Alles, was dein Vater geschaffen hat, wird vernichtet / Everything your father has made will be destroyed

Kölner Opernhaus 1910 / Cologne Opera 1910 Copyright Rheinisches Bildarchiv Köln

22. April 1944

Wieder ein Terrorangriff auf Köln. In der Nacht vom 20. werde ich durch Flieger im Schloss geweckt, der Himmel ist blutrot. Wo ist es, sagen wir, es ist Köln mal wieder, sage ich. Es ist furchtbar. Ich glaube nicht, dass wir noch etwas haben, sagt Frau T., eine bekannte Pianistin, die auch etwas Ruhe bei der Baronesse, die ihre Schülerin ist, gesucht hat. Sie ist durch all das, was hinter uns liegt, sehr mit den Nerven herunter. Ich gebe ihr recht, glaube ich doch auch nicht, dass mein Häuschen noch steht.

Wie es still wird, gehen wir mit den Gedanken zu Bett, dass wir in Köln nichts mehr haben. In einem hat der Schweinehund recht, nach dem Kriege gibt es nur noch Tote und Überlebende. Nun, wie Gott der Allmächtige will, es liegt nur in seiner Hand.

Am andern Morgen gehe ich zur Bahn, um nach Köln zu fahren, es ist unmöglich. Was ist los? Köln schwer getroffen, alle Vororte, besonders Lindental, Braunsfeld, Nippes und alle Ringe, das Opernhaus brennt. Alles, was dein Vater geschaffen hat, wird vernichtet, es ist traurig.

Das hätte ich ihm nicht gegönnt, dass er dieses noch erleben muss. Ja, nun am andern Morgen gehe ich nach Köln und wieder entsetzt mich der Anblick wie damals. Die Innenstadt ist ruhig bis ich auf den Ring komme. Welch ein Anblick. Das Opernhaus brennt nach dem Hohenzollernring hinunter, bis zum Hansaring ein Flammenmeer. Dazwischen die armen Menschen, die in einer halben Stunde ihr ganzes Hab und Gut verloren haben, dann wieder all die Toten und diejenigen, die in den Kellern klopfen und all die, die noch in den Kellern umgekommen sind. Das Elend ist namenlos.

Ich gehe durch die Aachener Straße und weiter bis Melaten. Da ist auch nicht ein Haus, was nicht getroffen ist, weiter bis Braunsfeld, alles zerstört, weiter bis zu uns die ganze Umgebung zerstört. Nur der Block von Schöttles bis zur Frau Oberst ist noch. Ich komme in mein Haus, es ist bis unters Dach voll belegt. Alles unglückliche Menschen, die mir nicht Dank wissen, meiner nur neidisch sind, dass ich noch etwas habe, bis mir der Hut hoch geht und ich ihnen zu verstehen gebe, dass sie doch froh sein sollen, dass es so ist, sonst hätten sie doch kein Obdach.

Also ich bin bis auf die Fensterscheiben und einige Türrahmen mal wieder verschont worden, wie lange noch? Doch die Angriffe gehen weiter. Jeden Tag paar Mal Alarm, ebenso jede Nacht, überall nur Grauen und Leid und Tod. Ich will nicht weiter ins einzelne gehen, es hat keinen Zweck, denn ich habe ja schon immer diese furchtbaren Szenen geschildert und wenn sie sich noch steigern können, ja, dann ist es eben heute.

Ich kam nach vielen Mühen wieder in mein stilles Schloss. Frau T., die auch nach Köln gefahren war, ist schon da, sie hat alles verloren, ihre schöne Wohnung, und nur was im Keller ist, kann sie noch retten. Aber erst später, wenn bis dahin nicht alles gestohlen ist. Ja, bei allem Elend auch das noch. Eben auch eine Begleiterscheinung dieser grauenvollen Zeit.

Ich hatte gehofft, irgend von jemand Post zu haben, aber nein, Walter macht sich auch so selten, von dir und Röbi gar nicht zu reden, ja, und so bin ich ganz allein. Dein Vater hat schon monatelang nicht geschrieben, er hält es noch nicht einmal der Mühe wert, sich nach diesem furchtbaren Angriff zu erkundigen.

Damals wie er in der Schildergasse alles verlor, da musste er noch manches durch mich erledigen lassen und da musste er schreiben, aber heute hat er mich nicht nötig. Na, ich ihn auch nicht. Nun ja, ein alter Fuchs wechselt eben sein Fell nicht, sagt Walter sehr richtig. Walter hat es auch jetzt sehr, sehr hart, ich wünschte, ich hätte ihn hier bei mir, dann hätte ich wenigstens einen der meinen. Doch der Krieg geht weiter!

Der nächste Eintrag folgt am 22. Mai. Alle bisherigen Einträge auf der Seite “Das Tagebuch”.

22 April 1944

Another terror attack on Cologne. From the castle we could see the planes and the terrible bombing. In the night of April 20. The sky was blood red. Where is it, we ask, it will be Cologne again, I say. It was ghastly. “I do not believe there can be anything left,’ said Frau P. a well-known pianist who stays with the Baroness who is one of her pupils. Because of everything her nerves are shattered. I said I was sure she was right. I cannot believe that my house can still be standing.

With these thoughts, that we will not have anything left in Cologne, we went to bed once it was quiet. In one thing that swine is right; after the war there will only be the dead and the survivors. We are all in God’s hands now.

Next day I went to the station to try to go to Cologne but it was impossible. Cologne badly hit, all the suburbs especially Braunsfeld, Nippes, and Lindenthal had been severely damaged. The opera house is on fire. Everything your father has made will be destroyed. It is very sad.

I wouldn’t have wished this upon him. Well, the next day I went to Cologne and was appalled once more by what I saw. The inner city was quiet but once I got to the ring road. What a sight. The opera house was still burning and from the Hohenzollernring to the Hansaring everything was on fire. The poor people who in half an hour have lost everything. And then there are the dead, and those trapped in the cellars, knocking and finally those who died in the cellars. The misery cannot be described.

I follow Aachener Straße to Melaten. Not a house has been spared as far as Braunsfeld and the whole area has been damaged. Only the block from Schöttles as far as Frau Oberst is still standing. I got to my house which is full to bursting with unhappy people, not thankful that my house is still standing but full of jealousy that I still have something. I was angry and gave them a mouthful telling them to consider themselves lucky they had somewhere to go to. Until I lose my temper and tell them they should be happy I still have my house as otherwise they wouldn’t have a place to stay.

Well, I have been spared except for the windows and a few door frames. But the attacks continue, alarms every day and night. Everywhere there is cruelty, sorrow and death. I will not go on. What is the point? Because I have already described all these dreadful scenes and if they could get worse it happened today.

I arrived after many difficulties, home tired at my silent castle. Frau T. who had also gone to Cologne was already back. She has lost everything. Her lovely home is destroyed. She can only rescue what was down in the cellars. That is if it is not stolen first. In spite of all our suffering even that goes on. One more burden of our gruesome times.

I had hoped to get a letter from somebody, anybody, but there is nothing either from you or Walter and Röbi is in any case out of the question and so I am quite alone. Your father has not written for months. In spite of all the attacks on Cologne he has not bothered once to see if I was all right.

As long as he needed me to deal with his things in the Schildergasse he wrote, but clearly he now has no further need of me. Nor me of him! Well the leopard does not change his spots says Walter and he is right. Things are very hard for Walter now. I wish he were here with me, at least one of my own. The war continues.

Next entry on May 22. For all entries up to the current date see “The Diary”.

Es ist ein Buch! / It’s a Book!

Clare Westmacott mit dem ersten Probedruck von Klaras Tagebuch, das im Herbst als Buch erscheint, in einer deutschen und in einer englischen Ausgabe. / Clare Westmacott with a first print of Klara’s diary which will be published as a book in fall, in an English and a German version.

Viele Menschen, die Klaras Tagbuch hier im Blog folgen oder bei einer von Clare Westmacotts Lesungen waren, haben gefragt, ob es auch als Buch erhältlich ist. Jetzt steht fest: Ja, es erscheint im Herbst im Frauenzimmer Verlag , mit vielen Bildern und Clare Westmacotts Einleitung und ihren Erinnerungen. Wer schon vorbestellen möchte – das Buch kostet 15,90 Euro – kann das gerne per Mail tun: blog(at)klara-lotte-clare.net – bitte mit der Angabe, ob die deutsche oder englische Version gewünscht ist. Übrigens sind auch Audiobücher in beiden Sprachen in Arbeit.

Many people who follow Klara’s diary here on the blog or have attended one of Clare Westmacott’s readings have asked whether it would also be available as a book. Now we can say: Yes, it will be published in fall by Frauenzimmer Verlag , with many pictures and with Clare Westmacott’s introductions and her memories. In case you would like to pre-order it for 15,90 Euro please do so by sending us an e-mail: blog(at)klara-lotte-clare.net – and please let us know whether you would like to have the English or the German version. By the way – we are also working on audio books in both languages.

Clare’s Memories – Clares Erinnerungen

Clare Westmacott hat ihre Großmutter auf dem Hof im Bergischen Land zum ersten Mal 1948 besucht – und danach immer wieder. Sie hat ihre Erinnerungen daran aufgeschrieben, an die Menschen und die Pferde, an Sprünge ins Heu und in dampfenden Kuhmist, an die Tränen, wenn sie und ihr Bruder Nigel nach den Ferien Abschied nehmen mussten. All das ist auf der Seite Clare’s Memories zu lesen.

Clare Westmacott visited her grandmother on the farm outside Cologne for the first time in 1948 – and many times in the years to come. She has written down her memories of people and horses, of jumps into hay and steaming cow dung, and of tears when she and her brother had to go home after the holidays. You can read it all on the page Clare’s Memories.