besser, es hätte nichts gemeinsames mit ihr.

Ich lebe hier ganz allein. Walter ist in Bordeaux und es geht ihm gut und er lässt demzufolge auch sehr wenig von sich hören. Er ist eben seines Vaters Sohn. Und nun sind die furchtbarsten Kämpfe in Afrika und mein Junge Röbi mitten drin. Er wird genau wie seine Mutter vom Schicksal nicht verschont. Er hat es von Kindheit an so schwer und war doch mein Bester.

Ja Lottenkind, du weißt wie lieb ich dich habe und dass die ganze Sehnsucht meines Lebens ist, Röbi und dich wiederzuhaben, dass ich dafür alles gern ertragen will, was auch noch kommen mag, aber wenn ich vom Schicksal davor gestellt werde, dich nie wiederzusehen oder meinen Jungen zu verlieren, ja Liebchen, dann will ich lieber dich nicht wiedersehen, denn ich weiß ja, dass du es gut hast, das du Mann und Kind hast, die dich lieben, ja dann weiß ich, das du gut aufgehoben bist. Ja, dann muss ich auf dich, mein geliebtes Lottenkind, verzichten, denn auf meinen Röbi kann ich nicht verzichten. Aber ich glaube fest, dass Gott der Allmächtige noch alles zum Guten lenkt.

10. November 1942

Und nun, Lottenkind, wieder etwas, was der Mühe wert ist, niedergeschrieben zu werden. Also pass auf! Gestern konnte ich es nicht mehr aushalten, die Unruhe, etwas von meinem geliebten Jungen zu hören, trieb mich zu meiner Bekannten, Frau Oberst Coleman. Ich bat sie doch mal deinen Vater anzurufen, ob er etwas gehört habe. Er ist nach 3 Monaten Schwarzwald wieder in der Schildergasse, wo er notdürftig wohnt. Ich war schon 3x vergeblich bei ihm, er macht mir nicht auf. Ja das ist dein Vater mit 67 Jahren. Also Frau Oberst rief an, als wenn aus eigener Initiative. Aber da ging eine Schimpfkanonade los. Eine halbe Stunde nichts wie Schmähungen der gemeinsten Art, dass es ihm gut tue, dass ich so litte, wenn ich überhaupt dazu fähig wäre.

Denn ich hätte doch überhaupt kein Gefühl für Röbi, wenn ich schon Gefühl hätte, dann doch nur für meine Tochter in England oder für das Schwein, welches bei mir zu Hause sei. Aber wenn ich litte, dann wäre das gut, denn das hätte ich verdient, das wäre die Vergeltung. Also ich kann es dir nicht alles schreiben, es ist unmöglich, das wiederzugeben und wenn auch nur etwas noch in mir an Gefühl war, dann war es da gestorben. Frau O. kam nur mit List vom Telefon und war so seelisch fertig wie ich. Sie war sehr nett zu mir. Ich ging in meine Wohnung und war verzweifelt, denn langsam glaubte ich selbst an meine Schlechtigkeit. Ich wusste nicht mehr, was machen.

Ja Lotte, das einzige, was mich hochhält, ist immer wieder abwarten, ob was aus Afrika kommt. Es ist was mich hochhält. Ich lief durch den Regen einsam und verlassen, das Ergebnis eines 30jährigen Zusammenseins mit einem Menschen, den ich schon im ersten Jahr verachtete. Und wofür, nur für meine Kinder. Ihnen die Erziehung zu gestatten, die sie nicht gehabt hätten, wenn ich geschieden gewesen wäre.

Ja, über alles musste ich noch mal nachdenken, und kam zu dem Schluss, dass ich es an nichts habe fehlen lassen und dass meine Kinder alle drei das nur ihrer Mutter zu danken haben, was sie heute sind. Ja, und das gab mir die Ruhe wieder, ich kam nass nach Hause. Ich sagte mir: Ich will abwarten, was der Herrgott mir noch alles für Aufgaben stellt und ich will sie erfüllen, mir muss er nur meinen Jungen lassen und ihn mir zurückgeben.

Also ich kam nach Hause, es war dunkel, ich fühle in den Briefkasten, um die Zeitung zu kriegen, und oh Wunder, was ist das. Ein Brief, sicher von Walter, ich gehe ins dunkle Haus, ich mache in der Küche Licht. Nein, das sind ja 2 Briefe und, oh Gott, beide von Röbi. Ich werde verrückt, ich laufe umher, um endlich alles zu lesen. Ja Liebchen, die Briefe kannst du vielleicht später einmal selbst lesen. Sie sind ein Bekenntnis von Liebe zur Mutter und ein Beklagen über den Vater, der nur sein eigenes Wohlergehen im Auge hat. Ebenso über seinen Bruder, der ihm in all der Zeit noch nicht einmal einen Brief nach Afrika geschrieben hat, nicht einmal ein Wort des Trostes.

Ich sah in diesen Briefen eine Antwort des Schicksals, auszuhalten, bis ich meinem lieben Röbi mal wieder in sein liebes gutes Gesicht sehen kann, bis ich ihn mal wieder feste an mich drücken kann und in seine lieben Augen sehen kann. Dieses wird ja noch lange dauern, noch bis Mai wenn Gott der Herr ihn mir beschützt.

12. November 1942

Ja, nun mal etwas über Walter. Es ist schade und ich habe lange gewartet, es zu glauben, dass Walter so ein Egoist ist. Aber leider ist es so. Weißt du, ich bin in all der Zeit, wo Walter vom Militär wieder zurück ist, herumgelaufen, um ihn satt zu kriegen, stundenlang in die Bahn, um Milch und ein paar Eier zu kriegen, alles habe ich den Bauern gebracht, um was zu bekommen. Unter der Hand Butter gekauft, alles für ihn, dann bekommt er die Stellung in Bordeaux. Dort ist Kaffee, Tee, Schokolade, Butter, eben alles, was man hier 4 mal so teuer oder gar nicht bekommt. Aber er schickt mir nichts, er muss sich seine Liebhabereien erfüllen und die kosten viel Geld.

Seinem Bruder, der heute, wenn er noch lebt, das schwerste Leben hat, der Hunger und Durst leidet, der Heimweh hat, dem jedes liebe und teilnehmende Wort von zu Hause gut täte, dem schreibt er bis heute noch nicht ein gutes Wort. Nein, so viel Gefühlsrohheit von einem meiner Kinder, nein das hätte ich nicht gedacht. Weißt du, über die Ungewissheit, was mit unserem lieben Röbi ist, werde ich noch verrückt und glaube mir, da hätte ein teilnehmender Brief gutgetan, aber statt dessen schickt er mir Röbis Briefe, wo er mich mal drum bat, die ich aber zurück verlangte, ohne ein Wort zurück. Ja, das ist dein Bruder Walter.

Ich will nur hoffen, dass mir mein Bester erhalten bleibt. Da will ich den Allmächtigen drum bitten. Heute nach allem, was in Afrika sich da tut, wünschte ich, dass er in englischer Gefangenschaft wäre. Dann wäre er gut aufgehoben, dann würde ich ihn wiedersehen, meinen guten Jungen, denn wenn nicht, mag ich auch nicht mehr leben. Was mag die nächste Zeit bringen? Ich habe so tolle Ahnungen. Lieber Gott, verschone mich vor allem Unheil, erhalt mir meinen lieben guten Röbi, meinen innigst geliebten Jungen, ohne den das Leben für mich nichts mehr bietet.

19. November 1942

Dein Namenstag. Mein Liebchen, ich gratuliere. Ganz allein. Diesmal kommt kein Röbi und Walter ist auch in Feindesland. Heute Morgen war ich in der Kirche und mein Gebet war für dich und deine Brüder, meine Gedanken weilten bei euch, meine geliebten Kinder. Meinen Röbi kann ich nur noch dem Schutz des Allmächtigen anvertrauen und nur ein Wunder oder sein Wille gibt ihn mir wieder. Der letzte Brief war so voller Leid. Er bat mich, ihm doch einen Kuchen zu schicken. Es ist der vierte, den er bekommt, die 3 ersten hat er überhaupt nicht bekommen. Ich habe unzählige 100 Gr. Päckchen mit Zigaretten, Drops gesandt und ich werde verrückt, wenn ich immer wieder höre, dass er nichts bekommt.

Und nun dieses furchtbare Geschehen in Afrika. Ich kann gar nicht mehr denken, ich lebe in einem Trance-Zustand, ich arbeite nachts stundenlang, weil ich nicht mehr schlafen kann. Wie ich früher schlafen konnte, weißt du ja. Ich werde plötzlich wach und sehe meinen geliebten Jungen. Weißt du, ich habe nie die Sorgen so um dich, ich sehe dich geborgen, aber Röbi sehe ich in dauernden Gefahren. Weißt du, Lottenkind, wenn sie hier noch vor nicht langer Zeit sagten, dass sie nun bald nach der Insel gehen wollten und in 8 Tagen alles zerstören wollten und sie mich dann mitleidig betrachteten, weil ich eine Tochter dort habe, dann habe ich immer im Stillen lächeln müssen und habe gedacht: Ihr armen Irren, oder ich habe die Geduld verloren und ihnen gehörig die Meinung gesagt. Ich weiß nicht, dass ich noch nicht im Konzentrationslager sitze.

Hast du nicht auch schon mal Angst um mich? Die einzige, die meiner Meinung ist und immer war, ist Bully, auch ihre Mutter teilt nicht ganz unsere Meinung in Bezug auf unsere Zukunft, sie befürchtet auch, dass die Bande hier stark bleibt. Ich aber glaube von Anfang an, dass sie eines Tages von der Bildfläche verschwinden und unser Volk voll Grauen an sie zurückdenkt, gleich so wie man an die Pest oder sonstige Seuchen denkt, dieses gottlose Gesindel.

Da ich nun gerade an Bully bin, muss ich dir auch ihr Schicksal in kurzen Sätzen schildern. Vieleicht sitzen wir später einmal zusammen und ich kann in kurzen Worten erläutern, was ich nicht alles schreiben kann: Ja Bully hat es schwer, im Laufe der Zeit von den eigenen Freunden denunziert, wird sie von der Gestapo verfolgt. Sie kann nichts unternehmen, alles wird beobachtet. Sie ist dienstverpflichtet, muss hart arbeiten und was das Schlimmste ist, sie leidet seelisch am meisten darunter. Wie soll man da trösten, ihre ganze Jugend vertrauert sie und sitzt mit uns 2 alten Frauen zusammen, die selbst ihr Leid haben und nun zwar seelenverwandt ihr immer wieder sagen, dass es ja doch einmal ein Ende muss haben, ja und was kann ich sie schon trösten, bin ich doch selbst im Herzen so voller Leid und Angst um mein liebstes Kind, denn noch immer sitzen mir die furchtbaren Ahnungen im Nacken.

2. Dezember 1942

Ich komme eben von deinem Vater. Er hat mal wieder niemand, der ihm seine Bude putzt. Alle haben ihn nun schon bestohlen, wie er behauptet. Keine kommt mehr und da muss ich wieder herhalten und wie immer mache ich es. Ja Lotte, aber nicht aus Liebe. Ich sehe im Geiste meinen guten Jungen, wie er sagen würde: Mutter, helf dem Aal, sonst jeht de jo doch im Dreck kapott, loss en doch sage watt he well. Und da mache ich es schon wieder. Wenn ich ihn dann so freundlich tun sehe, dann muss ich immer an das Telefongespräch mit Frau Oberst denken, ich stand ja daneben und hörte alles. Ja Lotte, das vergisst man nie. Ich habe mir mal wieder Blasen an die Hände gearbeitet an seinem Dreck. Eines haben wir zwar zusammen, unser Leid um unseren Jungen, und deshalb will ich nicht hadern.

Ich will nur hoffen, dass Gott ihn mir wiedergibt. Ich habe noch immer keine Nachricht. Nur dein Bruder Walter schreibt mir Briefe, der letzte so unverschämt und frech. Scheinbar hat er es nicht so angetroffen wie er es sich gewünscht hat. Aber du weißt, er ist auch nie zufrieden und alles wird ihm schnell leid. Nur ist heute Krieg und er kann nicht so schnell fort, er muss dieses mal da bleiben. Er kann seiner Mutter nun keine Frechheiten mehr sagen, er meint, er muss sie jetzt schreiben.

Ja Lotte, über mir ist augenblicklich der Tommy, wir haben Alarm. Ich bin mutterseelenallein, ich weiß noch nicht mal wie alles geht. Ich sitze in meinem Zimmer, kein Luftschutzkeller, nichts, gar nichts. Wenn der liebe Gott mich gesund durch all diese Schrecknisse durchgehen lässt, wenn ich meinen lieben Röbi wiederbekomme, wenn ich dich wiedersehen kann, dann ist diese entsetzliche Zeit hinter uns, ja, dann glaube ich, das der Allmächtige noch eine schönere Zeit für mich, nein was sage ich, für uns aufgespart hat.

Ich will ihn darum bitten und will nun dieses Buch schließen. Der Krieg ist zwar noch nicht um, mein Buch ist voll und da ertönt auch gerade die Entwarnung. Und nun mein liebes Lottenkind, sollte dich dieses Buch erreichen, dann lese es aufmerksam durch, es ist für dich von deiner Mutter geschrieben in der furchtbarsten Zeit unseres Lebens. Der Krieg ist noch nicht beendet, wir wissen nicht, was uns das Ende bringt. Wie es auch sein mag, wie uns auch das Leben trennt, denke immer daran, dass das Land, wo deine Mutter lebt, dein Vaterland ist, wo sie dich erzogen hat und wo du viel Freud und Leid erlebt hast, dass dort deine Brüder leben und ich bitte dich, dieses nie zu vergessen, dass ihr immer zusammenhalten müsst, auch dann wenn Länder und Meere euch trennen.

Ich will hoffen, dass ich dir dieses Buch geben kann, und wenn nicht und es kommt auf anderem Weg in deine Hände, dann verwahre es als ein Dokument aus ernster bitterer Zeit. Ich bin immer deine dich treu und innig liebende Mutter.

6. Dezember 1942.

Eigentlich wollte ich nicht mehr schreiben, aber es ist auch nicht richtig, aufzuhören. Ein zweites Tagebuch bekomme ich nicht mehr. Die Geschäfte haben nichts, es ist eben Papierknappheit. Nun ist es schon 8 Wochen, das Röbi nichts mehr hören lässt. Ich bin nun verzweifelt, etwas zu hören.

Meine Gefühle lassen sich nicht beschreiben. Auf der Post sagte man mir, dass keine Verbindung mit Afrika zur Zeit bestehe. Der Tommy wurde wieder lästig und wenn es wahr ist, was man im Luftschutzunterricht hört, dann steht uns ja noch allerhand bevor. Und nun steht Weihnachten vor der Tür. Wäre es doch schon alles vorüber. Hier singt man ein Lied: Es geht alles vorrüber, es geht alles vorbei, nach jedem November, kommt wieder ein Mai. Ja, wenn diese Hoffnung nicht trügt.

Weihnachten 1942

Weihnachten! Traurigstes aller Feste für mich. Dieses Mal ganz allein. Allein mit einer jungen Dame. Belgierin, die hier dienstverpflichtet ist und die ich in dein Zimmer einquartiert habe, einenteils um ein gutes Werk zu tun, andererseits um nicht ganz allein zu sein. Wir gingen den hl. Abend zu deinem Vater, er konnte oder wollte nicht nach Hause kommen. Ich ging also mit Einigem zu ihm an diesen Abend, der uns beiden gleich schwer war.

Als ich zu ihm kam, frug er mich: Weißt du schon? Nein, was ist es denn? Er gab mir eine Karte, die er an Röbi geschrieben hatte. Sie kam mit dem Vermerk zurück: „Empfänger vermisst“. Ich musste mich setzen, meine Knie wankten. Also was ich so lange befürchtet, ist wahr. Vielleicht steht uns in nächster Zeit noch Schlimmeres bevor. Zu denken, dass mein Junge, mein Bester nicht mehr sein sollte, nicht mehr in meinem Leben sein sollte, nein mein lieber Gott im Himmel, lass dieses nicht wahr sein. Alles kannst du mir antun, nur das nicht. Nein. Nein.

Ich habe direkt an alle Stellen geschrieben um Gewissheit. Gott, ist dies Schicksal hart. Röbi, mein guter Junge, mit so viel Talent, mit so viel Herzensgüte, mit viel Frohsinn und wie hing er an seiner Mutter. Wie baute er sich Schlösser, die alle in einem vereinigt waren, in seiner schönen und hohen Kunst. Und das soll alles zu Ende sein, ehe es angefangen hat.

Vater ist äußerst ruhig, er hängt auch mit allen Fasern seines Herzens an seinem Sohn, in dem er den großen Künstler sieht, der er einmal bestimmt wird, wenn er wiederkommt, er klammert sich mit allen Kräften an den Glauben, dass sein Junge wieder komme. Wir verbrachten also hl. Abend so gut wir konnten trotz Alarm. Dann ging ich mit Frau Jansen nach Hause und dann die Nacht.

Der 1. Weihnachtstag brachte mir einen Brief von Walter, ein Brief voll Sehnsucht, es ist schwer auch für ihn, und ich wünschte, ich hätte ihn jetzt hier. Frau Jansen musste arbeiten, und nach Mittag gingen wir, um den Gedanken zu enfliehen, ins Kino und es war Gott sei Dank dunkel und Abend, wie wir heimkommen. Ich schrieb an Walter und so ging der Tag vorbei.

Der 2. Weihnachtstag! An dem 2. Tag dasselbe. Ungewissheit. Bis jetzt habe ich noch keine Nachricht, ich habe überall hingeschrieben, Rotes Kreuz Genf. O.K.W., betrifft Vermisst, wahrscheinlich in Engl. Kriegsgefangenschaft. An den Offizier der Feldpostnummer von Röbi. Ja, und nun warten, warten, die Ungewissheit ertragen, die tollsten Vorstellungen lassen mich nicht zur Ruhe kommen. Ja, und doch graut mir vor der Gewissheit.

Den 2. Tag ging ich in den Königsforst, denn in der Natur findet man sich am ehesten zurecht, aber auch hier verfolgt mich der entsetzliche Gedanke, Röbi könnte irgendwo gelegen haben, hilflos, verwundet, verdurstet und keiner kommt ihm helfen und er geht elend zugrunde. Mein lieber kleiner Röbi, mein Herzensjunge. Wie wollte ich zufrieden sein, wenn er in englischer Gefangenschaft wäre und wir hätten die Hoffnung, ihn doch wiederzusehen, ihn wiederzuhaben, ich würde meinem Herrgott auf den Knien danken, ich würde alles ertragen, was dieser unselige Krieg mir noch schweres bringt.

9. Januar 1943

Neujahr vorüber, immer dasselbe. Alarm. Angst um Röbi, Ungewissheit. Biba schickte mir eine Karte, demnach hat er ihm im November geschrieben, und zwar dass er krank im Lazarett liegt, nierenkrank und Herzfehler und als der große Dreck losging, musste er krank wieder zur Companie zurück. Ja und dann hörte ich nichts mehr. Meine Anfrage an das R. K. Genf kam zurück mit dem Bemerken von der Briefzensur, dass für diese Angelegenheiten das O.K.W. zuständig wäre. Ich war verzweifelt.

Nun ich hatte auch schon an das O.K.W. geschrieben und bekam nun heute folgende Mitteilung: Ihr Sohn, der Gefr. R. S. geb. … ist in Engl. Kriegsgefangenschaft. Nummer ist noch nicht eingetroffen. Solange nicht hier an folgende Adresse schreiben: German Prisoner of War Chief Postal Centre Middle East Egypt.

Ein Stein fiel mir vom Herzen. Er lebt. Er ist aus der Hölle. Ich freue mich, ich danke meinem und seinem Schöpfer. Ich habe die Aussicht, ihn wiederzusehen, wiederzuhaben, wenn es auch noch etwas dauert. Ich hoffe nun auf den Tag, wo ich Nachricht von ihm persönlich bekomme, ob er gesund ist und wie es ihm geht.

Ich versuche nun direkt an dich zu schreiben, ob du Röbi öfter einen lieben Brief schreiben kannst. Wäre das doch schön. Ob Jack etwas für ihn tun kann? Na, ich will sehen, was wir machen können, du Lotte, ich bin überzeugt, dass du für deinen kleinen Röbi auch alles tust was in deiner Macht steht, denn das ist deine heilige Pflicht deiner Mutter gegenüber, die dich zum erstenmale in deinem Leben ernsthaft um etwas bittet; aber ich weiß auch, dass dieses keiner Fragen bedarf, dass du für deinen Bruder alles tun wirst. Hauptsache ist, wie bringe ich es dir bei?

Anmerkung von Clare Westmacott: Röbi musste am 21. April 1942 nach Afrika aufbrechen. In Libyen griff Rommel im Mai 1942 die britische Wüstenarmee an und nahm am 21. Juni Tobruk ein; zwei Tage später erreichte er Ägypten. Ende Juni erreichte er El Alamein und war nicht mehr weit entfernt von Alexandria und dem Nildelta. Rommel setzte seine Offensive am 31. August fort, um die achte britische Armee zu schlagen und Alexandria einzunehmen. Nach einer heftigen Schlacht zog Rommel sich zurück. Er ging aus gesundheitlichen Gründen nach Österreich, kehrte am 24. Oktober auf Befehl Hitlers aber zurück.

Als Rommel westlich von El Alamein eintraf, war die Schlacht für Deutschland faktisch bereits verloren. Der zwischenzeitliche Befehlshaber General Stumme war an einem Herzinfarkt gestorben. Die britische Armee hatte Verstärkung erhalten und die Truppen der Achsenmächte überwältigt. Die britische Luftwaffe bombardierte Nachschub, Truppen und Stellungen. Am 2. November gelang den Truppen von Montgomery der Durchbruch.

Hitlers Antwort auf Rommels Vorschlag zum Rückzug lautete:

“Mit mir verfolgt das deutsche Volk in gläubigem Vertrauen auf Ihre Führerpersönlichkeit und auf die Tapferkeit der Ihnen unterstellten deutschen und italienischen Truppen den heldenhaften Abwehrkampf in Ägypten. In der Lage, in der Sie sich befinden, kann es keinen anderen Gedanken geben als auszuharren, keinen Schritt zu weichen und jede Waffe und jeden Kämpfer, die noch freigemacht werden können, in die Schlacht zu werfen. (…) Ihrer Truppe (…) können Sie keinen anderen Weg zeigen als den zum Siege oder zum Tode.“

Rommel hatte den Rückzug tatsächlich bereits begonnen und tat sich schwer damit, den Befehl zu befolgen, während der faktische Befehlshaber des deutschen Afrikakorps, General von Thoma, Hitlers Befehl als Wahnsinn und Todesurteil für die deutsche Truppen und ihre italienischen Alliierten bezeichnet haben soll. Am 4. November 1942 wurde von Thoma von Briten gefangenengenommen, neben einem brennenden Panzer stehend. NOch am selben Abend aß er zusammen mit Montgomery in dessen Hauptquartier.

Rommel bat erneut um Erlaubnis zum Rückzug und gab entsprechende Befehle noch bevor Hitlers Antwort eintraf. Montgomery überrannte die deutschen und italienischen Truppen. Rommel und seine Verbündeten verloren 54.000 Mann – 9.000 starben, 15.000 wurden verwundet, 30.000 kamen in britische Gefangenschaft.

Röbi zählte zu den Kriegsgefangenen, und er wurde besonders gut behandelt, als die Engländer herausfanden, dass seine Schwester in England lebte. Er hatte ein Foto von ihr und ihrem Mann, meinem Vater, das während der Flitterwochen in Schottland aufgenommen worden war und auf dem die beiden neben einem Auto mit britischem Nummernschild standen. Auf der Rückseite stand eine Widmung für Röbi.

(Sources: William L. Shirer, The Rise and Fall of the Third Reich: A History of Nazi Germany, Simon and Schuster, New York 1960; Alexander Querengässer,El Alamein 1942: Materialschlacht in Nordafrika, Ferdinand Schöningh, Paderborn 2019; statista.com)

10. Februar 1943

Ja, lange habe ich nicht mehr geschrieben. Die Luftangriffe sind wieder sehr gefährlich und viel ist wieder zerstört worden. Viele Tote, viel Elend. Wann gehört man auch dazu. Ich glaube heute nicht mehr an ein Wiedersehen, ich glaube auch nicht, das du diese Zeilen je liest. Von Röbi höre ich nichts mehr. Man sagt mir, das er von Ägypten nach Canada gebracht wird, und nun habe ich Tag und Nacht keine Ruhe, dass ihm bei der Überfahrt etwas passiert. Wenn er doch nur mal wieder schreibt, dann wäre es wieder gut.

Walter ist jetzt auch in Gefahr und meine Sorge um ihn ist groß. Wenn es da los geht, und das wird es in absehbarer Zeit, dann ist er in großer Gefahr. Er kommt in 3 Wochen in den ersten Urlaub. Er wie ich zählen die Tage. Von dir höre ich nichts mehr.

Dein Vater ist und bleibt der Gleiche. Egoist durch und durch. Man kann ihm geben, man kann ihm gut sein für den gleichen Undank. Zu mir freundlich und bei jedem anderen macht er uns schlecht, lässt kein gutes Haar an uns. Wenn ich nicht dächte, er ist alt, ihm kann jede Nacht was passieren, ich glaube, ich ließe ihn verkommen, denn das tut er ohne mich. Keine macht ihm was als ich allein.

Hier ist es nun so weit, das alle Frauen eingezogen werden, in die Wehrwirtschaft, in die Munitionsfabriken. Bully ist in Brüssel tätig. Frau R. ist allein, ihr Mann ist auch fort. Heute bekam ich von der Post 10 Briefe zurück, die ich Röbi geschrieben hatte. Wie lange hat der arme Junge kein Lebenszeichen von seinen Angehörigen, wie mag er sich sorgen um uns. Ob er nun meine Briefe bekommt, ich weiß es nicht, wie lange mag dieser entsetzliche Zustand noch dauern. Jede Nacht und jeden Abend Alarm, nichts zu essen, nur Tod oder Elend.

Frau Flöck hat die Nachricht bekommen, das K. bei der 6. Armee vor Stalingrad lag. Wie du wissen wirst, ist diese ganze Armee aufgerieben worden. Ob er dabei war, sie weiß es nicht, ob er tot oder gefangen ist. Ist es nicht furchtbar. Die arme Frau, ich kann sie nicht mehr trösten.

Denn in die Stadt zu gehen, zu sehen, das es keine Straße mehr gibt, wo nicht Luftangriffe alles zerstört haben, oder durch die Geschäfte zu laufen. Heute kannst du nichts mehr bekommen. In der ganzen Stadt keine Schuhe, keine Strümpfe. Nichts, gar nichts. In den Läden liegen Auslagen, die seit Jahr und Tag nicht mehr verkauft werden. Wir haben vor Weihnachten ein paar Eier bekommen und seitdem nichts mehr und nun ist Februar. In der Stadt siehst du nur noch Fremde, alle Sprachen hörst du sprechen. Ich denke oft, was soll das geben, wenn hier der Tanz losgeht, denn für sie alle sind wir Feinde und mit Recht.

Anmerkung von Clare Westmacott: Bis zum Ende des Winters 1941 /1942  waren mehr als eine Million deutsche Soldaten in den Kämpfen nach dem deutschen Überfall auf Russland getötet oder verwundet worden.

Nach diesen Rückschlägen entschied Hitler sich für eine neue Strategie. Er plante, im Sommer 1942 gleichzeigit die Ölfelder im Kaukasus, die Industrieregion um Donezk und die Weizenregion um Kuban anzugreifen und Stalingrad an der Wolga einzunehmen. Bei einem Erfolg wäre Russland von dringend benötigten Gütern abgeschnitten, die dem unter der Kriegswirtschaft leidenden deutschen Volk zur Verfügung gestellt werden sollten.

Außer diesen Gütern brauchte er auch Soldaten, um seine dezimierten Reihen aufzufüllen. Er forderte mehrere Divisionen in Ungarn und Rumänien an und brachte Italien dazu, sechs Divisionen zur Verfügung zu stellen.

Zunächst waren die Achsenmächte erfolgreich und erreichten bis August die Wolga nahe Stalingrad. Im Glauben, die russischen Truppen seien am Ende, setzte Hitler darauf, den Kaukasus und Stalingrad gleichzeitig zu erobern. Im November war die Lage bereits katastrophal aus deutscher Sicht. Die 6. Armee unter General Paulus hungerte, litt unter Erfrierungen, ohne Winterkleidung, und war eingeschlossen. Hitler wies alle Vorschläge für eine Kapitulation oder einen Ausbruch ab. Zwei Mal bot die russische Seite den belagerten Deutschen die Gelegenheit zur ehrenvollen Kapitulation an. Als Paulus Hitler vorschlug, zu akzeptieren, antwortete dieser am 8. Januar 1943: “Verbiete Kapitulation! Die Armee hält ihre Position bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone.“

Schätzungsweise 700.000 Menschen starben während der Schlacht um Stalingrad, die meisten von ihnen russische Soldaten. Von den 200.000 deutschen Soldaten, die dort eingekesselt gewesen waren, starben 60.000. 91.000 kamen in Gefangenschaft, nur etwa 5.000 von ihnen kehrten zurück, die anderen starben in den Gefangenenlagern.

Quelle: Antony Beevor: Stalingrad. Viking 1998

15. Februar 1943

Wieder haben wir einen tollen Angriff hinter uns. Nach und nach bricht ein Stück nach dem andern von deiner schönen Heimat ab. Ja, Röbi wird auch sein Colonia nicht mehr wiederkennen. Dieses mal gilt es uns in nächster Nähe. Einschlag auf Einschlag. Ich bin bei Reinemanns. Frau R. ist auch allein. Bully und ihr Vater sind in Brüssel dienstverpflichtet. Ob wir uns alle wiedersehen. Ich bezweifle es. Der Angriff ist kurz aber furchtbar. Wir kommen aus dem Keller und rund um uns brennt es. Sigel Werke, Maarweg, Straßenbahnhof, Lindenthal, Klettenberg, Sülz, Ehrenfeld, alles ein Flammenmeer, überall Brandbomben. Ja, und der Wahnsinn geht weiter für ein paar Schweinehunde, ein paar Bonzen.

26. April 1943, Ostermontag

Lange Zeit ist vergangen, lange habe ich nichts mehr niedergeschrieben, viel ist passiert. Walter war inzwischen in Urlaub. Er kam am 26.2., müde, der Zug hatte 6 Stunden Verspätung. 2x ging ich vom Bahnhof heim. Endlich kam er müde und hungrig. Der arme Kerl war so lange unterwegs mit einem Stück Brot. Er aß, dann wollte er baden und ins Bett gehen, um etwas zu ruhen, bevor der Tanz los ging, denn wir waren überzeugt, das es los ging, am Tag hatten wir einen Alarm nach dem andern.

Aber als er sich auszog, war ich entsetzt, er hatte die ganzen Beine voll Löcher, tiefe Löcher voll Eiter. Er hatte sie schon lange, keiner half ihm. Der Arzt habe erklärt: Vitaminmangel. Der arme Junge. Ich bat ihn zum Arzt zu gehen, er wollte nicht, er wolle ruhen und nicht im Wartezimmer sitzen. Ja, das konnte ich ihm nicht verdenken. Also pflegte ich ihn und zwar nach altem Rezept mit Kamillenbädern. Aber die Wunden gingen nicht zu und ich dachte mit Schrecken, dass er mit den offenen Beinen wieder fort müsse, er hatte nur 13 Tage Urlaub, mein armer Junge. Ja und da habe ich ihn stundenlang in Kamillen gesetzt und Gott sei Dank, es hat geholfen. Als er fortging, hatte er nur noch eine Wunde und die habe ich ihm dann gut verbunden und ich war froh, wie er mir schrieb, das auch noch diese nach kurzer Zeit heil war.

Ja, und nun zurück nach unserem 1. Urlaubsabend. Als Walter gebadet hatte und wollte gerade etwas ruhen, da kamen die Engländer und es gab einen tollen Tanz, ich war so von Sinnen, kein Schutz, nichts. Ich glaubte nicht, dass wir durchkommen. Walter ist in den Angriffen immer derjenige, der mich beruhigt. Bei uns war noch eine Dame, eine Kollegin Walters. Es war entsetzlich, es steigerte sich immer mehr. Endlich wird es stiller, um dann ganz nachzulassen.

Und dann den andern Morgen. Klettenberg, ganze Straßen fort, einfach fort. Lindental, Dürener Straße, furchtbar. Minoritenkirche zerstört und rund herum Trümmer, nichts anderes. Und der Tanz geht weiter, immer schlimmer. Walter ist sehr müde und ich mache es ihm so schön wie ich kann, ich habe zusammengeschleppt, was ich konnte und verwöhne ihn eine kurze Zeit. Die Zeit geht rasch vorbei und bald viel zu rasch bringe ich ihn schon wieder zum Zug, um ihn für lange Zeit fortfahren zu sehen und ich bin wieder allein.

Bei seinem Vater war er nicht, ich frug ihn, aber er wollte nicht. ja und ich konnte es ihm nicht verdenken. Vater und Sohn haben sich nichts zu sagen. Die Schuld liegt nicht bei Walter.

Ja, und ich will nun sehen, auf dem Lande eine Bleibe zu bekommen, denn ich will doch etwas retten, um es den Jungen zu erhalten. In einem alten Schloss Ehreshoven bekam ich ein Zimmer bei einem Baron Geyr von Schweppenburg, aber das war nicht so einfach wie ich das hier schreibe. Es war sehr mühsam. Nach tollem Hausieren und Zugeständnissen erhielt ich erst die Erlaubnis der Behörde. Er ginge zu weit dir dieses alles zu schreiben, vielleicht bin ich in der Lage, es dir einmal zu erzählen.

Ja, und da habe ich nun verschiedenes, was ich nicht zerstört haben will, hingebracht. Dort gehe ich auch sehr oft schlafen und wenn es gar so schlimm wird, gehe ich jede Nacht dort schlafen. Frau Reinemann hat auch viel dort untergebracht und wenn wir müssen, wollen wir dort Schutz suchen. In unserem Haus bin ich nun ganz allein. Nachts kann ich dort nicht bleiben, es ist mir zu einsam, ich schlafe viel in Bullys Zimmer, dann bin ich abends bei Frau R.

Ostern ist ihr Mann da. Ja, und da will ich nicht stören und gehe nach Ehreshoven auf mein Zimmer. Den 1. Tag regnet es toll, aber ich gehe in den Wald und so gehe ich stundenlang durch den Wald und fühle mich so einsam und verlassen wie noch nie. Wie lange soll dieser Zustand noch anhalten. Wenn ich nicht felsenfest davon überzeugt wäre und mich immer und immer wieder überzeuge oder es mir einrede, dass ich euch wiedersehen will, nein dann möchte ich nicht mehr leben. Ja, und so geht das Leben weiter.

Röbi schreibt mir einen Brief vom 19.3.43.: Ich habe nun seit August 42. nichts mehr aus der Heimat erhalten, ich werde verrückt. Langsam schließen sich nun meine Wunden. Ich wusste nichts von einer Wunde. Der arme Kerl. Er bekommt keine Nachricht von der Heimat. Ich schreibe ihm laufend und schickte ihm 4 Pakete. Er hat noch nichts. Es ist unglaublich. Ich bin verzweifelt. Was muss der Junge für Sorgen haben. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Wie komme ich an dich, um dir zu sagen, das du für deinen Bruder etwas tun könntest.

Kurt hat mir nun schon so oft alles versprochen, aber bis jetzt habe ich noch nichts erreicht. Morgen will ich mal wieder zu ihm gehen, ob er etwas machen kann. Walter habe ich auch schon damit den Kopf voll gehangen, ob er etwas kann. Na, die Hoffnung gebe ich jedenfalls nicht auf. Morgen fahre ich nach Hause, um dort nach dem rechten zu sehen, um zu waschen, deinem Vater alles zu machen. Ja und so geht es weiter, das Warten, das Zagen, der Schnee und auch der Krieg.

13. Mai 1943

Gestern bekam ich von dir das 1. Lebenszeichen nach einem halben Jahr. Ja, man hat warten gelernt. Röbi, mein guter Junge, was mag mit ihm sein. Ich danke meinem lieben Herrgott, dass er wenigstens den Dreck in Afrika nicht bis zum bitteren Ende hat mitmacht. Herr Rommel bekam für seine „Verdienste“ in Afrika den höchsten Orden, den das Schwein zu vergeben hat, eine Dekoration mit Brillanten. Ja, mit Brillanten haben sich die Bonzen reichlich versehen, ebenso mit andern Wertgegenständen, um, wenn es schief geht, sich irgendwo in der Welt hinzusetzen, um ihren Raub in Ruhe zu vergessen.

Aber das ist der einzige Segen, dass sie das nicht können, diese Schufte, die unsere besten Menschen auf dem Gewissen haben. Die Vergeltung kommt. Das Volk kann das nicht mehr lange ertragen. Sie haben auch Angst, umsonst arbeitet die Propaganda nicht mit allen dreckigen Mitteln, aber das Gros des Volkes glaubt nicht mehr.

Die letzten Luftangriffe der Engländer waren entsetzlich. Essen besteht nicht mehr, Dortmund war zuletzt, es muss grauenhaft dort aussehen. Ja, mein liebes Lottenkind, ob ich euch, dich und meinen lieben, lieben Jungen, meinen einzigen Röbi, wiedersehe, das steht in Gottes Hand, er allein hat zu entscheiden und ihm vertraue ich mich auch an.

Wie ich dir schon schrieb, lebe ich im Pendelverkehr mit Köln. Ich fahre jeden Tag dorthin. Es ist mir zwar schwer, alles zu bezahlen, Monatskarte, Miete und Leben, aber trotzdem kann ich allen noch etwas mitgeben. Der Alte würde mir doch nichts mehr geben und so bitte ich ihn auch gar nicht um etwas. Ja, er weiß es noch nicht mal. Wenn ich in Not wäre, wäre Walter ja auch da. Aber solange ich kann, mache ich es allein, denn es wäre mir doch nicht wohl, eines meiner Kinder um etwas zu bitten.

Aber so lebe ich in schönster Eintracht mit dem alten Herrn Baron Geyr und seiner Tochter. Sie ist auch etwas schwierig veranlagt und deshalb schneide ich das Thema Politik gar nicht mal an. Es wäre zu gefährlich, ich weiß nicht, ob ich mich da beherrschen könnte. Also ist es besser so.

16. Mai 1943, Muttertag

Ich habe noch nicht mal dran gedacht, wenn ich heute morgen nicht einen Brief von Vater bekommen hätte, einliegend 50 Mark und auch ein paar liebe Worte und Trost im gemeinsamen Leid. Eins wünschen wir uns ja gemeinsam. Unsern lieben Jungen zurück. Ja liebes Lottenkind, nun fühl dich zurückgesetzt, aber ich weiß dich ja geborgen, aber wie es meinem lieben Jungen geht in Gefangenschaft, nein, das weiß ich nicht, ich weiß nur, dass er lebt und dass ich ihn, wenn ich noch lebe, was ja auch ein großes Fragezeichen ist, denn wie es hier zugeht, na komme ich zurück zu Röbi, also dass Gott mir gnädig sein möge und ich ihn wieder habe, oder besser gesagt wir.

Ja Lottenkind, heute am Muttertag ausschließlich unter Fremden. Ich bin hier in der Nacht auf meinem Schloss, gehe morgens zur Kirche, danach fahre ich nach Köln, sehe ob mein Haus noch da ist und gehe nachmittags zu Reinemanns und bleibe die Nacht da. Hoffentlich passiert nichts. Dortmund und Duisburg und Essen sind nicht mehr. Entsetzlich, wenn die Leute im Zug erzählen, sie sind glücklich, dass sie ihr nacktes Leben gerettet haben, ihnen steht allen das Grauen in den Augen. Hier in dem stillen Schloss ist es ruhig und ich freue mich immer wenn ich hierher flüchten kann, um einige ruhige Stunden zu haben. Ja und so geht ein Tag zu dem andern, in Warten und Hoffen, dass doch Gott einmal ein Einsehen haben möge und uns alle wieder zusammenbringen möge. Das ist mein Gebet am Muttertag.

20. Mai 1943

Ich wollte dir ja noch den Verlauf vom Muttertag berichten. Also nach der Kirche fahre ich nach Köln und nachmittags gehe ich zur Frau Reinemann, wir waren allein und Frau Reinemann hatte einen schönen Kuchen gebacken. Ich stiftete den Kaffee dazu, den Kurt Korsing mir mitgebracht hatte. Es war wunderbar auf der kleinen Veranda. Abends aßen wir gekühlte Biersuppe, die Frau Reinemann recht schön gemacht hatte. Wir nähten oder strickten und wir schrieben Briefe an unsere Kinder.

Der Abend kam und ich blieb bei Frau Reinemann und schlief in Bullys Bett oder besser gesagt, ich wollte schlafen, aber kaum lag ich, da ging der Alarm los. Muttertag war vorüber, es war ungefähr 12 Uhr. Wir warteten bis 2 Uhr, kein Schuss fiel und wir gingen froh, auch diesmal nicht belästigt zu sein, ins Bett. Wir frugen uns wohl, wo mag es gewesen sein und wer mag betroffen worden sein.

Ja, und wie furchtbar war der Abschluss dieses Tages für manche Mutter. Mein Gott, wie furchtbar kannst du strafen uns arme Menschen. 2 Talsperren waren getroffen, die Möhnetalsperre und die Edertalsperre. Bis Mittag waren 10 000 Menschen ertrunken, das ganze Vieh ersoffen, alles zerstört. Bei Mülheim an der Ruhr schwemmten die Menschen vereinigt mit dem Vieh und Möbel zuhauf an. Wie der Damm brach, brauste das Wasser in einer Höhe von 10 Metern auf die Dörfer und Ortschaften heran. Es ist entsetzlich, die Schilderungen zu hören.

Und die Bande schreibt, es sei erfreulich, dass die Verluste doch nicht so hoch sind wie man zuerst angenommen hat. Ja Lotte, und es geht weiter, was mag nun folgen. Kann sich dieses Elend denn noch steigern. Oft denke ich, du musst erst alles mitmachen, ehe du selbst dran kommst. O Gott, nein, furchtbar strafst du uns, habe doch endlich einmal Erbarmen.

Anmerkung von Clare Westmacott: Die Möhne- und die Edertalsperre wurden in der Nacht vom 16. zum 17. Mai 1943 angegriffen. 19 Lancaster Bomber flogen den Angriff, bei dem sie Rollbomben abwarfen. Sie waren von Sir Barnes Wallis zu dem Zweck entwickelt worden, Staudämme zu zerstören. Die Flugzeuge flogen sehr tief über den Stausee und warfen die Bomben ab, die so konstruiert waren, dass sie über die Wasseroberfläche hüpften, bis sie an die Staumauer stießen, versanken und dann explodierten.

Nach der Zerstörung der beiden Dämme flogen die Bomber weiter zum Sorpesee, dessen Damm ebenfalls getroffen wurde, allerdings oberhalb der Wasseroberfläche. Er hielt. Die Zahl der Toten durch die Angriffe wird auf bis zu 1600 geschätzt; woher Klara die Zahl 10.000 hat, ist unklar.

21. Mai 1943

Soeben bekomme ich den Bescheid, dass hier im stillen Schloss Wassergefahr ist. D. h. wenn die Engländer weiter die Talsperren angreifen, und das ist anzunehmen, besteht die Gefahr, dass sie auch die Aggertalsperre angreifen. Wenn dieses geschieht, dann werden wir mit einem 8 Minuten langen Heulton gewarnt und dann können wir nur noch unser nacktes Leben retten und auf die Berge eilen.

Ach, ich werde verrückt, zu denken, dass ich nun mit unendlicher Mühe alles, was mir lieb und wert war, in Sicherheit gebracht hatte, und nun doch alles vergeblich war, das ist eben nicht auszudenken. Heute sind es schon 30 Dörfer und 40 000 Tote. Grauenhaft ist das Elend, was noch wird, wer weiß es. Walter schreibt auch nicht, er hat auch eine schwere Zeit und was wird noch alles da in Frankreich passieren.

6. Juni 1943

Heute muss ich wieder Furchtbares berichten. In der Nacht von Samstag auf Sonntag, den 29. zum 30. Mai, war Alarm im stillen Schloss. Ich war mit dem alten Baron G. allein. Ich stand auf und hörte fernes Schießen. Die Flugzeuge flogen über uns in großen Scharen. Die Abwehr wurde immer heftiger. Die Einschläge in der Ferne folgten immer mehr aufeinander. Der Anblick war grauenhaft. Nach meiner Schätzung war Köln nicht gemeint.

Der Feuerschein war entsetzlich. Der Abwurf der Bomben musste furchtbare Folgen haben. Der Himmel war rot vor Glut. Die armen Menschen, die dort dieses Grauen ertragen mussten. Endlich hörte es auf. Was war geschehen. Na ich wurde es bald gewahr. Wuppertal war das Angriffsziel und wie haben sie gehaust. Barmen war tatsächlich wegradiert, wie Herr Göbbels sich so schön auszudrücken weiß.

Frau Reinemanns Heimatstadt besteht nicht mehr und viele viele Menschen haben in der Nacht einen grausamen Tod gefunden. Die Schwester von Frau R. kam und hatte nichts mehr. Der Bruder von Frau R. wurde verkohlt unter den Trümmern herausgezogen.

Die Schwester erzählt: „Ich trete nun auf verkohlte Leichen, die haufenweise auf der Straße liegen, flüchte zur Wupper, denn die Hitze ist unerträglich. Ich sehe die Menschen brennend über die Straße laufen, sie wollen in die Wupper. Mütter werfen ihre Kinder in die Wupper, um sie vor dem Verbrennen zu schützen. Da sehe ich etwas Furchtbares, die armen, die sich in die flache Wupper gestellt haben, um dem flüssigen Phosphor zu entgehen, werden plötzlich von feindlichen Fliegern mit Maschinen-Gewehren beschossen.“

Pfui! Ist das Kultur? Ist das Fairness, womit der Engländer prahlt? Arme unglückliche Menschen, die alles alles verloren haben, die ihr nacktes Leben retten wollen, in einer derartigen Weise zu behandeln. O it is terrible, this war, and awful is our enemy and I will hope that God the Almighty will remember this dreadful night.

Ja Lotte, Furchtbares sehe und höre ich, der Krieg ist auf beiden Seiten so beschämend ausgeartet, dass ein Soldat, der diese Nacht miterlebte und in Stalingrad gekämpft hatte, sagte: So etwas an Zerstörung habe ich im ganzen Russlandfeldzug noch nicht erlebt.

Ja, Liebchen, und so bröckelt eine schöne Stadt nach der andern von unserm schönen Vaterland ab und Göbbels das krumme Luder schwingt Reden, dass wir den Sieg mehr denn je in der Hand hätten, der Schweinehund lässt lieber ganz Deutschland vor die Hunde gehen als dass sie auch nur einen Zollbreit weichen und immer und immer mehr Opfer werden gefordert. Ja, und was kommt nun.

Anmerkung von Clare Westmacott: Dieser Angriff auf Wuppertal war der erste Feuersturm-Angriff auf eine deutsche Stadt im Zweiten Weltkrieg. Die Brände breiteten sich in den engen Straßen rasch aus, die Feuerwehr war machtlos. Bis zu 4500 Menschen starben bei diesem Angriff und beim folgenden im Juni. Es gab weitere Feuersturm-Angriffe, unter anderem im Juli 1943 auf Hamburg mit bis zu 40.000 Toten und im Februar 1945 auf Dresden mit bis zu 25.000 Toten.

20. Juni 1943

Inzwischen ist Köln wieder angegriffen worden. Nur 25 Minuten hat es gedauert und Kalk, Deutz, Lindental, Ehrenfeld, Sülz hat wieder mehr Trümmer. Mein Haus hat alle Fenster zerstört. Im Garten brannte eine Brandbombe aus. Wenn sie ins Haus gekommen wäre, wäre alles hin. Ich habe mal wieder viel Arbeit, viel Laufereien. In meiner Nähe kam eine Luftmiene nieder. Sie zerstörte alles in ihrer Umgebung und gegenüber brannte wieder ein Haus aus. Zwei Damen wohnen bei mir obdachlos. Frau Oberst Coleman hat die 1. Brandbombe in ihr Haus gekriegt. Langsam kann sie mit Hitler nichts mehr verdienen und ihr Lobgesang auf ihn ist nicht mehr so laut.

Wenn ich von meinem stillen „Retreat“ in Ehreshoven in die furchtbar zugerichtete Stadt komme, dann überfällt mich Angst, furchtbare Angst, was noch alles wird, ehe dieses entsetzliche Stück der Weltgeschichte ausgespielt ist. Wenn ich die Beschreibungen höre, von den Wunden, die dieser Krieg schlägt, von den Verletzungen der Menschen, die den Terrorangriffen ausgesetzt sind, wie sie verbrennen, ertrinken. Wie sie verkrüppelt in den Krankenhäusern liegen von Giften entstellt, nein, dann bitte ich meinen hl. Schöpfer, mich davor zu bewahren und mir wenn es das Schicksal will, einen schnellen Tod zu geben.

Und immer mehr Unheil geschieht. Ich musste einige Tage in Köln schlafen, jede Nacht Alarm. Ich bin ganz mutlos. Und nun einiges aus dem Zeitgeschehen: Kaffee kostet heute 200 Mark, Butter 60, ein paar Strümpfe 20. An ein Kleid für uns gewöhnlich Sterbliche gar nicht zu denken. Einen Mantel werde ich wohl in nächster Zeit nicht mehr bekommen und mein alter muss immer wieder in Ordnung gebracht werden. Aber die Schieber haben wieder alles. Ihre Weiber laufen in den kostbarsten Pelzen herum. Pelze, die wir nie hatten.

Der 3. nationalsozialistische Oberbürgermeister tritt ab. Er hat das Volk um 1 ½ Millionen beschwindelt. Amtlich wird gemeldet, dass er sich eine Krankheit an der Front zugezogen hätte und deshalb Erholung in einem Sanatorium brauche. Ein neuer kommt und der stiehlt weiter und das arme Volk duldet weiter. Die Kehrseite: Ein Schreiner, bei dem ich bat, doch meine Hausreparaturen zu übernehmen, sagt mir: Ich kann nicht, ich habe Auftrag, in kürzester Zeit 1000 Särge zu liefern. Er ist aber nicht der einzige.

Ja Lottenkind, das ist Elend, das ist Krieg. Walter soll am 4. Juli in Urlaub kommen. Er ist so herunter und verhungert, dass er schon verfrühten Urlaub bekommt. Ich zerbreche mir den Kopf, was ich dem armen Kerl zu fressen gebe. Aber wir freuen uns, doch mal wieder zusammen zu sein. Hoffentlich machen die Tommys uns keinen Strich dadurch. Ich habe eine solche Angst, dass ihm zuletzt noch was auf der Bahn passiert. Die Angriffe auf Züge, besonders auf Urlaubszüge, sind ja täglich. Wie die Wegelagerer stürzen sie sich ja auf die Züge.

Ja, wäre er schon hier, dass ich doch mal wieder einen von den meinen bei mir hätte. Pfingsten allein, immer allein unter Fremden. Ja, wann hört das auf. Ich kann mir nicht denken, dass ich all meine Lieben wieder um mich haben sollte. Röbi, meinen Liebsten, meinen kleinen Benjamin, hab ich nun schon über ein Jahr nicht mehr gesehen und wer weiß wie lange noch. Dich nun bald schon 4 Jahre nicht mehr und immer schneller läuft das Leben ab. Immer schneller für mich.

30. Juni 1943

Ich bin kaum fähig alles niederzuschreiben. In der Nacht vom 28.-29. englischer Terrorangriff auf Köln. Was noch da war, ist nicht mehr. Dom einen Volltreffer, Rathaus vernichtet, ebenso Gürzenich und Stapelhaus. Ich war in der entsetzlichen Nacht im Schloss Ehreshoven und hörte und sah diese furchtbare Vernichtung. Der Himmel war blutrot.

Ich ahnte Furchtbares und machte mich morgens früh auf den Weg, um nach Köln zu kommen. Ich kam nur bis Kalk, dann ging es nicht weiter. Köln war ein Feuermeer. Als ich vor den Bahnhof trat, sah ich, wie scharenweise die Flüchtlinge, die Gesichter geschwollen, die Kleider von den Flammen verrußt und zerrissen, ankamen. Wohin? Nur fort aus Köln, mehr wussten sie nicht, zum Teil überhaupt nichts gerettet oder nur ein Päckchen oder einen Koffer. Die Menschen waren wie irrsinnig. Ihre Augen schauten leer an mir vorbei.

Ich versuchte nach Deutz zu kommen. Ich kam nur bis zum Straßenbahnhof, dann ging es nicht mehr. Ich frug einen Beamten, der Ordnung hielt. Ich will nach Braunsfeld. Das ist unmöglich. In die Stadt können Sie nicht, alles brennt. Keine Bahn fährt. Kann ich denn telefonieren? Nein, Gas, Wasser, Elektrizität, alles erledigt. Außerdem liegen überall Blindgänger, die jeden Augenblick krepieren. Sie kommen unmöglich durch. Ich muss dann wenigstens zur Schildergasse, da sind die Arbeitsräume meines Mannes. Unmöglich, die Gegend vom Dom bis Neumark ist nicht mehr. Kann ich über Heumarkt? Dieselbe lakonische Antwort. Der Heumarkt ist nicht mehr. Ja die ganze Innenstadt ist zerstört, Tausende von Menschen tot, verbrannt, verstümmelt.

Was soll ich machen? Gehen Sie dahin, wo Sie herkommen und warten Sie ab. Ich ging zurück. In Kalk konnte ich nach Königsforst fahren. Ich ging durch den Wald zum Bahnhof Königsforst und bekam auch bald einen Zug. Ich fuhr zurück. Dein Vater war an dem Vorabend dieser furchtbaren Nacht in den Schwarzwald gefahren. Gott sei Dank, dass ich diese Sorge nicht habe. Er hatte mal wieder eine gute Nase.

Eine Dame, die Bahnhofsdienst macht, erzählt: Ich gehe mit meinem Mann auf weiten Umwegen nach Bayenthal. Unser Haus steht noch. Überall Verwüstung, alles brennt, was sind das für Haufen auf den Straßen. Leichen mit einem Tuch zugedeckt. Sie warten auf Abtransport.

Ja, nun will ich warten bis morgen, ich denke, dass dann die Blindgänger zum Teil alle fort oder krepiert sind, dann will ich versuchen, in die Stadt zu kommen. Was mag mich erwarten. Was mag mit Reinemanns sein. Ich habe versucht, ein Blitzgespräch anzumelden, aber nichts. Ich muss warten.

3. Juli 1943

Ja, und dann bin ich am 1. Juli früh morgens gefahren bis Kalk. Dann zu Fuß weiter nach Deutz über die Hängebrücke. Ich ging der Menge nach und bin über die Brücke. Da auf der Brückenmitte hatte ich den Anblick über die unglückliche Stadt. Alles brannte. Das Rathaus, Stapelhaus, der Dom, der Gürzenich, alles ein Trümmerhaufen, ein einziger großer Steinehaufen. Ich musste durch, ich weinte wie alle Leute, die wie ich unverwundet waren, alle weinten.

Ich musste zur Schildergasse. Ich komme durch. Was ich da sah. Alles zerstört, was dein Vater durch seinen Geist geschaffen hatte, sein Lebenswerk zerstört. Er war, wie ich hörte, zwei Stunden vor dem Angriff nach dem Schwarzwald gefahren. Er wäre nicht lebend herausgekommen. Ich wusste, dass er viel im Keller hatte, im Keller brennt es, sagte ich zu einem Sicherheitsmann, die Sachen müssen heraus. Er meinte: Madame, wir haben Anderes zu tun. Hier die Keller sind noch alle voll Leichen. Eben haben wir hier im Nebenhause 50 Leichen herausgeholt.

Ich konnte nichts machen, ich ging weiter auf den Neumarkt zu und überall dasselbe traurige Bild. Dann zum Opernhaus und endlich auf Umwegen Braunsfeld zu. Ich kam noch durch viele entsetzliche Bilder. Hier liegen aufgetürmte Leichen, da sehe ich eine Mutter, kniend ihr Kind umfassend, verbrannt, dort eine nackte Frau über und über mit einer Blutkruste bedeckt. Entsetzt will ich weiter meinem Hause zu.

Endlich habe ich all dieses Grauenhafte hinter mir, und bin in meinen vier Wänden. Bin ich wahnsinnig oder träume ich das alles. Ja, dann bin ich sicher wahnsinnig. Ja, ich weiß nicht mehr, ob das Zwangsvorstellungen sind. Walter wird sicher in toller Angst leben. Wir haben keinen Postverkehr, ich kann nicht schreiben, ich muss abwarten, aber er kommt ja am 4. oder 5. Juli auf Urlaub. Ja, und nun lebe ich schon wieder in toller Angst um ihn. Sein Zug wird bombardiert, es ist ja ein Urlaubszug. Ich erkundige mich, ob er und wann und wo er ankommt. Man weiß es nicht. Er wird wohl so klug sein und gleich hierher aufs Schloss kommen.

Ich bin dann schwer bepackt, denn ich schleppe mit, was ich eben kann, durch die Stadt wieder nach Kalk, der Weg ist furchtbar, überall lauert der Tod. Hier liegen Blindgänger, da wird gesprengt, da fällt ein Haus zusammen, da brennt es noch zu beiden Seiten. Da stehen Menschen und warten auf die Gulaschkanone. Sie haben alle einen Pappbecher wie man sie hatte, um Eis zu kaufen, nur größer, um Suppe in Empfang zu nehmen. Alle schmutzig, verstaubt, verweint und teilnahmslos.

Ich eile durch, um so schnell wie möglich zur Bahn zu kommen. Ich bin müde zum Umfallen, ich muss zu viel schleppen, aber ich will es erhalten. Vater hat nichts mehr, alles wo er dran hing, ist zerstört. Wie mag er es aufnehmen. Ich muss warten und was mag jetzt kommen. Die einzige große Hoffnung ist, euch wiederzusehen, aber sie schwindet immer mehr. Bei Tante Lisa kam ich vorbei, auch bei ihr ist wieder vieles zerstört. Was mag die Zukunft bringen.

13. Juli 1943

Dein Geburtstag. Abends. Ich muss gestehen, ich habe ihn vergessen. Es ist Abend, ich bin in meinem stillen Schlosszimmer, Walter ist bei mir und fragt: Was haben wir heute für ein Datum? Ich weiß es nicht, sage ich. Mutter ich glaube, es ist der 13. So! Dann hatte Lotte ja Geburtstag. Ja, Liebchen, so teilnahmslos ist man schon geworden. Ich gratuliere, mein geliebtes Lottenkind, zu deinem 31. Geburtstag, ob es jemals wieder mal zu einer persönlichen Gratulation kommt, ich glaube fast nicht mehr daran.

Ich habe mich so gefreut über dein letztes Lebenszeichen in 25 Worten, wo du nur mitteilst, dass du, Jack und Kinghorn für Röbi sorgt. Ach, wie habe ich mich da gefreut. Ich kann ihm ja gar nichts schicken, wir haben ja nichts und es geht ja auch nicht zu ihm.

Ja, Liebchen, wie mag noch alles sein in nächster Zeit. Ich sehe alles so vor mir, wie es kommen muss. Es war mir immer klar, ich habe mich in keiner Zeit Illusionen hingegeben. Wir armes Volk bezahlen auch dieses mal die Zeche und haben dabei noch die große Schuld zu tragen. Ach, immer größer wird sie. Wenn man doch endlich einsehen wollte, dass doch das Verbluten unserer Besten nichts nutzt. 100.000 Opfer haben die letzten Angriffe allein Köln gekostet. Und es geht weiter. Entsetzlich sind die Szenen, die sich abspielen.

18. Juli 1943

Ich bin wieder in der Stadt. Im Haus ist nach einem Angriff eine Wand eingedrückt. In einem Zimmer ist das ganze Fenster mit Füllung, Rahmen und allem in das Zimmer gefallen. Ich wundere mich, dass das Haus das alles aushält, alle Fenster sind mal wieder hin, nur gut, dass es Sommer ist. Was mag der Winter bringen.

Ich will von der Bahn auf das Haus zu. Gott sei Dank, der Straßenverkehr ist wieder etwas geregelt durch Berliner Omnibusse, die alle 5 Minuten kommen und uns bis Neumarkt fahren, von dort ist wieder Straßenbahnverkehr.

Walter und ich mussten schon von Rath-Heumar zu Fuß nach Braunsfeld laufen. 5 Stunden immer durch Blindgänger, einstürzende Häuser, es ist grauenhaft. Ich konnte nicht mehr, ich hatte Blasen unter den Füßen, wir hatten Hunger, es gab nichts, wir mussten sehen, wie wir weiterkommen. Ein Pferdefuhrwerk nahm uns eine Straße mit, wir waren glücklich, wie wir Köln wieder hinter uns hatten und auf dem stillen Schloss landeten in unserer grünen Einsamkeit. Tante Lisa ist auch wohnungslos, sie ist in Tirol. Ja, so kommt einer nach dem andern dran.

21. Juli 1943

Walter muss wieder fort. Wir trennen uns sehr schwer. Er tröstet mich, er meint: Mutter, wir sehen uns bald wieder, denn es kommt bald zum Schluss. Wenn es nur wahr wäre. Ich bringe ihn in die Stadt. Er muss auf Umwegen fort. Aachen ist jetzt so furchtbar angegriffen. In der Nacht, die folgt, höre ich zu meinem Schrecken, dass Eisenbahnstrecken in Belgien angegriffen wurden. Hoffentlich ist Walter gut durchgekommen. Ach, hätte ich doch schon Nachricht von ihm. Man lebt in einer immer währenden Angst um seine Lieben.

26. Juli 1943.

Mein Geburtstag! Heute morgen höre ich im Rundfunk: Mussolini ist zurückgetreten. Der König hat die Regierung übernommen. Der Krieg geht weiter. Ob es eine Hoffnung ist? Endlich einmal ein Lichtblick. Hoffen wir, dass auch bald die Schmach Deutschlands zu Ende ist und dieser Massenmörder abtritt mit seiner ganzen Bande. Aber wie lange mag das noch dauern?

Sizilien ist besetzt von Amerika und England und hoffentlich sieht Italien bald ein, dass es nutzlos ist, weiter zu kämpfen, und macht Frieden. Vielleicht gibt es doch dann bald ein Einsehen in Deutschland und es kommt dann endlich mal zu einem freien Leben, was wir brauchen, um zu leben, und um zu arbeiten. Wenn nur diese Parasiten das Volk nicht mehr aussaugen können, wenn sie nur bald erledigt sind. Gestern war Hamburg dran und muss entsetzlich zugerichtet worden sein. Wie viele Menschen sind da wieder geopfert worden.

Anmerkung von Clare Westmacott: Mussolini war nicht zurückgetreten, wie es in Deutschland verbreitet wurde und wie Klara es schreibt. Es hatte Streiks in Mailand und Turin gegeben, wo die Arbeiter für Brot, Frieden und Freiheit demonstrierten. Die Alliierten waren am 10. Juli auf Sizilien gelandet und am 24. und 25. Juli tagte der „Faschistische Großrat“. Der König entließ Mussolini. Er wurde von der Badoglio-Regierung gefangengesetzt.

6. August 1943

Hamburg hat aufgehört zu existieren, so sagt mir ein Bekannter, der Verwandte aus Hamburg aufgenommen hat. In 7 Tagen 9x angegriffen worden. Die Königliche Luftwaffe. Die Leute erzählen Grauenhaftes. Ja, gerade haben wir ja selbst nur Grauenhaftes mitgemacht und wissen nicht, wann wir wieder an der Reihe sind. Von Walter höre ich auch nichts und noch viel weniger von Röbi, so sitze ich hier ganz mutterseelenallein unter Fremden, der einzige Freund ist der Wald, dem ich oft mein Leid und meine Sehnsucht mitteile.

Heute kam ich sehr müde nach Hause oder vielmehr in mein Zimmer. Zum Schlafengehen noch zu früh und so schreibe ich mal wieder nieder. Ich war bei Bauern ein paar Tage hintereinander, habe da gestrickt, damit ich etwas Milch und hin und wieder ein paar Eier bekomme oder Kartoffel und Gemüse, welches ich mit meiner Arbeit bezahle. Wohl esse ich dann bei ihnen und so brauche ich mir um diese Tage dann keine Sorgen zu machen, wo ich es hernehme. Ja, so weit ist es gekommen, dass man Stricken muss, um etwas zu haben.

Trotzdem wären die meisten Menschen froh, wenn sie in meiner Lage wären. Aber ob das so bleiben soll. Wie mag es noch kommen. Der eine sagt: Es ist bald aus, und ich selbst sage mir, es muss doch bald eine Lösung oder eine Änderung kommen. Man hört so viel, doch immer geht es weiter, dieselbe Hoffnungslosigkeit.

Sizilien ist nun bald ganz den Italienern genommen, sie wollen nicht mehr, wünschen ihre Regierung zum Teufel, und müssen doch gleich uns weiterkämpfen, weiter bluten, für ein paar Verbrecher. Wann mag wenigstens Italien mal so weit sein, dass es sein Joch abschüttelt.

Biba erzählt mir da eine Sache aus dem Zeitgeschehen, die so das erste Licht auf unsere Gegenwart wirft. Also ein Ritterkreuzträger, in Lindental geschehen vor kurzem: Ein junger Soldat hat sich im Osten das Ritterkreuz verdient, er bekommt Urlaub und kommt in Köln an. Der Bahnhof ist bekränzt. Er sieht es, fragt sich, was mag los sein, er denkt nicht, dass es ihm gelten könne, die Bonzen, Grohé, Ley, der Bürgermeister, alle sind zu seinem Empfang da, nur seine lieben alten Eltern nicht.

Er wird in einen schweren Protzwagen gesetzt und ganz benommen kommt er in Lindenthal in seiner sehr einfachen Wohnung an. Doch auch hier begrüßen ihn seine sehnsüchtig von ihm erwarteten Eltern nicht. Und alles ist fremd um ihn. Die lieben alten Möbel hatten die Bonzen herausgetan und statt dessen die Wohnung nach ihrem Geschmack rausgepuzt. Die Tische trugen alles zu Fressen, was man sich denken konnte. Das Beste vom Besten, Butter, Braten, Wein, Likör, Sekt, Kaffee, Kuchen, eben alles, was wir schon seit Jahren nicht mehr haben, was aber bei den Bonzen selbstverständlich ist.

Er frug nun dringend nach seinen Eltern, und das Essen, das wolle er nicht ohne seine Eltern, das wäre er nicht mehr gewohnt und könne er deshalb auch nicht mehr vertragen und er ginge nun zu seinen Eltern. Das andere könnten sie sich sparen, er ging und als er bald zurückkam, da erzählten die Nachbarn, dass die Bonzen tief empört gegangen waren. Jetzt holte er alle Freunde und Nachbarn und bald kamen auch seine Eltern, die auf Geheiß der Bonzen das Feld räumen mussten, und da begann ein Feiern.

Am Tage darauf kamen Beauftragte der Bonzen, sie müssten alle Sachen wieder abholen. Da sagte der Ritterkreuzträger, sie sollten sich nur unterstehen, auch nur etwas aus seiner Wohnung fortzuholen, dann sollten sie mal was gewahr werden, was er mit ihnen anfing. Na sie gingen denn, sie hatten wohl keinen Geschmack mit ihm anzubändeln. Er hat dann mit allen seinen Bekannten und Verwandten noch 3 Wochen herrlich gelebt bis es alle war. Du siehst, auch in Deutschland sind noch gute Sachen. Aber nur für Bonzen. Dem jungen Mann haben wir mal die Freude von Herzen gegönnt. Denn er ist ein anständiger Kerl.

12. August 1943.

Mein Namenstag, ja, und auch der von meinem kleinen Enkelchen. Also Klärchen, ich gratuliere dir und mögest du dort im schönen England recht glücklich deinen Namenstag feiern, mit mir, die einsam in dem armen lieben Deutschland auf einen besseren Namenstag wartet, vereint mit ihren Lieben. Ob es mal wahr wird. Na, jedenfalls sind wir noch da um zu hoffen.

Ja, und nun sitze ich hier in meinem stillen Schlosszimmer und erwarte die Dinge, die sich da entwickeln. In Schweden wird ein wichtiges Abkommen mit Hitler für nichtig erklärt. Die Folge ist, dass unsere Norwegen-Armee völlig abgeschnitten ist, es sei denn, dass sie auf dem Seewege Verbindung mit dem Mutterlande suchen. Und dass ist der Tod vieler braver Soldaten, aber was bedeuten dem Massenmörder unsere braven Soldaten? Mittel zum Zweck!

Churchill in Kanada zur Beratung. Was wird beraten? Ich kann es mir denken! Jedenfalls werden uns diese Beratungen dem Kriegsende näher bringen. Wie ist gleich. Wenn ich nur meine Kinder wiederhaben werde. Alles andere ist mir gleich. Verloren haben wir ja doch alles und so werden wir wieder arbeiten bis wir sterben. Das verdanken wir unserem Führer und seiner Bande.

Einiges aus dem Zeitgeschehen. Der Bunker am Dom. Einmal war ich bei Alarm gezwungen, Schutz in einem Bunker zu suchen, und da ich gerade am Dom war, ging ich in den Bunker in seiner Nähe. Ein tolles Treiben. Eine kleine Stadt für sich. In Ecken wohnten ganze Familien, die obdachlos sind. Sie leben, kochen, schlafen im Bunker. Andere kommen durch den Alarm herbei. Mit ihrer Habe in Koffern auf Kinderwagen und allen möglichen und unmöglichen Fahrgelegenheiten.

Ich wandere in meiner Unruhe hindurch. Wie viele arme verschlafene kleine hungrige Kinderchen, die nie Schuld haben an diesem Weltverbrechen, müssen da leiden von Anfang ihres Daseins für ein paar Lumpen, die dieses Elend in die Welt gesetzt haben. Ja, so denke ich, während der Tommy mal wieder ganze Arbeit leistet. Ich sehe die Mütter, die ihre Kinder schützend umfangen, ich sehe die Augen der armen Kinder, die weinend jedem Einschlag folgen.

Ich fühle meine eigene Angst immer größer werden. Ich bitte im stillen Gott, den Allmächtigen, doch endlich Einhalt zu tun mit seiner Strafe und da wird es schon stiller. Es lässt nach und nach längerer Zeit kommt die Entwarnung. Ja, und toll sieht es da draußen aus. Wie viele unserer armen Mitmenschen haben wieder dran glauben müssen. Ich danke Gott dem Herrn, dass er uns mal wieder beschützt hat. Oder bewahrt er uns für etwas anderes auf. Wie es auch kommen mag, Herr dein Wille geschehe!

Doch ich habe meinen Namenstag erst angefangen und werde aus meinen Betrachtungen herausgerissen. Was ist das? Flugzeuge. Und wie viele, Herr mein Gott. Das sind ja Feinde! Am hellen Tage. Ja, und da geht auch schon die Kanonade der Flak los. Es ist tatsächlich Luftangriff. Wie ich später höre, waren sie in Bonn-Beuel und Troisdorf. Also nun hat man auch am Tage keine Ruhe mehr.

Ja, und dann bin ich bis Honrath mit dem Zug gefahren und über die Höhe nach Oberschönrath, da muss ich stricken, da bekomme ich dann Eier, Gemüse und Milch, die ich aber noch gut bezahle. Und später kam ich heim und nun sitze ich hier und schließe meinen Namenstag ab, indem ich dir dieses schreibe.

Ich denke an dich und an die Deinen. Ich denke an meinen lieben Röbi, der mir nun lange nicht mehr schrieb, an Walter, der am Ende Frankreichs sitzt, an deinen Vater, der in der letzten Zeit so vieles hat erleben müssen an Enttäuschung, der einsam oben im Schwarzwald sitzt, eben an uns alle, jeder seine Sehnsucht im Herzen, aber in einem alle die gleiche. Auf ein glückliches Wiedersehen. Ja, und da will ich am Schlusse meines Namenstages meinen Schöpfer drum bitten. Um dieses schönste aller Geschenke! Auf ein seliges glückliches Wiedersehen.

5. September 1943

Es ist schon wieder eine Weile her, seit ich mich mit dir unterhielt. Aber was soll ich auch immer schreiben. Ja was, dass die Butter 50 Mark kostet, dass der Kaffee 260 Mark kostet und Zucker für Geld nicht zu haben ist. Oder dass ich einen Wassereimer Kartoffel bei den Bauern schäle um Milch zu bekommen und die Bauernweiber durch Arbeiten mir wohlgesinnt mache, um von der Ernte Mehl zu bekommen. Ja, das alles ist wenig erquicklich, gehört aber zu meinem Leben.

Heute ist Sonntag, ich war zu Hause heute morgen in Köln, um nachzusehen, ob noch alles da ist, es wird toll gestohlen, die unglaublichsten Dinge geschehen. Also, ich fahre von Deutz nach Braunsfeld. Ich sehe Leute, die ihren wohlverdienten Ruhetag dazu verwenden müssen, Schutt abzufahren, um die Straßen passierbar zu machen. Sie werden dazu gezwungen. Dann gehe ich heim.

Es ist alles so öde, ich bin froh, wenn ich wieder fort bin, alles erinnert mich an euch, und ich kann nicht allein bleiben und fahre wieder zu meinem „Retreat“ in mein stilles Schloss, es liegt in der Sonne in seiner einfachen Schönheit, in seiner wohltuenden Stille, ich komme in mein Zimmer, da kommt der alte Baron G. und bittet mich um einen Spaziergang, er ist auch heute allein, seine Tochter ist eingeladen.

Ich gehe gerne mit. Wir gehen in den Wald, er ist herrlich in seiner Einsamkeit. Trotz der Sonne spüre ich schon den Herbst. Es ist alles traumhaft still. Wir gehen auf die Höfe und übersehen das Tal. Beide denken wir, wie schön ist Gottes Erde, und welche Freude, wenn es nur keine Menschen gäbe.

Ja, was ist das, ja, es ist die Sirene, es ist Fliegeralarm und somit sind wir wieder in der Wirklichkeit. Jede Nacht Alarm und wenn auch Köln gänzlich zerstört ist und ebenso das ganze westliche Gebiet, so ist doch noch eine Menge zu zerstören und sie werden es auch zerstören, ja, und nun sind wir glücklich im 5. Kriegsjahr. Italien ist Kriegsschauplatz, die Invasion hat begonnen, jeden Tag andere Neuigkeiten. Berlin hat jetzt das mitzumachen, was wir ertragen mussten.

Das arme Volk muss weiter dulden, muss dafür büßen, was eine Hand voll Verbrecher verschuldet hat, muss sehen wie seine Jugend verblutet, wie seine Familien gemordet werden, jede Nacht durch Luftangriffe, sein Besitz, die Früchte seiner Arbeit, ein ganzer Lebensertrag in 20 Minuten dahin, und selbst dann hat ein Mensch mittellos nur das, was er auf dem Leib hat, auf die Gnade seiner Mitmenschen angewiesen, die leider, Gott sei es geklagt, meist verständnislos seinem Elend gegenüber stehen und ihn wie einen Bettler behandeln.

Ja, und noch geht es trotz alledem weiter, eben weil die Schweinhunde da oben noch immer nicht einsehen, dass sie erledigt sind, und lieber das ganze Volk verbluten lassen, als den Mut zur Wahrheit zu haben. Und da siehst du, trotzdem man sich tot sehnt, ist noch keine Hoffnung da auf ein Wiedersehen.

Ja, und doch etwas erfreuliches, ein Brief und 2 Karten, eine davon für Walter von Röbi, er ist in Kanada eingetroffen, er ist weit vom Schuss und das ist ein Trost, wenn er sich auch immer weiter von mir entfernt, ich weiß ihn wenigstens fort aus dem Hexenkessel. Er wie wir müssen in den sauren Apfel beißen uns lange Zeit nicht zu sehen.

Jetzt ist Walter in Gefahr und sein letzter Brief zeigte mir ganz, wie recht er hat, wenn er sagt, dass uns die Franzosen heiß und tief hassen und jedem Deutschen mit Freuden den Hals abschneiden. Ach, wenn er nur rechtzeitig abhauen kann.

Er ist nicht gesund, dass jahrelange unzureichende Essen rächt sich, er ist nicht so stark, er kann nicht so gut widerstehen. Der Arzt stellt Unterernährung fest. Vitaminmangel, er hat Löcher in den Füßen und Beinen, ich sehe zu und kann nicht helfen. Schicke ich was, wird es gestohlen. Ja, wenn er doch sein Geld nähme und alles fräße, was er dafür kriegen kann. Aber da kauft er Bücher und anderen Unsinn und frisst schlechtes Brot und hungert. Ja, wenn ich ihn hier hätte, wäre es ja doch besser für ihn.

Ja, und nun Menschen unserer Zeit. Ich sitze in der Straßenbahn, da steigt eine elegante Dame ein in deinem Alter ein. Aber kenne ich die Frau nicht, habe ich sie nicht schon mal gesehen, ja, da sieht sie mich an und stutzt, aber sie schaut fort. Gott, ist die Frau elegant, aber auch überfressen. Irgend so ein Schieberweib. Ich muss immer wieder hinsehen, hat die Schmuck an und die hauchdünnen Strümpfe.

Ja, das kann ja nur eine Bonzentrulla sein, denn auch Damen haben heute solchen Luxus nicht mehr. Heute laufen auch Damen ohne Strümpfe, eben weil sie keine haben. Aber das Frauenzimmer kenne ich, aber woher, da sagt sie es selbst: Frau Professor, kennen Sie mich nicht? Nein oder ja. Aber woher? Na, sie klärt mich auf. Es ist Alice F. Ja, und da steht sie in ihrer ganzen Frechheit wieder vor mir, wie ich mit ihr abrechnete. Ich hatte sie dann ja, wie du weißt, nicht mehr beachtet. Wir sprachen etwas zusammen, dann musste ich aussteigen.

Es war wohl mehr die Neugierde, etwas über sie zu erfahren. Ich erzählte es Reinemanns und Herr Reinemann klärte mich auf. Also, ihr Gatte ist Kriegsgewinnler allerersten Formats. Häutehändler. Nach der Entjudung blühte sein Weizen und im Krieg noch mehr. Sie verdienen Geld scheffelweise. Madame wohnt in ihrem Landhaus, ihr Stadthaus steht leer. Sie sagt, ihr Mann sei im Feld. Ja, so sieht für die der Krieg aus und dieses Pack wünscht, dass es immer so bleibe.

Er gründete den F.-Konzern Eines seiner Mitglieder ist ein SS Schwein, ein Rechtsanwalt, der in normalen Zeiten keinen Prozess verdient hätte, dessen Frau weiß heute nicht, wo sie einen Schreiner bekommt, der ihr einen Schuhschrank macht, damit sie ihre 50 paar Schuhe sachgemäß unterbringt. Ja, und dann wissen unsere fliegergeschädigten Volksgenossen nicht, wo sie ein Obdach bekommen.

Eine andere Bekannte. Herr und Frau Dr. Z. wünschen auch, dass es immer so bliebe, denn sie leben herrlich und in Freuden in Rumänien, können sich auch alles gestatten. Er ist Direktor eines kriegswichtigen Werks. Na, hoffentlich wird es ihnen bald zu heiß, er ist ein großer Heilschreier. Aber ich bin sicher, Frau F. entdeckt, wenn es schief geht, rasch ihr belgisches Herz, und dass ihre Schwester mit einem Engländer verheiratet ist, dann geht es auf der anderen Seite weiter. Diese Bande!

Bully war auch in Urlaub und geht mit großer Angst wieder fort. Wer weiß, was die nächste Zeit bringt. Ja, und es wird weiter gekämpft, aber auch weiter geschoben.

25. September 1943

Heute ist Röbis 23. Geburtstag. Eine hl. Messe für die Afrikakämpfer in Kanada wird erst am 27. gelesen im stillen schönen Schlosskapellchen. Ich wünsche meinem lieben Jungen, was ich auch mir selbst wünsche: Unsere Wiedervereinigung, dass wir uns gesund wiedersehen mögen und darum will ich still und innig beten. Wir werden wohl alle – Vater, Walter, Du und ich – heute im Geiste mit ihm zusammen sein, ebenso werdet ihr ja auch für ihn beten, dass wir ihn gesund wiedererhalten mögen.

Ja, ich will nicht klagen und Gott den Allmächtigen versuchen, hat er mir doch meinen Wunsch erfüllt und ihn bisher beschützt, und wenn er Walter unter seinen mächtigen Schutz nimmt, der dessen heute mehr denn je bedarf, ja, dann will ich alles andere ohne zu murren hinnehmen.

Um dich Lotte sorge ich mich nicht so, du bist wie ich immer tapfer und wirst auch wie ich alles hinnehmen. Einmal wird dann das Schicksal uns freundlich gesinnt sein und alles zum Guten wenden und dann werden wir uns doch wiedersehen, um uns so lange ich lebe nicht mehr zu trennen. Und darum will ich Gott bitten. Ich habe Röbi heute geschrieben, dass er auch sieht, dass seine Mutter bei ihm ist an seinem 23. Geburtstag in der fernen Fremde.

3. Oktober 1943

Erntedanktag! Es sprach Dr. Göbbels. Dieser Schweinhund wagt noch zu sagen: Wir sind heute mehr denn je entschlossen durchzuhalten bis zum Siege. Ja, die Bonzen sicher, denn sie haben eben alles, auch alles zu verlieren. Ihren Fettnapf, ihren Kopf. Ach, wann wird das sein, wie lange noch. Es wagt auch schon kein anderer mehr zu sprechen und das Volk immer und immer wieder zu bequatschen, als diese Missgeburt, dieses Monstrum. Unsere Soldaten verbluten unterdessen immer mehr in Italien und in Russland und diese Bande hält das Volk in Schach.

Ach, ich bin immer hoffnungsloser. Wann und wie wird das mal enden. Walter schreibt so unglücklich, er hat eben nichts, kein Essen, keine Pflege. Er ist eben kein Schieber und kann eben auf diese Art nichts kriegen, ich wünschte, ich hätte ihn hier. Jetzt kommen Tag und Nacht die Flieger. Ihre Stützpunkte sind uns so nahe gerückt, dass sie wie die Wespen uns überfallen können. In der vorigen Nacht waren sie zu hunderten in Hagen. Mein Gott, was kann davon noch über sein, und da redet dieses Biest von Durchhalten.

17. Oktober 1943

Allerhand ging wieder an mir vorüber. Alarme, Angriffe, Not und Tod. Walter schreibt sehr niedergedrückt. Er wäre so gerne hier und ich muss sagen, ich wäre auch froh, ich hätte ihn da. Ich hätte doch einen Menschen, der zu mir gehörte, bei mir. Immer allein unter Fremden. Ich will mit Gewalt dieses Gefühl nicht aufkommen lassen, und doch kommt es mit Gewalt.

Röbi schreibt eine Karte, in der er nur mitteilt, dass du Verbindung mit ihm hast. Gott sei Dank. Vieleicht kannst du ihm was zukommen lassen. Ach Lottenkind, wie dankbar bin ich dir, dass du deinem Bruder gut bist. Zugleich schreibt er mir, dass er noch immer keine Nachricht von zu Hause hat. Der arme Kerl. Er schreibt: Demnächst schreibe ich überhaupt nicht mehr. Ich bin verzweifelt. Ich schreibe immer und immer wieder und dann bekommt der arme Junge nichts. Ich gehe morgen zum Roten Kreuz. Ich war gleich nach Erhalt seiner Karte dort, aber für Kriegsgefangene ist wieder woanders, und nun laufe ich da hin.

Diese Woche habe ich bei den Bauern Kartoffel gelesen, damit ich diesen Winter Kartoffel habe. Für alles musst du entweder arbeiten oder tauschen. Um mir den Briketthändler gefügig zu machen, gab ich ihm eine Flasche Cognac, ja, da bekam ich auch Briketts. Ja, so geht das. Hier ist nichts auf realem Wege zu bekommen. Kaffee kostet inzwischen das Pfd. 250.-, Butter 50.-. Ein paar schlechte Strümpfe 15.-, aber nur mit Geschicklichkeit und List.

Der Krieg geht weiter. Draußen und drinnen. Die Bonzen haben Angst um ihr Leben. Das Volk ist unzufrieden, aber es wagt nicht, etwas gegen diese Verbrecher zu machen. Jeder, der was sagt, ist erledigt. Köpfe rollen. Spitzel überall. Ja, und wie soll es enden. Tages- und Nachtangriffe unserer Gegner. Das Volk blutet und stirbt eher durch die Gegner, ehe es sich gegen diese Pest wehrt. Gott du Allmächtiger, wie lange siehst du dir das noch an.

Anmerkung von Clare Westmacott: Mein Vater beantragte bei den britischen Behörden die Erlaubnis, alte Winterkleidung an Röbi in Kanada zu schicken, aber der Antrag wurde abgewiesen.

5. November 1943

Ja, Lotte, es ist wieder über einen Monat vergangen, seit ich dir schrieb. Ich hatte viel zu erledigen und manches wieder erlebt. Gestern komme ich von Ehreshoven nach Köln, steige in Deutz aus, da ist die Hohenzollernbrücke wieder gesperrt. Es hat wieder den Bahnhof und damit auch den Dom getroffen. Ja, langsam bröckelt Stückchen für Stückchen von unserer schönsten Kirche ab und der Herrgott oben sieht weiter zu. Der Bahnhof ist getroffen und noch mehr Vororte. Düsseldorf ist schwer getroffen.

Doch nun zu meiner größten Sorge. Diese ist heute Walter. Es tut sich was in Frankreich und da Walter am Ende von Frankreich ist und dort die Franzosen sehr feindlich gegen uns sind, so habe ich große Angst, denn die lassen keinen Deutschen, ob er schuldlos oder schuldig ist, fort. In ihren Augen ist jeder Deutsche ein Schwein. Ja, und Walter sitzt mitten drin, wenn der Tanz los geht. Ich habe eine Eingabe an seine Dienststelle gemacht, dass er in Köln Dienst machen kann und die Laufereien in seiner freien Zeit für seine Eltern erledigen müsse, da sein Vater bei dem letzten Terrorangriff alles verloren habe, ob es nutzt, wer weiß.

Dein Vater ist noch immer im Schwarzwald. Er teilt mir jetzt dringend mit, doch mal im Keller, der allein in der Schildergasse noch steht, nachzusehen, ob noch alles da ist, da man ihm mitgeteilt habe, dass alles gesprengt werde. Ich hin und kam noch zur Zeit, dass ich grade sah wie das Nebenhaus gesprengt wurde. Ich setzte nun bei der Stadt mit vieler Mühe durch, dass ich einen Lastwagen bekam, zwei politische Gefangene und nun unter Lebensgefahr die Sachen herausgeholt.

Ich frug den Leiter der Leute, was es für Leute seien, er sagte mir, da wo die Leute sind, können wir übermorgen auch sein. Ja, es waren feine Leute, die sich nichts anderes zu Schulden haben kommen lassen, als dass sie mal die Wahrheit gesagt haben. Sie hatten furchtbaren Hunger und obwohl ich selbst nichts habe, gab ich ihnen doch zu essen, bettelte bei meinen Bekannten etwas Brauchbares, gab ihnen für ihre Arbeit 50 Mark und habe sie mal für einen halben Tag glücklich gemacht.

Ja, Lotte, so ist es. Dann habe ich die Sachen von deinem Vater nach Hause fahren lassen, und warte die Dinge ab, die da kommen. Ja, so habe ich manches deinem Vater gerettet, was er sonst ängstlich vor mir gehütet hat. Es kommt eben alles anders. Wenn ich nur deinen Bruder Walter aus der Gefahr kriege. Hier sind wir ja auch in ständiger Lebensgefahr, aber wir wären doch zusammen, zumal wir ja gegenseitig keine andere Menschen haben. Walter ist auch heute viel abgeklärter, er hat eben auch viel mitgemacht, und wenn auch öfter noch mal der alte Schweinhund durchbricht, er ist doch immer wieder gut und sieht seinen Fehler ein und wir sind dann gleich wieder einig.

Ja, ich wünschte es von Herzen, immer allein, immer unter Fremden. Mit deinem Vater würde ich nie vertraut werden. Ich würde ihm, wenn es sein müsste alles tun, aber er könnte mir nichts mehr sein. Nein, ich kann nicht alles vergessen, was er mir getan hat, mir das Leben so freudlos gemacht hat, einem nie was gegönnt. Wie wäre es, wenn man heute in dieser schweren Zeit von etwas frohem zehren könnte, eine schöne Erinnerung hätte. Ja, wie wäre alles anders gekommen, wenn er mehr Verständnis für uns gehabt hätte, dann hätte ich dich vielleicht zur Seite in dieser furchtbaren Zeit.

Aber nein, es sollte wohl so kommen, denn dann wärst du vielleicht auch heute schon Witwe. Ich glaube ja doch, dass es bald zu Ende geht, aber wie, man sagt mir immer wieder, wir müssen siegen, sonst bekommen wir unsere Jungens nie wieder zu sehen. Ach, wenn das möglich wäre, es ist nicht auszudenken. Ich muss sehen, wie ich mit dir in Verbindung komme, wie ich es dir in 25 Worten, die uns ja leider nur erlaubt sind, verständlich mache, dass du sehen sollst, Röbi zu dir zu bekommen. Es scheint mir unmöglich, aber ich muss es versuchen. Aber ich glaube nicht, dass der Gegner so grausam sein kann, nein ich will es nicht glauben. Was hat das deutsche Volk getan, dass es so leidet.

11. November 1943

Wieder hat ein Angriff den Dom beschädigt. Nach tagelanger Absperrung kann man nun heute morgen in den Dom. Nach dem Terrorangriff am 29. Juli war es lebensgefährlich, wie es von oben herunter hieß, den Dom zu betreten, außer einer kleinen Betnische, die zum Messdienst gelassen war. Aber nun, wo er noch einen Treffer bekommen hat und bestimmt noch lebensgefährlicher geworden war, ist er dem Publikum frei gegeben.

Also ich ging in den Dom und es ist erschütternd hindurch zu gehen. Ich ging über Trümmer und sah die Reste der wunderbaren Orgel an der Wand herunterhängen, verbrannt. In derselben Ecke hatte man nach Zerstörung der schönen Kirche Maria in der Kupfergasse die schwarze Mutter Gottes hingebracht. Ich denke, man hat sie früh genug fortgebracht. Es ist dort alles zerstört.

Ich gehe durch den hohen Dom, über die Gruft der Bischöfe, ich gehe durch den Chor zur Schatzkammer, alles Trümmer, und es ist gewiss, wenn der Tommy dieses Wunderwerk nicht vollständig zerstört, dann machen es die ewigen Erschütterungen, und was eine 700jährige Kultur zusammengetragen hat, das zerstört die Kriegsfurie.

Ja, es ist furchtbar auszudenken, aber unwillkürlich muss ich an eine alte Weissagung denken, dass von diesem Wunderwerk nur ein ganz kleines Türmchen stehen bliebe. Ja, und heute glaube ich, es ist wahr, die Zerstörung geht weiter. Wir haben täglich Alarm, in der Nacht viele Male, und da sollen die Menschen nicht verrückt werden, aber ob sie wollen oder nicht, sie müssen, müssen weiter bis zum letzten Mann, oder Köpfe rollen, es macht ihm gar nichts aus, wie er in seiner letzten Rede sagte, einige hundert köpfen zu lassen, wenn sie es nicht anders wollen.

29. November 1943

Es ist nun schon wieder eine Zeit her, dass ich nicht schrieb, inzwischen ein Terrorangriff nach dem andern. Berlin macht jetzt das durch, was wir so oft ertragen mussten. Fünf große Angriffe. Es soll entsetzlich sein und immer das gleiche, wir müssen durchhalten, wir müssen alles ertragen, wir müssen siegen. Ja, was soll sonst werden. Ja, die meisten haben so viel verloren, wenn es anders wird, ja, dann ist es aus mit ihnen. Das wissen auch die Bonzen. Dann ist es aus mit ihrem Herrendasein. Und deshalb muss das Volk weiter bluten und sich opfern.

Und nun etwas anders. Anfang November komme ich von Ehreshoven nach Köln, ich gehe in unser Haus, um alles nachzusehen, da liegt eine Karte im Briefkasten, folgenden Inhalts: Komme als Austauschgefangener aus Englischer Kriegsgefangenschaft und war mit Ihrem Sohn in einem Lager und in einer Abteilung. Ihr Sohn lässt Sie grüßen, es geht ihm gut, er ist gesund. Sollten Sie noch etwas wissen wollen, so stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

Ich ging hin, aber an dem Morgen war der junge Mann nach Berlin zu seinen Eltern weiter gefahren, aber da er hier wieder Soldat werden musste, so musste er in 14 Tagen wieder hier sein. Du kannst dir denken, wie ich die Tage gezählt habe und nach verschiedenen vergeblichen Bemühungen konnte ich ihn endlich sprechen. Er sagt, dass es Röbi gut geht, dass er dort als Künstler im Lager arbeiten kann, dass er ein Atelier hat und dass er im Lager das künstlerische Schaffen leitet.

Sie haben ein Theater, er entwirft die Dekorationen und führt sie auch aus. Sie haben ihn alle gern trotzdem er, wie der junge Mann sagt, absolut kein Soldat ist. Er ist eben Künstler, sage ich ihm und ich bin froh darum. Ich war froh, dass es so gekommen ist, er bleibt mir doch so erhalten, so Gott will und wenn Gott mich beschützt, so sehen wir uns doch wieder.

Von Walter habe ich nun schon so lange nichts gehört und ich habe ihm heute ein Weihnachtspäckchen geschickt. Hoffentlich bekommt der arme Junge es. Ich war Tag für Tag um Butter gelaufen. Eine Bettelei und dabei kostet sie mich 50.- das Pfund. Ja, Lotte, Zucker 8-10.- das Pfund, da kannst du dir ungefähr denken, was die Plätzchen kosten.

Von Vater höre ich wenig. Ich teilte ihm mit, dass ich seine Sachen herausgeholt habe, er ist noch im Schwarzwald und es muss wohl so sein. Ich habe ihm öfter geschrieben, er solle kommen und seine Sachen erledigen, er muss es doch persönlich machen, aber er schützt sein kostbares Leben. Na, er muss es wissen, ich zwinge ihn nicht, ich will nichts davon haben, ich hätte ja gerne, dass er es für euch getan hätte, aber was soll man da machen. Was ich schützen konnte, habe ich getan, aber es tut einem weh, wenn man denkt, dass in alle Stadtrichtungen die Sachen verstreut sind.

Hier lebe ich einsam und allein unter Fremden, die mir zwar sehr gut sind, aber doch nicht die meinen sind. Ich lebe wie zu ihnen gehörend, aber ich bleibe fremd. In mir lebt nur eine Sehnsucht und das seid ihr drei. Ich habe in den vier Jahren immer um einen von euch gebangt. War es Röbi, war es Walter und war es Lotte.

Heute gilt meine Sorge Walter und dir. Walter hat mir nun schon so lange nicht mehr geschrieben und dort ist es heute genau so schlimm wie an der Front. Die Terroristen sind dort so gefährlich wie im Osten die Partisanen. Und dann hört man wieder, demnächst gehen wir nach England, die Vergeltung startet ja dann, wenn ich höre, was sie da vorhaben, dann steht mir das Herz still, wenn du dann in Gefahr bist. Bis dahin hatte ich nie Angst um dich, nie dachte ich, dass du ebenso wie wir in Todesgefahr sein könntest, aber wenn das Furchtbare Tatsache sein sollte, ja, dann glaube ich nicht mehr an ein Wiedersehen, denn wenn wir uns nicht alle wiedersehen, wenn einer von uns fehlen sollte, nein, dann hat es für mich keinen Wert mehr.

Aber noch will ich hoffen, will Gott bitten, dass er das Grausame nicht wahr werden lässt. Ja Lottenkind, man ist so apathisch geworden. Ich habe noch nicht mal dieses Jahr an deinen Namenstag gedacht. Er ging vorbei und nur mit Wehmut dachte ich später an die Jahre, wo wir zusammen waren. Jetzt steht Weihnachten vor der Türe, o mir graut davor und wünschte ich, dass es schon vorbei wäre, zu denken, dass in allen Teilen der Welt einer meiner Liebsten mit der gleichen Sehnsucht an mich denkt wie ich an ihn, ja, dann frage ich mich, wann ist es endlich mal voll, das Maß voll Leid und Sehnsucht.

22. Dezember 1943

Berlin macht nun mit, was wir schon so oft erlebt haben, Terrorangriff über Terrorangriff. Furchtbare Szenen sollen sich auch abgespielt haben. Im Café Vaterland, dem Treffpunkt aller, die was erleben wollen, sollen so viele Leichen gelegen haben, dass sie sie, um sie fortzuschaffen, in die Spree geworfen haben. Ja, und der Tanz geht weiter, ist es nicht grausam.

Und nun die Gegenseite, während unsere besten verbluten, hungern, dursten, in Gefangenschaft schmachten und sich vor Heimweh verzehren, geht hier die Korruption unter Bonzen und ihren Helfershelfern weiter. Herr O., einer dieser Schweinhunde herausgegriffen, kam nicht wie die andern zum Militärdienst, der arme Mann ist magenleidend und um es zu lindern, säuft er Unmengen Alkohol, aber nicht im Wirtshaus, nein, das wäre zu gefährlich, das sähen die andern, nein, das säuft er in seinen vier Wänden.

Und dann treibt er neben seinem gutflorierenden Friseursalon den tollsten Schwarzhandel mit Orientteppichen und Pelzmänteln, es fiel so auf, dass man ihm wegen Steuerhinterziehung 120.000 M Strafe auferlegte, die der Gute bei solchen Geschäften mit Leichtigkeit aus der Westentasche bezahlen kann und dann weiterschiebt unter dem allmächtigen Schutz der Herren Oberbonzen Grohé, Winkelnkemper u.s.w.

Ja, das geht nun so weiter und das ist nur ein Fall, von wer weiß wie vielen herausgegriffen. Hier die ganzen Geschäftsleute, einer nach dem andern braucht nicht an die Front, sie schieben alles unter dem obenstehenden Schutz und unsere Jungens kämpfen und sterben und die Heimat dazu.

Ja, und da will ich dir gleich ein paar andere Zeitgenossen vorführen. Einige aus meiner Umgebung. Wie ich schon anführte, bin ich allein und war in Braunsfeld ohne irgend einen Luftschutz, jede Nacht die furchtbaren Angriffe. Walter beschwor mich in seinen Briefen, doch nachts aus Köln zu gehen. Durch Zufall lernte ich einen Baron G. und seine Tochter kennen. Ich klagte ihnen bei einer Begegnung mal mein Leid und da sie gerade Zimmer beschlagnahmt bekamen, baten sie mich, doch zu ihnen zu kommen. Ich sagte zu und sie gaben mir in Schloss Ehreshoven, wo sie auch eine Mietwohnung haben, ein großes Zimmer.

Ich schaffte nun alles, was wertvoll war dorthin. Wäsche, Silber, Porzellan und Bilder, die mir lieb und teuer waren. Unsere Kleider. Und nun stehe ich davor, wenigstens ein Wohnzimmer herauszuschaffen. Denn ich sehe, ich muss handeln, es ist mir alles allein überlassen, dein Vater kümmert sich um nichts, heute, Schluss des Jahres, hat er sich noch nicht einmal um seine Sachen gekümmert, er sitzt im Schwarzwald und seine Briefe sind wie immer nur Klagen.

Ich arbeite viel bei Bauern und kann dadurch manches bekommen, was sonst unerreichbar wäre, ich kann mir und vielen meiner Bekannten oft etwas bringen. Frau Reinemanns Wäsche, Kleider, Silber und Bullys Aussteuer habe ich auch hier. Ich fahre fast täglich nach Köln und sehe nach dem Rechten. Wie gesagt, ich leide keine Not und gebe viel noch den anderen. Ich stricke, stopfe, ja, habe sogar bei der Ernte geholfen, um meine Kartoffeln für den Winter zu haben, denn in der Stadt haben sie nichts und ich muss nun sehen wie ich Reinemanns helfe mit Kartoffeln.

Ja, um nun dir meine Umgebung etwas näher zu bringen, will ich zuerst bei dem Baron anfangen. Er ist ein alter Herr von 79 Jahren, der mit seiner Tochter zusammenlebt. Uralter Adel und deshalb auch sehr degeneriert. Er ist total verkalkt und wehe wenn er anfängt, seine Erlebnisse zu erzählen, die zwar sehr harmlos sind, aber wenn du sie zum tausendsten Mal aufgetischt bekommst, nein dann geht dir der Hut hoch, besonders, wenn du andere Sorgen hast, ja, dann kommt es vor, dass ich ihn sehr ungehalten unterbreche und ihm sage: Ich weiß Herr Baron, ich habe kein Interesse an Ihrer alten Zeit, aber ich stehe auf und lasse ihn allein, was ihm dann auch nicht recht ist und er dann auch bald still ist.

Aber es ist toll, diese Leute haben nie gearbeitet, bekommen irgend ein Pöstchen, hier in diesem Fall, er war in irgend einem Hunsrückkaff Bürgermeister, wurde sehr früh durch etwas, was er sich leistete, pensioniert, und bezog dann ein halbes Leben vom Staat Ruhegelder, wo andere schwer für arbeiten müssen, glaubt an unseren Führer A.H. und glaubt, dass der, wenn der Krieg um ist, den verrotteten Adel wieder aufs Thrönchen hebt und wieder in seine Pfründe einsetzt.

Und deshalb schreit er sehr laut gegen die Engländer und die Juden, ist aber bestimmt zu dumm zu begreifen, was er schreit. Im übrigen hackt er Holz, das macht alt, und frisst, wenn er was hat. Ein alter dummer Trottel im wahrsten Sinne des Wortes. Und nun die Tochter. Eine alte Jungfer von 42 oder 44 Jahren, die es aber sehr nötig hat. Sie hat mit Vorlieb verheiratete Männer. Scheinbar haben die mehr Technik. Ich muss nun sagen, Vater wie Tochter haben mich beide sehr gern und obgleich ich ihnen in meiner Gesinnung gleich reinen Wein eingoss und gleich beibrachte, dass ich keine aus Hitlers Gefolgschaft bin und auch sehr oft ihrer Begeisterung einen Dämpfer aufsetze, sind wir gute Freunde.

Sie wissen genau, was sie von mir zu erwarten haben, und da ich ihnen oft sehr gut bin und ihnen vieles gebe und ihr manchen Gefallen tue, ist sie froh, dass ich da bin. Also sie kam eines Tages und brachte mir ihr ganzes Vertrauen und Lotte, da hörte ich doch so manches, was diese Leute in Bezug auf Liebe für selbstverständlich finden, dass ich eben als alte erfahrene Frau errötete, aber ich hörte weiter und da erzählte sie mir, dass sie auf alle Fälle ein Kind wolle, wovon ist gleich, am liebsten von ihrem Freund, ein Hauptmann der Luftwaffe und ein alter Parteigänger und Abenteurer, der eine Frau hat und sie an der Nase herumführt.

Von Zeit zu Zeit fährt sie dann nach München um an dem Kind zu arbeiten und dann kommt sie wieder und ist wieder enttäuscht. Sie zeigte nun eine Photografie und da sagte ich ihr, was ich meinte. Das war ihr nun nicht recht. Ja, und dann bei aller Verderbtheit, der Dünkel. Sie wusste Walter zu sagen: In meinen Adern rollte das Blut dreier Könige, ja, und der hat ihr dann in seiner zynischen Art heimgeleuchtet. Aber sie würde auch von jedem anderen sich zwischen nehmen lassen.

Ja, das ist Degeneration und dann das Heilgeschrei und in eine solche Gesellschaft muss ich nun hereingeraten. Und dann ein dreckiges Pack. Sie haben schöne alte Sachen, aber alles verdreckt. Der alte wäscht sich nie, schnupft und ist so dreckig, dass ich mich überwinden muss, ihm die Hand zu geben. Aber dann auf der anderen Seite, die Freude, wenn ich in Köln war und wiederkomme. Dann sind sie beide glücklich. Beide, dass sie nicht allein sind. Dann aber so ehrlich, die würden dir nichts nehmen, da kannst du alles lassen, da kommt nichts fort.

Du siehst da sind Vorteile wie Nachteile. Ach, aber einsam bleibst du, immer allein, man ist eben aus anderem Holz geschnitzt. Und möge doch der Herrgott, dass bald der Krieg um sein möge, dass man wieder mit seinen eigenen Menschen zusammen kommt, mit Walter, der mit allen seinen Schrulligkeiten doch so ein überragender Mensch ist, der mit aller Liebe an den seinen hängt, mit Röbi in seinem Künstlertum und seiner gesunden Lebensbejahung und auch wieder mit der Liebe und Anhänglichkeit, und dann du, wenn du nun auch eigene Familie hast, die all deine Liebe haben, ja, so spielen doch deine Eltern und Geschwister keine Nebenrolle in deinen Gefühlen, das weiß ich und das erfüllt mich mit Freude und Glück.

Ja, und dann Jack, der Gute. Ich sehe ihn vor mir mit seinen ehrlichen, lieben Augen, mit seinem lachenden Mund. Ich höre noch wie er mir versprach: Mutti, Klärchen, I take care of Lotte, I promisse it to you, und ich glaube ihm und habe Vertrauen und wenn dann die bittere Zeit um ist, ja, dann sitzen wir zusammen und erzählen, was wir erlebt haben, ja, und dann denke ich: Das sind die Meinen, die ich liebe und wofür ich lebe und gegebenenfalls kämpfe.

Ja, Liebchen, so könnte ich dir nun noch andere Leute aufzählen, die meine Umgebung ausmachen, aber es führt zu weit und so will ich mich vorläufig auf die nächsten beschränken. Vieleicht später einmal. In letzter Zeit mehrere Terrorangriffe auf Berlin und wie ich höre hat es bald aufgehört die größte Stadt des Kontinents zu sein, denn dann ist es nur noch ein großer Trümmerhaufen. Die russische Offensive geht unaufhaltsam weiter und so höre ich von Urlaubern nur alles Schwarz in Schwarz. Im Westen werdet ihr uns bald besuchen, ja, und so könnte man denken: Da tut sich was. Aber was es auch sei, lass kommen was kommt. Ich habe ein reines Gewissen und so sehe ich allem entgegen. Will der Herrgott mich und meine Kinder schützen, so tut er es.

27. Dezember 1943

Es ist hl. Abend, ich höre von keinem etwas. Frau Reinemann hat mich eingeladen, das Weihnachtsfest bei ihnen zu sein. Ich habe für den 1. Tag zugesagt. Dann fahre ich auf mein Schloss. Den hl. Abend habe ich bei meinem Baron und seiner Tochter verbracht. Nachmittags ging ich mit Baronesse zum Friedhof, an ihrer Mutter Grab. Wir gingen durch den schönen tiefen Winterwald, unseren Hund, den wir gemeinsam füttern, mit uns. Sie brachte der Mutter ein kleines Bäumchen. Vom Friedhof zurück, machten wir eine weitere Wanderung durch den Wald und kamen dann müde und hungrig zu Hause an.

Ich gab meinen Kaffee, wir hatten zu Weinachten 50 Gramm erhalten, sie spendete von ihrem Stollen und so fühlten wir uns beim warmen Feuer wohl. Jeder hing seinen Gedanken nach. Meine Gedanken flogen weit, weit nach England, Kanada, Frankreich. In jedem Land schlug ein Herz sehnsuchtsvoll nach seiner Heimat, nach seinem Elternhaus, nach seinen Eltern. Ja, und ich saß wieder woanders, ebenso dein Vater. Mit aller Kraft meines Herzens bat ich Gott, den Allmächtigen, euch zu schützen, euch die Kraft zu geben, weiter standzuhalten und auszuharren bis er uns wieder vereinigt. Ja, und so verging der Abend.

Am andern Morgen gingen wir zur Messe und dann fuhr ich nach Köln. Ich hatte bei Bauern durch Stricken eine Ente verdient, gab noch meine Fleischmarken dazu, brachte Milch mit und so konnte ich ruhigen Gewissens Reinemanns Gastfreundschaft annehmen. Herr und Frau Reinemann und ich waren allein und da Frau Reinemann auch noch Geburtstag hatte, feierten wir bei gutem Essen, bei Wein und Sekt den 1. Tag und vergaßen einige Stunden die Schwere der Zeit.

Die Nacht blieb ich dort und am andern Mittag ging es wieder gegen Ehreshoven wo ich von dem alten Baron mit viel Freuden begrüßt wurde, er war allein, seine Tochter war zu Freunden und blieb einige Tage fort. Ich blieb bei ihm und versorgte ihn am Abend, denn das Mädchen, Helene, ist nur stundenweise dort und ist ebenfalls viel fort. Ja, so fing der Alltag wieder an und über uns flog der Tommy und Yankee wieder lustig ein und zerstörten weiter.

Dann erfuhren wir am anderen Tage wieder von einem Terrorangriff auf Berlin. Ich staune nur, was in Berlin noch alles muss sein, nach meiner Schätzung und Erfahrung kann es doch nur noch ein Trümmerhaufen sein. Ja, und so gehen wir dem Ende dieses schmerzenreichen Jahres entgegen, das so viele viele Menschen heimatlos gemacht, so viel kostbares Blut gekostet hat, so viele Kinder zu Waisen, so viele Frauen zu Witwen gemacht, so viele Eltern ihrer Kinder beraubt hat. Ja, dieses furchtbare Jahr geht zu Ende und das neue fängt an. Was mag es bringen? Bringt es uns den heiß ersehnten Frieden? Oder bringt es noch mehr Leid, noch mehr Entsetzen über uns arme geplagte Menschheit?

1. Januar 1944

Neujahr 1944. Ja, nun haben wir 1944. Was mag es bringen? Hoffentlich den ersehnten Frieden. Ich war Silvester wieder bei Reinemanns. Ich ging nicht gerne hin. Ich glaubte, das gibt eine Nacht mit Angriffen, zumal wir so ruhig Weihnachten verbracht hatten, aber ich hatte es versprochen. Ich kam am Nachmittag an, es regnete und meine Stimmung war auf Null, ich vermutete Frau Reinemann im Bad und hatte keine große Eile ins Wohnzimmer zu kommen, unterhielt mich mit Elfriede, sie grinste mich unaufhörlich an und ich konnte nicht anders, ich frug, was grinsen Sie so dumm und wieder musste ich mich ärgern.

Aber sie grinst weiter und ich gehe ins Wohnzimmer. Ja, und wer begrüßt mich da? Bully! Ich schreie auf vor Freude, ja, und da liegen wir uns in den Armen und begrüßen uns innig. Ja, sie hatte es fertiggebracht, einen Tag Urlaub zu bekommen, ihr Oberbonze war mal gut gelaunt und gestattete ihr einige Stunden mit ihren Lieben. Die Freude von Eltern und Tochter war unbeschreiblich und ich bekam meinen Teil mit ab. Ja, und bei Erzählen, Essen und Trinken erwarteten wir das Neue Jahr. Bully ist in Brüssel und bei der katastrophalen Bahnverbindung war es bestimmt allerlei zu kommen und doch würde sie es jede Woche machen, wenn sie nur könnte.

Ja, da saß ich wieder nicht zu Hause bei den Meinen und wieder wanderten meine Gedanken zu meinen lieben lieben Kindern, zu meiner Lotte, meinem lieben Lottenkind, zu meinem guten lieben Wälterchen, der sich jetzt auch so nach seinem Mütterchen sehnte und doch auch nur unter Fremden oder allein das Neue Jahr erwartet, und zu meinem herzliebsten, guten kleinen Röbi mit seinem lieben Gesicht, mit seinen lieben Augen, ich höre seine liebe, tiefe, warme Stimme sagen, Mutter ich hab dich so lieb, ich höre dich, Lottenkind sagen: Liebchen, Muttilein, hast du mich auch lieb, bin ich auch dein Liebchen? Ich höre meinen guten Walter sagen: Liebling, was bin ich froh, dass ich dich hab, ich hab dich ja so lieb, du, Röbi und Lotte seid die einzigen Menschen, die ich mit all meinem Herzen liebe.

Ja, das ging durch meinen Kopf und doch unterhielten wir uns über alles, über unsere Leiden, über unser Hoffen, über unsere Befürchtungen und so erwarteten wir das neue Jahr. Und es kam. Wir tranken uns zu, wir küssten uns und gedachten euer, weil wir auch wussten, dass jetzt eure Gedanken bei uns waren, weil wir in unseren Wünschen eins waren. Ja, und so begrüßten wir 1944.

Wir gossen aus den vorjährigen Resten Blei. Bully goß deutlich ein landendes Flugzeug und hoffte, dass bald ihr Harald landete um allem Warten, aller Not ein Ende zu machen. Ich goss eine Insel und unwillkürlich sagte jeder was ich still dachte, das ist England, von da kommt für Sie nur Gutes. Ich will es hoffen. Ja, und wir erzählten noch lang und gingen ins Bett recht müde und schliefen fest und ruhig bis tief in den Morgen, wo ich dann nach einem guten Frühstück wieder verschwand in Richtung Ehreshoven auf mein Schloss. Ja, und nun beginnt das Neue Jahr.

18. Januar 1944.

Ja, es begann mit Sorge, bis heute wartete ich auf ein Lebenszeichen von Walter. Seit dem 11.12.43 habe ich keine Nachricht von ihm. Heute habe ich dann an seine Behörde geschrieben. Was mag die Antwort nur bringen. Ob er krank ist? Oder noch viel schlimmer, ob er etwas gesagt hat? O, es wäre furchtbar, möge Gott dieses verhüten. Ich lebe Tag und Nacht in einem Druck. Nachts warte ich auf den Morgen, um die Post zu erwarten, aber immer vergebens. Ich bin zu bange vorher nach Köln zu fahren, damit ich seinen Brief nicht versäume. Was mag mit ihm sein. Er ist mitten im Westen im Hexenkessel drin.

Ja, so wird man von dieser furchtbaren Zeit zermürbt. Ob man sie überlebt? Hier ereignet sich so viel, aber doch immer das gleiche und es lohnt sich nicht, immer nur Elend aufzuzeichnen. Immer glaubt man, nun kommt eine Änderung, aber immer geht es im alten Elend weiter. Ach wenn ich nur schon Nachricht von Walter hätte. Was mag sein?

2. Februar 1944

Ja, kaum habe ich an seine Behörde geschrieben, da kommt ein Brief von Walter. Ja, da ist er, der lang und heiß ersehnte Brief. 38 Seiten lang. Gott sei Dank, er ist der Zeit entsprechend gesund. Es ist ein gesammelter Brief mit allen Freuden und Leiden, die das harte Leben in der Fremde, nein, in Feindesland, mit sich bringt. Es sind eigentlich Tagebuchblätter, wie sie gar nicht interessanter sein können, alle seine Briefe, und deshalb habe ich sie alle eingeheftet, damit sie dir und Röbi erhalten bleiben und damit ihr teilnehmen könnt an allem was wir erlebt und gelitten haben.

Ja, davon zeugen Walters Briefe. Er schreibt nicht allein seine vielen, vielen Widrigkeiten, nein, er lässt mich auch an seinen Freuden teilnehmen, die er mir alle in seiner geistvollen Art schreibt. Anders euer Vater, da kommt auch nicht ein Brief, der nicht erdrückend wäre, und die wenigen Briefe, die ich von ihm bekomme, öffne ich mit Beklemmung. Ich teilte ihm gleich mit, von der Nachricht, dass er einen Enkel habe, nicht ein Wort der Freude, nein nicht eine einzige Äußerung, da kommt irrtümlich ein Brief aus England bei ihm an, der eigentlich mir ist, aber doch auch ihn angeht, er schickt ihn mir ohne ihn zu öffnen, um zu zeigen, das interessiert mich nicht, was geht das mich an.

Seine ganzen Briefe sind Klagen, ja, wir haben heute alle Grund zu klagen, aber was hilft es, wenn wir alle nur klagen und jammern. Ja, und das tut dein Vater in so reichlichem Maße, dass ich eben bange bin seine Briefe zu öffnen. Was wäre es schön, wenn ich da mal hingehen könnte und sagen könnte: Ach, Robert ist das alles schwer, ich kann es kaum noch tragen und hörte dann: Sei still, es wird auch mal wieder anders, aber nein, das kann ich nicht um Gottes Willen, wo denke ich hin, von diesem Mann einen Trost zu bekommen, nein, der kann nicht trösten, der kann nicht lieben, der kann nur jammern, in einer großen Litanei all seine Lamentos loslassen, dass es einem Angst und bange wird.

Er sitzt dort einsam, aber hat er es anders gewollt. Dass wir fast alles verloren haben, ja, das haben tausende andere auch, nur ist es nicht so furchtbar wie für ihn, denn ich habe ja so viel von ihm bekommen. Und ich weiß auch heute noch nicht, was er oder wir hatten, nein das wusste er nur allein und deshalb ist es mir auch nicht so schwer, es zu entbehren. Bis heute hat er sich noch nicht um das, was er verloren hat, gekümmert.

Walter schreibt mir, dass er in Urlaub kommt und zwar schon in 14 Tagen. Ja, und das ist mal wieder ein Grund, sich von Herzen zu freuen. Es sind heute nur noch 12 Tage, ja, und so zählt man die Tage bis endlich der Tag da ist. Ich habe heute noch kein Bett wo er schläft, aber das muss alles überwunden werden. Ich wollte eine Schlafcouch, aber mit allen Bemühungen kann ich keine bekommen. Walter kommt und hat nichts, rein gar nichts anzuziehen. Ich weiß nicht, was ich machen soll.

Hier ist nur mit Gegenwert noch zahlbar, ja, und woher nehmen. Hier lassen sich Schuster und Schneider nur noch mit Kaffee, Fett und sonstig unerreichbarem bezahlen. Ich habe bei den Bauern gestrickt, gestopft, um etwas Fett zu bekommen und das spare ich, ebenso meine Fleischmarken, meine Raucherkarte ebenfalls, um etwas zu haben, wenn er kommt, ja, so habe ich Mehl gehamstert, ja, und so habe ich von allem etwas, damit ich für den armen Jungen was habe, um die paar Tage etwas schön zu machen.

Deinem Alten schicke ich heute Plätzchen, die ich gestern gebacken habe, dafür musste ich 1 ½ Stunden in die Berge laufen, bei Bauern zu stopfen, da bekam ich dann Milch und einige Eier. Er hatte mir etwas Butter geschickt, ja, und dann lief ich 1 ½ Stunde zurück. Ich werde sie ihm per Express schicken, damit er sie schnell hat. Er würde es nie für mich tun, ich werde ihm auch nie erzählen, unter welchen Mühen ich dieses bekomme, er hat ja doch kein Empfinden dafür, er kann eben nicht begreifen, dass die andern auch nicht alles mühelos bekommen, nein bei Leibe nicht, Mühen hat er nur, da unten im stillen Schwarzwald.

Ja, und du schreibst, dass es euch gut geht und ihr noch zusammen seid, ja, das ist schön, aber immer weiß ich noch nicht, wie der Junge heißt. Na vielleicht werde ich das auch einmal gewahr. Vielleicht werde ich ihn auch einmal zu sehen bekommen. Vielleicht. Aber wann. Langsam entschwindet einem alles Gefühl, sich an so was zu freuen, das Leid des Tages, der Kampf um das Wenige ist so groß, die Ungewissheit vor Kommendem ebenso, dass dieses, was früher einem seine Welt ausmachte, alles klein ist.

Jedenfalls ich freue mich, dass ihr gesund und beisammen seid. Du schreibst über Röbi als wenn du mit ihm in Verbindung stündest. Röbi schreibt das Gegenteil. Vieleicht ist alles nur eine Verzögerung und ist heute alles in seinen Händen und der arme Junge ist froh und glücklich, dass die Seinen an ihn denken. Mein lieber, lieber einzig lieber Röbi. Mein liebes, gutes Lottenkind, mein guter, guter Walter, mein einziger Freund, der mir die schönsten Briefe schreibt und mir darin aber auch alles schreibt. Meine geliebten 3 Kinder, wann mag ich euch wiedersehen? Ja, das weiß Gott, der Allmächtige, allein.

5. Februar 1944

Ja, nun scheint es doch was zu sein mit Walters Urlaub. Er teilt mir per Karte mit, dass er am 15.2.44 kommt. Mal wieder eine freudige Nachricht. Aber trotzdem wünschte ich, er wäre schon hier bei mir. Er schreibt: Liebe Mutter, sieh doch mal zu, dass ich was anzuziehen kriege, ich habe nichts mehr. Das ist Walter, andere stehlen, was sie kriegen können, und er nimmt noch nicht mal, was ihm zusteht, der Esel. Ich habe nun auf dem Tauschwege einen guten getragenen Anzug, englischer Stoff, ich hatte ihn allerdings für meinen Röbi gekauft.

Ja, nun muss ihn Walter haben, er hat nichts mehr und wenn Röbi kommt, denke ich, bekommt er auch was. Also, der Anzug war eine große Nummer, wie Jack, und nun muss er für Walter geändert werden. Das ist nicht so leicht, welcher Schneider macht das. Also ich auf Trab. Ich finde ihn in Engelskirchen, der Mann lässt sich bestechen, für reguläre Bezahlung macht er es nicht, da muss ich Kaffee geben. Der kostet heute das Pfund 400.- und dann noch bezahlen, so viel wie ich sonst für einen Anzug mit Stoff und allem drum und dran nicht bezahlt hätte, und dann muss ich ihn selbst noch ganz auftrennen. Ja Liebchen, und dann bin ich glücklich, wenn der Junge ihn nur bekommt.

Ja, so sind heute die Preise und so muss man heute die Leute betören. Ja, wenn ich heute nicht fast gar nichts selbst brauchte, dann könnte ich es noch nicht mal. Dein Vater hat mir seit Anfang November kein Geld mehr geschickt. Nächste Woche werde ich ihm unangenehm. Ja, er kann sich von seinen Kröten noch immer nicht trennen.

Hier mehren sich die Tagesangriffe. Gestern war ich in Köln, kaum war ich zu Hause, da ist Alarm. Ich hatte zu tun und sagte mir, das gilt uns nicht, du brauchst nichts drum zu geben. Ja, Kuchen, es geht los über uns Welle auf Welle, die Flak schießt wie wahnsinnig, die Hölle ist los, ich denke, da kommst du lebend nicht mehr raus.

Nach einer Stunde Vorentwarnung, ich auf die Bahn, ich will zum Zug, zum stillen Schloss. Kaum in der Bahn geht es wieder los, wir müssen raus in einen Schutzraum. Dort Menschen und Menschen, ich denke, das kann nett werden, es schießt wie toll. Dann wieder Stille, ich habe dieses Spiel bis zum Bahnhof 2 Stunden mitgemacht und als ich im Zug saß, ja, da wusste ich erst in welcher Gefahr ich war, doch Gott der Herr hat mich wieder behütet. Später hörte ich, sie waren in Frankfurt und haben dort gewütet.

16. Februar 1944

Ja, und nun habe ich inzwischen wieder Post von dir. Also wie du selbst sagst, dein Sohn ist fabelhaft. Ja, eine Mutter muss es ja am besten wissen und warum sollte meine Tochter keinen fabelhaften Sohn haben. Ich habe ja auch fabelhafte Kinder. Sieh dir mal Röbi an. Ja, ich will dir wünschen, dass dein Sohn wie mein Sohn wird. Ja, und Walter bestimmt nicht zu vergessen. Er ist es auch. Er muss viel leisten, viel hungern und entbehren, denn er ist kein Schieber, der das Elend anderer ausnutzt.

Ja, und mein Röbi. Ich weiß, er hat viel, viel durchgemacht und macht viel mit, was ich vielleicht nie gewahr werde. Ja, und mein Lottenkind, wenn sie auch die Ihren alle beisammen hat, trotzdem fehlen ihr doch die Menschen, die ihre Liebe verdienen und womit sie immer verbunden sein wird, auch wenn uns heute Krieg, Hass, Länder und Meere trennen, ihre Eltern, ihre Brüder und ich, ich weiß, viele Sorgen machen wir dir, wie oft wirst du noch und wie oft hast du in Angst um uns gebangt und auch zu Gott, dem Allmächtigen für uns gebetet, und er hat uns bis jetzt auch immer in seinen Schutz genommen und er wird es weiter tun und uns wieder zusammenführen.

Augenblicklich bin ich krank, sehr erkältet. Vorige Woche habe ich noch einige Möbel nach hier geholt. Ich hatte seit vor Weinachten auf den Spediteur gewartet und endlich sollte ich denn doch an die Reihe kommen. Ich musste in Großalarm, in Eis und Schneesturm die schweren Möbel mit aufladen, denn der Mann hatte niemand und ich konnte niemand bekommen. Ja, und endlich waren wir so weit und fuhren mit dem offenen Lastauto los. Es schneite fühlbar und ich rechnete damit, dass wir in einer Stunde schneller Fahrt im Schloss wären.

Aber der Mann, schon einmal in Köln, musste viel erledigen, und ich saß bei ihm vorne und fror und fror. Bis er in allen Stadtteilen seine Sachen erledigt hatte, waren wir 4 Stunden weiter und dann ging es los und nach 5 Stunden war ich denn da. Meine Sachen, die offen dem Schnee und Eis ausgesetzt waren, mussten nun schleunigst vom Wagen und halberfroren musste ich mich nun drangeben und alles abledern und trocknen und nachts um 1 Uhr war ich so weit, dass ich ins Bett konnte.

In der Nacht hatte ich dann hohes Fieber, tollen Husten und dachte, nun bekommst du die Lungenentzündung und liegst hier mutterseelenallein unter Fremden, kein Arzt und keine Menschen, der dir nahe ist. Ja, wie mir war, kannst du dir ja denken. Es ist nun heute besser, aber ich muss mich schonen, ich huste stark, leide viel unter Pleuraschmerzen.

Gestern Abend kam Walter in Urlaub, ich holte ihn in Köln ab. Er freute sich ebenso wie ich uns endlich mal wieder zu haben. Ich fuhr mit Frau Jansen, die, nur um mal nach einem Jahr Walter wiederzusehen, zu uns auf einige Tage gekommen war, nach Köln, wir fuhren mit dem Abendzug im Dunkel hier ab und kamen natürlich in den Alarm. Der Bahnhof dunkel, wir gingen zum Bahnsteig, und erwarteten ihn. Ja, und da kam der Zug wider Erwarten pünktlich und bald lagen wir uns in den Armen.

Dann aber schnell zum Zug, den wir noch glücklicherweise erreichten, um dann gegen unser stilles Schloss zu fahren. Wir waren froh wie wir Köln hinter uns hatten und wie wir dann oben waren, haben wir bis in die Nacht hinein erzählt und erzählt. Heute ist Walter mit Frau Jansen nach Köln, um bei der Wehrmacht seine Sachen zu erledigen, auch in unser Haus zu gehen, welches jetzt Zwangseinmietung von Fliegergeschädigten hat. Aber davon ein andermal. Ich bin jetzt müde. Übrigens wissen wir noch immer nicht, wie dein Sohn heißt. Warum nicht? Ist das ein Geheimnis?

29. Februar 1944

Und nun ist Walters Urlaub bald wieder vorüber und er geht wieder. Was mag dann alles kommen. Er sieht auch sehr schwarz. Dieser Tage war ich in Köln und sehr kurz nach Mittag wieder zurück. Walter war in Engelskirchen geblieben und ich wollte so schnell wie möglich wieder bei ihm sein und kam auch gut zurück.

Der nächste Zug wurde furchtbar zugerichtet. Es war Großalarm, der Zug fuhr von Kalk nach Heumar und musste durch die Flak durch, da – was ist das! Da kommt ein Flugzeug rasch auf den Zug geschossen, beschießt ihn und trifft die Lokomotive, den Postwagen, die vorderen Wagen, es ist furchtbar. Gleich 8 Tote und viele Schwerverletzte, die dann auch in den nächsten Tagen starben. Die Situation war furchtbar, die Menschen rasten zu dem nahen Wäldchen, um dort Schutz zu suchen. Das ist nun Krieg. Alles Menschliche hat aufgehört. Hüben wie drüben.

3. März 1944

Ja, nun ist Walter wieder fort. Er musste schon 24 Stunden früher fort, um zeitig die deutsche Grenze zu überschreiten. Die Zeit flog und so brachte ich ihn zum Zug und um bei seiner Abfahrt wieder allein zu sein. Vieles haben wir uns erzählt. Röbi schrieb auch und wir freuten uns sehr, ja, ihr lebtet immer zwischen uns. Ausschließlich wurde von euch erzählt. Wir haben dann Röbi lange Briefe und Karten geschrieben. Frau Jansen hatte auch ihren Mann mitgebracht, der schon wegen Beinverwundung vom Heer entlassen war. Es war ganz schön, noch mal zusammen zu sein, aber was gebe ich allen zu essen?

Aber unsere Soldaten wussten Rat, da sie ja an Selbstversorgung gewöhnt waren. Um das Schloss herum läuft ein großer Teich voller Fische. Das sahen die beiden Helden und schon lief ihnen das Kinnwasser zusammen. Also, sie wollten Fische. Ich riet ihnen dringend ab. Aber bald waren sie verschwunden. Da, nach einer Stunde taucht Walter auf, in meinem Zimmer, und ich frage schon höhnisch: Na, wo habt ihr denn die vielen Fische fürs Abendessen?

Viele Fische, nein Mutter, aber einen haben wir, du musst schon deine Ledertasche geben, dass es nicht auffällt. Es ist ein Karpfen von mindestens 10 Pfund. Wir haben ihn mit einer Mistgabel gespießt und nun haben wir ihn. Ich bekam einen Todesschrecken. Wenn das die Schlossbesitzer gesehen haben. O Gott! Also, ich gab die Tasche und bald waren die Fischräuber mit ihrer Beute da. Ein herrlicher Karpfen, wie ich noch nie einen hatte. Er war keine 10 Pfund, nein, er war 18 Pfund schwer.

Wir waren zum Glück den Nachmittag allein und nun ging ein Schlachten und Kochen los. Und nun die Butter. Wir haben die Butter im voraus für die nächste Woche schon geholt und gefressen. Der Tisch wurde feierlich gedeckt und dann haben wir noch die Baronesse I. geholt, die auch sehr guten Appetit entwickelte und dann wurde gefressen. Der Riesenfisch  und los.

Leider konnte ich nur wenig essen, ich war schon satt vom Kochen, aber die 3 Kannibalen, nein beide unsere Fischräuber haben gefressen bis sie sich nicht mehr bewegen konnten und bis alles auf war. Sie waren nachher unpässlich. Ich glaube, die waren im Krieg zum ersten Male satt geworden. Walter konnte nachher vor Überfressenheit nicht schlafen. Die Sache ist dann doch gut abgelaufen. Unsere Helden hatten vorsichtig und mit Überlegung gestohlen. Ja, und dann kam der Abschied und er war schwer und danach ging auch schon der Krieg mit all seiner Grausamkeit wieder los.

10. April 1944

Ostern. Lange habe ich nichts mehr eingetragen, wozu auch, es ist ja doch immer dasselbe Leid. Luftangriffe am laufenden Band. Immer Alarm und man entkommt meist wie durch ein Wunder all dem Leid. Oft war ich während eines Tagesangriffs in Köln, die Bomben flogen. Aber Gott der Allmächtige hat mich doch immer wieder beschützt. Ja, und dann viel viel Ärger mit meinem Haus, bedingt durch Zwangseinnistung. Was man durch die furchtbare Wohnungsnot für Pack hereinbekommt, ist eben unbeschreiblich und ich muss dir sagen, ich habe auch heute keine Lust dazu. Aber doch später werde ich dir diese interessanten Erfahrungen nicht vorenthalten.

Also Ostern, wie immer ganz allein. Morgens ging ich in die hl. Messe, ich schloss euch alle in mein Gebet ein und dann kam Besuch bei der Baronesse, ich musste zu ihnen und meinen Rat geben, aber davon auch später. Dann aß ich allein, ich habe gemeinsames Essen mit dem alten Baron aufgegeben, sobald ich das konnte. Meine Nerven hielten dies nicht aus, denn das Zusehen machte schon satt und ich wäre mit der Zeit vor Ekel eingegangen. Also aß ich in meinem Zimmer etwas und machte dann eine Wanderung.

Die beiden Damen, Baronesse I. und ihre Freundin, holten mich dann im Walde ein und wir gingen dann zusammen heim. Post war keine gekommen, keiner hatte an mich gedacht, aber daran bin ich ja nun schon gewöhnt. Röbi hat auch sehr, sehr lange nichts mehr geschrieben, du auch nicht. Walter macht sich sehr selten und euer lieber Vater schrieb seit Januar nicht mehr. Augenscheinlich hat er nichts für mich zu erledigen. Er kann die Menschen ja nur gebrauchen, irgend etwas anders bewegt ihn nicht, bei ihm dreht sich alles um ihn selbst.

Ja, und heute werde ich am Nachmittag zu Bauern gehen, dort Kaffee trinken, ja, dort stricke ich, stopfe ich, um einige Fressalien zu erhalten, die man zum Leben nötig hat. Ja, und wie lange mag dieser Zustand noch anhalten? Viel Sorge macht mir jetzt Walter, er sitzt so mitten drin, hoffentlich kommt er gesund aus diesem Hexenkessel heraus. Im Osten geht es ja lustig auf unsere Grenzen zu, und wenn das erreicht ist, ja, dann glaube ich, lässt der Tommy im Westen auch nicht lange mehr auf sich warten. Na, warten wir ab, was kommt. Jedenfalls nichts schönes.

14. April 1944

In Köln wieder Fliegerangriff. Ich komme am andern Morgen dorthin. 5 schwere Bomben in die Lindenburg, in Schwerkrankenabteilungen, außerdem in die Maschinenhalle, die schwerkranken Menschen sind nun ausschließlich im Keller untergebracht. Keine Frischluftzufuhr, sagt mir ein Handwerker, der augenblicklich dort beschäftigt ist, keine Beleuchtung, der Zustand ist furchtbar.

Im Osten kommen die Russen mit Riesenschritten auf unsere Grenzen zu. Im Westen wartet man nur darauf, uns zu überfallen, und in diesem Zustand lebt man mitten unter übernervösen Menschen. In den öffentlichen Bunkern und Luftschutzräumen nur Streit und Hass. Man ist zu bange, einen Menschen etwas zu fragen, überall stößt man an. Walter schreibt auch nicht mehr, oder die Post geht nicht durch. Er sitzt wie schon gesagt mitten im westlichen Hexenkessel. Was mag die nächste Zeit bringen?

Ich komme nach einer Krankheit mal nach Auweiler und schon hat sich wieder ein Volltreffer an den andren gereiht. Ich gehe über die Aachener Straße, hier und da ein neuer Volltreffer. Es sind große Häuser und alles liegt schwer auf den Kellern, wie die unglücklichen Menschen dort herausgekommen sind, ist mir ein Rätsel.

Ich komme auf meinem Gang zum Bahnhof mit der Tram über den Ring, da sieht man wie gerade von einem Angriff tags zuvor die Toten herausgeschafft werden. Eine Frau erzählt mir den Anblick und da kommt mir eins nicht aus dem Gedächtnis. Sie sieht unter anderen Toten ein kleines Mädchen auf der Straße liegen, es liegt tot da im Nachtkittelchen, nur Strümpfchen an, den Kopf plattgedrückt wie ein Reibekuchen.

Ich sitze nachdenklich im Zug, man sagt sich, wie lange entgeht man noch diesem Schicksal. Ich stopfe anhaltend für Bauern und bin es oft so müde und sage mir nur, wofür und wie lange noch. Röbi schreibt auch nicht mehr, hier wird wohl auch die Verbindung unterbrochen sein.

16. April 1944

Terrorangriff auf Aachen. Ein bekannter Soldat erzählt: Er ist in Eschweiler in einer Kaserne um Truppen auszubilden. Am Abend geht er mit einem Kameraden aus der Kaserne, die in halber Höhe eines Berges liegt, einen Spaziergang auf den Berg machen, um seine Nerven in der freien Natur etwas zu beruhigen. Er hat Heimweh, und angekommen werfen sie sich ins Gras, erzählen vom Krieg und von zu Hause. Unter ihnen liegt Aachen.

Da, was ist das! Fliegeralarm, Großalarm, sie müssen zurück, aber schon zu spät. Der Himmel ist schwarz voller feindlicher Maschinen, ja, und da prasselt es auch schon auf die unglückliche Stadt nieder. Er sagt, es ist der Weltuntergang, nur noch viel, viel grausiger, nicht zu beschreiben, nur Feind vom Himmel und dann wie von einer Stichflamme entzündet, brennt die ganze Stadt.

Sie rasen herunter, stellen sich zur Verfügung zum Aufräumen, zum Retten. Aber es ist nicht beizukommen. Überall Feuer, die unglücklichen Menschen sind in den Kellern eingeschlossen, sie geben 4 Tage Klopfzeichen und dann nicht mehr, sie können nicht zu ihnen gelangen. Es ist wieder ein Blatt in der Weltgeschichte, geschrieben voll Leid und Grauen. Viele Tote hat Aachen zu beklagen. Was kommt nun dran?

Anmerkung von Clare Westmacott: Aachen ist als Stadt Karls des Großen bekannt und war im achten und neunten Jahrhundert das Zentrum des fränkischen Reichs. Kaiser Karl vereinte die Gebiete und Völker, die später zu Frankreich und Deutschland wurden. Er starb 814 in Aachen und wurde im 12. Jahrhundert heiliggesprochen. Fast sechs Jahrhunderte lang war Aachen die Stadt, in der deutsche Könige gekrönt wurden. Wie Köln beherbergte auch Aachen viele alte Gebäude, von denen viele im Krieg zerstört wurden.

20. April 1944

Ja, die Tommys wissen Geburtstagsgrüße zu arrangieren. In der Nacht auf Hitlers Geburtstag haben wir Kölner das zu spüren bekommen. Um 10-11 erster Alarm und Entwarnung. Die armen Menschen waren kaum zur Ruhe, da wieder Vollalarm. Schnell in die Bunker und Luftschutzkeller. Ja, und weil die eigenen Keller schon lange nicht mehr sicher sind, müssen sie in die öffentlichen. Also schnell über die Straßen. Aber so schnell wie es auch war, es ist schon zu spät. Die Sprengbomben fallen, die armen Menschen werden auf den Straßen zerrissen, viele, viele Opfer, die nie genannt werden.

Der Angriff war wieder furchtbar, was noch steht wird zerstört. Ich muss am anderen Tag nach Köln. Ich kann nicht herein, ich warte bis zum nächsten Tag. Ich komme bis Deutz und dann wieder durch all dieses Grauen zu Fuß. Alles in Braunsfeld zerstört, ja, und wieder ist mein Haus bis auf kleine Schäden verschont worden. Es ist bis unters Dach voll mit Fliegergeschädigten belegt worden. Alles im Garten und in den Gartenhäuschen steht voll Möbel.

Ich gehe durch all dieses Elend und bin froh, dass ich wieder, nachdem ich alles erledigt habe, Köln den Rücken kehren kann. Was habe ich nicht all für Elend und Grauen gesehen, ob Gott der Herr mich beschützen will, oder will er mich für noch größeres Elend aufbewahren?

Diese Nacht wieder derselbe Tanz. Man sagt, Düsseldorf, Leverkusen, Mülheim war dran. Ich weiß es nicht. Ich gehe nicht fort, es ist Sonntag, ich setze mich still in den Wald auf einer Höhe in der Nähe des Schlosses, dort ist es wunderbar, ich bin außer dem Hund und hier und da einem Reh allein weit und breit. Ich lese ein englisches Buch und stopfe oder stricke abwechselnd bis der Nachmittag zu Ende ist und damit auch der Sonntag. Montag muss ich nochmal nach Köln. Es wird wohl nicht lange mehr gehen. Ich glaube, eines Tages sind die Brücken gesprengt und dann geht es von selbst nicht mehr.

22. April 1944

Wieder ein Terrorangriff auf Köln. In der Nacht vom 20. werde ich durch Flieger im Schloss geweckt, der Himmel ist blutrot. Wo ist es, sagen wir, es ist Köln mal wieder, sage ich. Es ist furchtbar. Ich glaube nicht, dass wir noch etwas haben, sagt Frau T., eine bekannte Pianistin, die auch etwas Ruhe bei der Baronesse, die ihre Schülerin ist, gesucht hat. Sie ist durch all das, was hinter uns liegt, sehr mit den Nerven herunter. Ich gebe ihr recht, glaube ich doch auch nicht, dass mein Häuschen noch steht.

Wie es still wird, gehen wir mit den Gedanken zu Bett, dass wir in Köln nichts mehr haben. In einem hat der Schweinehund recht, nach dem Kriege gibt es nur noch Tote und Überlebende. Nun, wie Gott der Allmächtige will, es liegt nur in seiner Hand.

Am andern Morgen gehe ich zur Bahn, um nach Köln zu fahren, es ist unmöglich. Was ist los? Köln schwer getroffen, alle Vororte, besonders Lindental, Braunsfeld, Nippes und alle Ringe, das Opernhaus brennt. Alles, was dein Vater geschaffen hat, wird vernichtet, es ist traurig.

Das hätte ich ihm nicht gegönnt, dass er dieses noch erleben muss. Ja, nun am andern Morgen gehe ich nach Köln und wieder entsetzt mich der Anblick wie damals. Die Innenstadt ist ruhig bis ich auf den Ring komme. Welch ein Anblick. Das Opernhaus brennt nach dem Hohenzollernring hinunter, bis zum Hansaring ein Flammenmeer. Dazwischen die armen Menschen, die in einer halben Stunde ihr ganzes Hab und Gut verloren haben, dann wieder all die Toten und diejenigen, die in den Kellern klopfen und all die, die noch in den Kellern umgekommen sind. Das Elend ist namenlos.

Ich gehe durch die Aachener Straße und weiter bis Melaten. Da ist auch nicht ein Haus, was nicht getroffen ist, weiter bis Braunsfeld, alles zerstört, weiter bis zu uns die ganze Umgebung zerstört. Nur der Block von Schöttles bis zur Frau Oberst ist noch. Ich komme in mein Haus, es ist bis unters Dach voll belegt. Alles unglückliche Menschen, die mir nicht Dank wissen, meiner nur neidisch sind, dass ich noch etwas habe, bis mir der Hut hoch geht und ich ihnen zu verstehen gebe, dass sie doch froh sein sollen, dass es so ist, sonst hätten sie doch kein Obdach.

Also ich bin bis auf die Fensterscheiben und einige Türrahmen mal wieder verschont worden, wie lange noch? Doch die Angriffe gehen weiter. Jeden Tag paar Mal Alarm, ebenso jede Nacht, überall nur Grauen und Leid und Tod. Ich will nicht weiter ins einzelne gehen, es hat keinen Zweck, denn ich habe ja schon immer diese furchtbaren Szenen geschildert und wenn sie sich noch steigern können, ja, dann ist es eben heute.

Ich kam nach vielen Mühen wieder in mein stilles Schloss. Frau T., die auch nach Köln gefahren war, ist schon da, sie hat alles verloren, ihre schöne Wohnung, und nur was im Keller ist, kann sie noch retten. Aber erst später, wenn bis dahin nicht alles gestohlen ist. Ja, bei allem Elend auch das noch. Eben auch eine Begleiterscheinung dieser grauenvollen Zeit.

Ich hatte gehofft, irgend von jemand Post zu haben, aber nein, Walter macht sich auch so selten, von dir und Röbi gar nicht zu reden, ja, und so bin ich ganz allein. Dein Vater hat schon monatelang nicht geschrieben, er hält es noch nicht einmal der Mühe wert, sich nach diesem furchtbaren Angriff zu erkundigen.

Damals wie er in der Schildergasse alles verlor, da musste er noch manches durch mich erledigen lassen und da musste er schreiben, aber heute hat er mich nicht nötig. Na, ich ihn auch nicht. Nun ja, ein alter Fuchs wechselt eben sein Fell nicht, sagt Walter sehr richtig. Walter hat es auch jetzt sehr, sehr hart, ich wünschte, ich hätte ihn hier bei mir, dann hätte ich wenigstens einen der meinen. Doch der Krieg geht weiter!