Die deutsche Fassung gibt es beim www.frauenzimmer-verlag.de.
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Klara Seuffert schrieb dieses Tagebuch für ihre Tochter Lotte, die 1936 nach England gezogen war. Es ist ab sofort auch als Buch im frauenzimmer-verlag.de erhältlich. / Klara Mehlich wrote her diary for her daughter Lotte who had moved to England in 1936. It is now available as a book, both printed and e-book, at amazon.com
Die deutsche Fassung gibt es beim www.frauenzimmer-verlag.de.
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28. Oktober 1944
Ja, und nun wieder Großangriff. Rechts und links liegen wieder zu beiden Seiten der Straßen die Toten auf Haufen nur mit einer Zeltbahn oder mit Nichts zugedeckt. Ich fahre mit Soldaten hinein in die Stadt. Es sind gute freundliche Männer, sie sind sehr gefällig und ich bin sehr froh, von ihnen mitgenommen zu werden.
Ich habe einen Wintermantel in der Stadt, ob er wohl noch existiert? Ich habe nun schon so viel verloren. Ich will auch noch mal in mein Haus, es hat bis jetzt ausgehalten, treu und brav. Ich will sehen, ob ich wohl noch meine Küche herausbekomme und den schönen Biedermeiersekretär.
Ich fahre durch das todwunde, liebe, alte Köln. Alles brennt wieder, es ist Nachts 4 Uhr. Am Tag wagt man sich schon nicht mehr hinein. Um 5 Uhr Nachmittags fahren wir wieder um. Hoffentlich habe ich irgendwo Schutz, einen Keller oder ich komme bis Reinemanns ohne Alarm. Wir kommen am Königsforst ins Blickfeld der Stadt, es brennt in Mülheim schon tagelang, scharenweise Flüchtlinge, die zu Fuß aus der Stadt wollen, furchtbar ist der Eindruck, bepackt mit dem Unentbehrlichsten, schmutzig, zerrissen, verbrannt, verstört, bewegt sich die Menge weiter. Ich muss still weinen, ich kann nicht mehr.
Wir kommen an, ich brauche nicht mehr weit, es ist 5 oder halb 6, der Mond scheint noch hell, ich komme an mein Haus oder vielmehr, ich sehe mir noch das Elend eine Zeit lang an, da man noch schläft und ich will keinen stören. Denn jede Nacht sitzen die Leute im Bunker. Na, auch dies geht vorüber und ich gehe in mein Haus, um mir einiges mitzunehmen.
Die Person, die unten wohnt, lässt mich ein. Sie ist wider Erwarten freundlich, sie lebt in der größten Angst, ich rate ihr doch fortzugehen, sie will auch, aber sie will nichts im Stich lassen und bittet mich nun, ihr doch ihre Möbel unterzustellen. Sie hat mir so viel angetan, aber ich bin klug und mache mit ihr aus, dass ich die Sachen mitnehme, wenn ich meine Küche und noch einiges mitnehmen könne. Sie sagt zu allem ja und ich denke, die Soldaten werden es holen, ich gehe zu Reinemanns und bleibe die Zeit, die ich warten muss bei ihnen.
Reinemanns wollen nicht von Köln weg. Sie denken, dass alles bald vorbei ist. Ich will es hoffen. Es ist bald Zeit, ich gehe und erwarte meine Soldaten. Wir kommen spät an. Wir müssen dunkel fahren, über uns ist der Tommy, in Köln ist wieder was los. Ich bin immer wieder glücklich, wenn ich da bin und nachdem ich alles erzählt habe, gehe ich todmüde zu Bett und schlafe bald ein. Da, ich kann noch nicht lange schlafen, kommt Walter und weckt mich, es seien tolle Überflüge, wo waren sie? Oder wo gehen sie hin, Tod und Verderben bringend.
Am andern Morgen wissen wir es. Es war Köln und zwar Braunsfeld, Lindental, Sülz, Klettenberg. Ich frage am Abend einen Unteroffizier, der von Köln kommt, Herr Unteroffizier, waren Sie auf Station? Ja. Wie sieht es dort aus in Braunsfeld? Entsetzlich, es ist nichts mehr da, die Aachener Straße ist fort. Auch die andern Straßen? Alles, ganz Braunsfeld ist ein Bombentrichter. Kann ich morgen mitfahren? Ja, um 3 Uhr früh.
Ich war zeitig bei der Hand und los ging es auf Köln. Ob mein Haus noch steht? Ob Reinemanns noch leben? Was mag ich sehen? Ja, wir machen noch mehr mit. Ich kann nicht weiter schreiben, das Licht versagt. Ich will sehen, was los ist. Bis später.
Ja, es war eine Störung. Also wir kommen an, wie damals an der Station. Ich ging den Weg zurück und wenn ich nicht genau alles hier kennte, nein, dann könnte ich mich nicht zurechtfinden. Meinen Zustand zu beschreiben, meine Geistesverfassung, ist zwecklos, schon einmal schrieb ich dir, oft denke ich, ich sei geisteskrank und bilde mir das alles ein. Vielleicht ist es so. ich weiß es nicht. ich gehe über Bombentrichter bis Voigtelstraße.
Eine Verwüstung, kein Haus steht mehr, ich gehe langsam zur Wiethasestraße. Krauthäusers Haus, was so lange aushielt, ein Trümmerhaufen, und dann ein Blick, mein Häuschen ist nicht mehr, nur noch eine qualmende Ruine. Ich gehe hin und im Garten eine Reihe ausgebrannter Kanister, einer noch ungebraucht. Er wird wohl noch losgehen. Überall gehen Zeitzünder los, überall Tod.
Ich gehe, um noch etwas zu finden, nein nichts mehr als Trümmer. Im Garten stehen überall Möbel, wahrscheinlich hat dieses Weib noch einige ihrer Möbel gerettet. Meine hat sie als deines Vaters treue Verwalterin verbrennen lassen. Ja, du wirst fragen, wer ist denn diese Person? Aber davon ein andermal. Ich konnte nichts nehmen, ich sah keinen Menschen, es war auch schon Zeit, ich ging und sah nach Reinemanns.
Mit Bangen ging ich weiter und fragte mich, wie kann hier nur noch ein Mensch leben. Ich kam endlich an ihre Straße, nur zusammengefallene Häuser und Bombentrichter, die Luft erfüllt vom Getöse der losgehenden Blindgänger und Zeitzünder. Da sehe ich, dass trotz aller Zerstörung Reinemanns Haus noch steht, zwar das Dach abgebrannt, aber sie sind da. Ich war glücklich. Ich gehe ins Haus und schreie, Hallo! Wer ist da, kommt es aus dem Keller und ich gehe in das untere Appartement.
Dort hat Bully ihr Boudoir und ihren Ankleideraum und gemeinsames Schlafzimmer mit Elfriede aufgeschlagen. Sie ist bei ihrer Toilette, bei ihrem Morgenbad. Wasser, Licht, Gas, Elektrisch Telefon u.s.w. gibt’s nicht mehr. Wasser muss im Eimer 20 Minuten weit geholt werden. Aber Bully weiß, was sich gehört, sie holt unentwegt in ihrem Eimer Wasser, sie holt in der Gemeinschaftsküche ihre Fressalien, sie ist eben in dieser harten Zeit nicht mehr verwöhnt, sie ist tapfer und treu, wie eben alle. Die Freude war groß, ich erzählte, sie erzählte und viele, viele Bekannte waren tot. Viele geflüchtet, viele treue Freunde hatten sich zusammengefunden.
Später ging ich mit Herrn Reinemann zu meinem Haus, wir entdeckten bei den Sachen der Frau noch einen Stuhl von uns, einen Waschkessel, den Gartenschlauch, einige Goldrahmen, Gartengerät und eine Mappe Zeichnungen. Bully und ich haben diese dann zusammen geholt und ich habe dann die Mappe, die Rahmen und den Stuhl mitgenommen zum Schloss.
Ich nahm dann Abschied vom Haus, wo ich neben viel Leid doch auch manche glückliche Stunde erlebt habe mit euch zusammen, wo ihr groß wurdet, wo auch ihr gelacht und geweint habt, ja, mit diesen Gedanken ging ich still fort, voller Leid still zum Auto, wo ich dann wieder nach Ehreshoven zurückfuhr und sehr spät, verhindert durch eine Panne und Fliegerangriffe, die heute stündlich erfolgen, müde ankam.
Ja, und nun haben wir alles verloren, alles was ich hatte und dachte, nach all den Jahren Leid doch noch ein paar Jahre unabhängig zu leben, all das ist durch den unseligen Krieg vorbei. Und trotzdem muss ich zufrieden sein. Ich habe noch meine lieben Kinder, wenn sie auch weit von mir sind, so sind wir noch alle gesund und Gott der Herr wird uns behüten und uns wieder vereinigen.
Der nächste Eintrag folgt am 15. November. Alle bisherigen Einträge auf der Seite “Das Tagebuch”.
28 October 1944
Another big air raid! Right and left bodies lie on both sides of the road in piles with either a canvas sheet over them or nothing. I went into town with some soldiers. They are kind, friendly men and are very helpful and I am extremely glad to be able to travel with them.
My winter coat is still in town (if it still exists). I have already lost so much and I want to go to my house again. It’s lasted out so far, faithful and good. I want to see if I can get my kitchen and my lovely Biedermeier writing desk out.
I can see deadly wounded lovely old Cologne burning once again. It is four in the morning. You don’t dare to travel through the city in daylight. We will leave for home at five in the afternoon. Hopefully I will find shelter somewhere, in a cellar or perhaps I will get to Reinemanns without an alarm. We got to Königsforst with a view of the city. It has been burning in Mülheim for days and masses of refugees were trying to get out of the city on foot, packed with the most necessary things. It was a dreadful sight. Dirty, injured, burned, disturbed, the crowd staggered on. I wept silently. I cannot face it any longer.
We arrived at about six o’clock. The moon was still shining on my house and I saw all the misery and suffering and as everyone was asleep I tried not to disturb anyone. They have to spend every night in the air raid shelters. Well, that passes, too, and I go into my house to get a few things.
That Woman, who lives downstairs, let me in. She was cautiously welcoming and friendly. She lives in desperate fear. I advised her to leave but she does not want to leave her things and begged me to get some of her things out to a safe place. She has treated me so badly, but I am cunning and tell her I will take her things with me if I can get my kitchen out. She agreed with everything. I think the soldiers would come soon and get it, so I leave to spend the time I will have to wait at Reinemanns.
They will not leave Cologne and think it will all be over soon. I hope they are right. It was nearly time so I went to wait for my soldiers. We arrived late. We had to travel in the dark as above us there are the Tommies and Cologne is getting it again. I am always glad when I get home again and after I had recounted everything I fall dead tired into bed and am asleep straightaway. I had not been asleep long when Walter came in and woke me. The noise of overflying aircraft was absolutely terrible and where were they flying to? Where was death and destruction being delivered?
The next day we found out. It was Cologne, in fact Braunsfeld, Lindenthal, Sülz and Klettenberg. In the evening I asked an Under Officer who came from Cologne, „Herr Unter Offizier, were you on duty?“ Yes.
„What does Braunsfeld look like?“
„Appalling! It’s not there anymore. The Aachener Straße has gone. Everything, the whole of Braunsfeld is a bomb crater.“
„Can I go with you tomorrow?“
„Yes. At three in the morning.“
I was ready on time and off I went to Cologne. Would my house still be standing? Would the Reinemanns be alive? What will I see? Yes, there is more to come. I cannot write any more, the light is failing. I will see what has happened and then carry on writing.
Yes, it was a power cut. So we reached, just like some time ago, near the their headquarters and I went on my way. If I did not know the way so well I could not have got there. To describe my condition, my mental state is impossible. I often wrote to you how I think I am mentally ill and imagine all this. Perhaps I am. I don’t know. I went across the bomb craters to Voigtelstraße.
Total destruction. Not a house was standing. I went slowly towards Wiethasestraße. The Krauthäuser house that had stood for so long was a pile of rubble and then I got a view of my house: it is no more, a smoking ruin! I went up to the house, in the garden was a burnt out incendiary canister and somewhere nearby another one not yet gone off. Everywhere there was the sound of the time fuses going off. Everywhere death!
I go to see if I could find anything, but everything was rubble. In the garden was some furniture, presumably That Woman had rescued some of her furniture. Your father’s faithful house keeper had allowed mine to burn. Oh yes, I can hear you say, „Who is this woman?“ I will tell you about that some other time. I could not take anything and not a soul was about. Anyway it was time I left and set off for the Reinemanns.
I went on apprehensively and asked myself, „How can anyone be alive here?“ Eventually I reached their road. There were only collapsed houses and bomb craters. The air was filled with the noise of exploding delayed-action fuses on the duds. In spite of all the damage I saw that the Reinemann’s house was still standing although the roof was burnt, and they were there. I was overjoyed. I went into the house and called out, „Hello“. „Who is there?“ they called out of the cellar.
I went down to their „lower apartment“ where Bully has her boudoir and dressing room, and the bedroom she shares with Elfriede. She was at her „toilette“, her morning bath. Gas, water, electricity, telephone and so on don’t exist anymore. It takes twenty minutes to get water in buckets from a stand-pipe. She gets food from the community kitchen. In these hard times it is not that she is spoiled anymore: she is brave and spirited. As they all are. We were so pleased and thankful to see one another. We told one another our news. So many acquaintances are dead. Many have fled and many dear friends have gathered together.
Later I went with Herr Reinemann to my house where among That Woman’s things I found a chair of mine, a wash tub, some golden picture frames and some garden equipment and a folder full of drawings. Bully and I got everything together and I took the folder, the chair and the frames with me to the castle.
I made my farewells to my house, where I had had a lot of unhappiness, but also many happy hours when we were all together, where you all grew up and where you had also laughed and cried. And with these thoughts I left silently, filled with sorrow, for my lift back to Ehreshoven. The journey home was very late. We were held up by a breakdown and air raids and I arrived home very tired.
Yes. And now we have lost everything. Everything I had has gone, including, after all these years of sorrow, the possibility of a few years of independence, and all because of this unholy war. But in spite of all of this I have to be content because I still have my beloved children and although they are far away from me they are still healthy and the Lord God will lead us and bring us together again.
Next entry on November 15. For all entries up to the current date see “The Diary”.
24. Oktober 1944
Wieder ist eine Spanne Zeit vergangen und jeder Tag brachte unermessliches Elend. Viele Städte gingen in dieser Zeit in Trümmer, viele, viele Menschen mussten ins Gras beißen; aber von all dem habe ich oft geschrieben. Aachen ist gefallen, wie vorauszusehen war.
O du schöne alte Kaiserstadt, umkränzt von Waldhügeln, du ehrwürdiges Aachen, du, in dem sich die ruhmreiche deutsche Geschichte abspielte, bist ein Trümmerhaufen durch die Verstocktheit unserer Regierung, an deren Spitze der größte Schweinhund aller Zeiten steht, der größte Massenmörder, den je eine Zeit der Menschheit gab, eine wahre Geißel Gottes.
Aber was hilft es, ob ich dieses alles schreibe, was hilft es, wenn neunmalkluge Männer uns erzählen, macht euch frei, sollen uns das lieber mal vormachen, oder uns sagen, wie wir überhaupt an das Schwein kommen, dann würden wir es schon machen, bestimmt der größte Teil des Volkes. Also was nutzt euch das alles. Also Schluss damit, bleiben wir bei dem traurigen Zeitgeschehen.
In der letzten Woche 4 Terrorangriffe in 5 Tagen. Tag und Nacht keine Ruhe in der Stadt. Die armen Menschen. Walter war bei 2 Angriffen in seiner Dienststelle. Es war entsetzlich und er begreift nicht, wie er überhaupt noch lebt. Aber er lebt und frisst sich wieder in die Höhe. Das ist eine seiner Hauptsorgen, bekomme ich auch genug und wie werde ich satt. Aber gewöhnlich überlässt er mir das Wie.
Er musste um abends in Ruhe und Sicherheit zu kommen, von Ehrenfeld zu Fuß nach Rath-Heumar laufen, um auf den Zug nach Ehreshoven zu kommen. Entsetzlich all das Grauen zu erleben. Durch brennende Straßen an Menschenleichen und Tierkadavern vorbei, die in ihrem Blut lagen, an Blindgängern vorbei an halbwahnsinnigen Menschen, die in 20 Minuten alles verloren hatten und nun obdachlos dastanden, ja, an dem allen vorbei zur Bahn, dann dort der Kampf um einen Platz und dann fährt solch ein überfüllter Zug los.
Im Zug gewöhnlich Streit, die Nerven der Menschen entspannen sich meist auf diese unangenehme Art. Da, was ist das schon wieder? Der Zug wird beschossen. Walter sieht wie Bomben auf die Gleise fallen, außerdem braucht der Tommy seine Bordwaffen und schon mancher hat auf dieser kleinen Strecke dran glauben müssen. Aber dieses erlebt man heute alle Tage. Jeder Augenblick Alarm, ja, es ist furchtbar und wie ich früher felsenfest an unser Wiedersehen glaubte, so bin ich heute doch sehr nachdenklich geworden.
Nein, ich glaube an nichts mehr, an etwas schönes. Gestern war ich in Köln. Ich musste wissen wie es dort aussah, ob von unserem Haus noch was da war, ob meine lieben Freunde, Familie Reinemann noch lebten und die anderen. Ich kam bis Rath-Heumar, dann betörte ich einen Autofahrer, er nahm mich mit und nach vielen, vielen Irrfahrten und nachdem ich mir mein Schienbein empfindlich verletzt hatte, kam ich, nachdem ich nur entsetzliches sah, am Stadtwaldgürtel an.
Bepackt mit meinem Rucksack – ich brachte Frau Reinemann einige Kostbarkeiten und Bully ein zeitgemäßes Geburtstagsgeschenk, ein großes Glas Brombeergelee, mit – kam ich durch alle Trümmer zu Familie Reinemann. Die Freude war groß, dass sie alle lebten und gesund waren. Bully verband mein Bein, stopfte meinen Strumpf, Frau Reinemann machte mir was zu essen und dann sah ich nach unserem Haus.
Trotz all der Zerstörung rund herum steht es und hatte dieses Mal noch nicht ein zerstörtes Fenster und drin sind durch die Schuld und den Hass deines Vaters das verwerflichste Zeug was ich denken kann, aber ich tröste mich, nach dem Krieg wird da wenn es noch steht, aufgeräumt. Lass nur meinen guten Röbi kommen und auch Jack, den ich dann so nötig habe. Ach wäre es nur so weit. Bei Reinemanns sind auch nur alle Fenster entzwei, aber Bombentrichter überall, ja, und dann mein Weg zurück nach Heumar.
Ich will es dir, da es zeitgemäß ist, nicht vorenthalten: Also, nach einem warmen Abschied von Frau Reinemann und Bully ging ich auf der Aachener Straße Umschau halten nach einem Auto und ich hatte Glück, ich fuhr mit bis zum Dom. Im Auto stand ich neben 2 Damen. Wir kamen rasch in ein Gespräch, denn kaum fuhren wir ab, kam Großalarm, aber wir fuhren rasch weiter, es blieb uns auch nichts anderes über.
Die eine Dame wollte nach Mülheim. Ich frug sie nach dem vor einigen Tagen erfolgten Terrorangriff auf Mülheim und sie war dabei. „Er war mein schrecklichstes Erlebnis“, sagte sie, „in unserm Haus hatten wir 10 Tote. Ich wohne in einem Mietshaus, sehr groß, wir haben einen guten Schutzkeller, trotzdem gingen verschiedene Familien lieber ins kleinere Nebenhaus, dort ist noch ein besserer Keller mit 2 Betondecken, gehen Sie doch mit, sagt eine Frau von der III. Etage zu mir, wenn hier eine Bombe einschlägt, haben Sie den ganzen Steinhaufen auf sich.
Nein, sage ich, ich gehe lieber gleich nach Schluss wieder nach oben, ich bin so kalt. Ja, und dann kam der Angriff, die Bomben schlugen rechts, links, vorne, hinten ins Nebenhaus und ich glaubte, ich komme nicht mehr raus. Dann wurde es still, ich ging mit den andern Leuten heraus und wir sahen vom Nebenhaus nichts mehr. Ein Volltreffer hatte es zerstört. 10 von unsern Bekannten waren noch erkennbar, die andern waren in Stücke zerrissen. Die 10 Toten haben sie dann auf unsern Hof gelegt, dort lagen sie 5 Tage im Regen, im Sturm, man hatte keine Möglichkeit, sie unterzubringen. Ich ging jeden Tag zu den Toten, die noch die Todesangst und das Grauen im Gesicht stehen hatten, ich gab jedem eine Blume zum Abschied. Dann holte man sie nach 5 Tagen in einem Lastauto ab um sie in einem Massengrab beizusetzen. Die sind bestimmt nicht mit einem Siegeswunsch für ihren Führer gestorben.“
Die andere Dame weinte. Sie hatte einen Sohn von 17 Jahren, er musste zum Westwall schippern. Kaum war er da, verlor er bei einem Luftangriff beide Beine. „Was wird aus dem armen Jungen, wenn ich nicht mehr bin.“
Ja, und so erlebte ich bis Heumar, nein bis Hoffnungsthal war ich im Auto gefahren, um dann nach 2 Stunden Aufenthalt weiter zu fahren. Im Wartesaal, wo ich wartete, wieder Tod und Elend. ich hatte mich hingesetzt um zu warten, da wird auf der Bahre ein Mann hereingebracht. Seine Frau ist bei ihm, es sind Flüchtlinge aus Köln, die von hier abgeschoben werden. Draußen stehen an die tausend, sie sollen nach Halle an der Saale. Der Mann stirbt im Wartesaal, es ist furchtbar.
Der Zug ist voll, voll Menschen, die alle froh sind, ihr nacktes Leben zu retten. 30 Pfund dürfen sie mitnehmen. Ja, und da kam endlich mein Zug und wie ich im Dunkel in Ehreshoven ankomme, holt mich Walter ab. Wir haben dann noch lange erzählt und wenn nun am nächsten Montag der Engländer noch nicht vor Köln steht, fahre ich noch mal hin um Reinemanns noch mal zu sehen. Aber was mag in der Zwischenzeit geschehen.
Der nächste Eintrag folgt am 28. Oktober. Alle bisherigen Einträge auf der Seite “Das Tagebuch”.
24 October 1944
Once again a length of time has elapsed. Every day has brought more and more misery. Many towns are left in ruins, many many people have gone to the grave. Aachen has been taken, as expected.
Oh you beautiful city of Charlemagne, surrounded by wooded hills. You, honourable Aachen, in which the finest events in German history have taken place, lie in ruins caused only by the stubbornness of our regime, at the head of which is the biggest swine of all time, the greatest mass murderer in history, a true scourge from God.
What good does it do to write this, what good is it if nine times nine clever people tell us, „Rise up, make yourselves free“. They would have to show us how, or at least tell us how to get at the swine. Then I am sure the vast majority of the people would do it. What is the point of writing this? Well. Enough! We will stick to the grim reality.
In the last week there were four terror attacks in five days. Day and night there is no peace in the city. The poor people! Walter was on duty in Cologne during two attacks. He says he cannot understand how he is left alive. Well he is alive and eats like a horse. It is one of his main worries to get enough to eat and he leaves that to me.
In order to get home to me, to peace and safety, he had to go on foot from Ehrenfeld to Rath-Heumar rushing to catch the train for Ehreshoven. It is dreadful for him to experience all that cruelty going through the streets past dead bodies lying in their own blood or past animal cadavers or past unexploded bombs and shocked senseless people who in a twenty minute attack have lost everything and were homeless now. Past all of this to the station, and then the battle to get on the train and then the over-full train sets off.
The people on the train, their nerves are shattered anyway, only quarrel and bicker with one another. Then what? Well of course the train was attacked. Walter saw the bombs landing on the line, besides which the Tommies used their cannons and quite a few people have lost their lives on this little line. One experiences this kind of thing every day. There are alarms all the time. It is terrible and whereas in the past I believed in a reunion of us all now I am in doubt.
No, I do not believe in anything. I have become incapable of believing in anything good. Yesterday I wanted to go and see if the house was still standing and to see if my dear friend Frau Reinemann and the others were still alive. I went as far as Heumar and then I persuaded a motorist to give me a lift and after many wrong turnings and after I had cut my shin badly I finally arrived at the Stadtwaldgürtel.
Laden with my rucksack I brought Frau Reinemann some precious treats and Bully her birthday present, a big jar of blackberry jelly. When I got there we were pleased to see one another. They were all alive and well. Bully bandaged my leg and mended my stocking. Frau Reinemann made something for me to eat and then I went to have a look at our house.
In spite of all the damage all around, the house was untouched with not even a broken window. Inside, thanks to your father there are only the most dreadful people. But I consoled myself, if, when the war is over and the house is still standing, there will be a big clear out there. Once Röbi gets back, and when Jack comes, for I need them both. That time cannot come soon enough. At the Reinemanns only the windows are broken but there are bomb craters everywhere. Then came the journey back to Heumar.
I said goodbye to the Reinemanns and Bully warmly and went on to the Aachenerstrasse and hoped to stop a car. I was lucky and got a lift to the cathedral. In the car I was next to two ladies and we got into conversation. On the way there was a major alarm but we drove on, we had no choice.
The lady wanted to go to Mülheim. I asked her about the terror attack on Mülheim a few days ago. She was in it. It was my most terrible experience she said, „In our block there were ten dead. I live in a big house with many flats and we have a good strong cellar but several families preferred to go into a smaller neighbouring block with an even better cellar with two layers of concrete. Come with us said the woman from the third floor. If a bomb hits our building it will be a pile of rubble.
No, I said I prefer to go right upstairs after it ends, I feel so cold. Then the attack started and bombs flew left and right and next door got a direct hit. I didn’t think I would get out. As soon as it was quiet I went out with the others. There was nothing left of the next door block. A direct hit had destroyed it. Ten of our neighbours were dead but still recognisable, the rest had been torn to shreds. They lay the ten dead in our court yard. They lay there for five days in rain and storm, there was no chance of dealing with them. Every day I went to see them, their faces wearing a grey mask of deathly fear. I gave each of them a flower as a farewell and after five days they were collected and taken away to a mass grave. They will unquestionably have died without a caring thought for their Führer.“
The other lady began to cry. She had a son of seventeen years who had been sent to the Western front. Hardly had he arrived when he lost both his legs in an air attack. „What will happen to my poor boy when I am no longer here?“ she cried.
I listened to all that until I got to Hoffnungsthal. I had to wait for two hours there for the train. In the waiting room there was once again death and misery. I had sat myself down in the waiting room when a man was carried in from the platform on a stretcher, his wife was with him. They were refugees from Cologne, like a thousand of others outside, on their way to Halle. The man died in the waiting room. It was terrible.
The train was full of people who had saved nothing but their bare lives. They were allowed to carry 30 pounds of goods with them. Then at last my train arrived and I got to Ehreshoven in the pitch dark where Walter was waiting. We talked for ages and if the English have not arrived in Cologne by next Monday I will go to see the Reinemanns again. But who knows what will happen in the meantime?
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23. September 1944
Über einen Monat habe ich nichts mehr eingetragen, trotzdem sich die Ereignisse überstürzen, aber alle nur Schmach und Elend, anders kann ich nichts eintragen. Männer, die den Mut zur Wahrheit endlich finden und sagen offen, dass Deutschland verloren hat, werden schmählich degradiert und wie Verbrecher aufgehangen. Trotzdem der Feind im Land schon ist, gibt es Klicken, die behaupten: Wir siegen! Und weiter geht das furchtbare Blutbad, weiter regieren die Nazis das Land.
Scharenweise siehst du Menschen vorbeiziehen, die nichts weiter taten als einmal ehrlich das Maul auf, sie büßen im KZ und wenn es die Nazis können, werden sie alle so geheimnisvoll verschwinden wie Tausende vor ihnen. Ich selbst bin von dieser Bande umgeben, im eigenen Hause regiert der braune Mob und so muss ich mich begnügen, wenn ich nicht im letzten Augenblick auch noch dabei sein soll.
Wir, meine Freunde und ich, warten verzweifelnd auf den Tag, wenn Köln frei ist von all der braunen Schmach. Harte Zeiten erwarten uns, aber alles will ich tragen, nur will ich frei sein, kein Sklave.
Walter kam eines Abends zurück, der Brite hatte sie an der Kanalküste überrascht, sie türmten durch ganz Frankreich über Metz in den Schwarzwald und er dann zu mir, musste sich in Köln wieder zur Verfügung stellen und fährt nun morgens und kommt abends zurück.
Was mag die nächste Zukunft bringen, wir, Walter und ich, gehen nicht fort, wir werden uns in den Wäldern verstecken bis alles vorüber ist. Was dann kommt. Ja, schlimmer kann es nicht sein und so warten wir was die Zukunft bringt. Etwas besorgt bin ich ja, das ganze Schloss ist gespickt voll SS-Truppen wie eben das ganze Bergische Land.
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23 September 1944
I have not written anything for over a month. There is nothing to write about except pain and suffering. Men who finally find the courage to tell the truth, that Germany has lost the war are treated like criminals and hanged like criminals. In spite of the fact that the enemy is inside our borders there are still some factions who say we are winning and so the blood-bath continues, the Nazis still rule the country.
You see people passing by who did nothing but open their mouths honestly and now they are sent to concentration camps and if the Nazis can manage it they will disappear as thousands have before them. I myself have them close to me now. The brown mob rules in my house and if I am not to become one of their victims in the last minute I have to be very careful.
We, my friends and I, are waiting desperately for the day that Cologne is free from the brown filth. Hard times await us but I will endure everything if only I am free, not a slave.
Walter came home one evening. The British surprised them at the Channel coast and they fled through the whole of France to Metz and into the Black Forest and then on to here. He had to report in Cologne and has to go to Cologne every day in the morning and back in the evening.
What will the future bring? Once the action gets close we will not move from here and Walter and I will go and hide in the woods until it is all over. And then. It cannot get any worse and so we will wait and see what the future brings. One thing that does worry me is that the castle is now full of SS units as is the whole of the Bergische Land.
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Clare Westmacott hat ihre Großmutter auf dem Hof im Bergischen Land zum ersten Mal 1948 besucht – und danach immer wieder. Sie hat ihre Erinnerungen daran aufgeschrieben, an die Menschen und die Pferde, an Sprünge ins Heu und in dampfenden Kuhmist, an die Tränen, wenn sie und ihr Bruder Nigel nach den Ferien Abschied nehmen mussten. All das ist auf der Seite Clare’s Memories zu lesen.
Clare Westmacott visited her grandmother on the farm outside Cologne for the first time in 1948 – and many times in the years to come. She has written down her memories of people and horses, of jumps into hay and steaming cow dung, and of tears when she and her brother had to go home after the holidays. You can read it all on the page Clare’s Memories.